Ein Sport, der mal Krieg war

Ein Sport, der mal Krieg war

Lacrosse blickt in Tschechien auf eine lange Tradition. In Prag findet diese Woche ein ganz besonderes Turnier statt

20. 4. 2016 - Text: Helge HommersText: Helge Hommers; Fotos: Leoš Novák und Martin Bouda

Einen politischen Konflikt auf sportlicher Ebene zu lösen, bringt Vorteile: Statt Toter gibt es höchstens ein paar Verletzte, es entstehen sehr geringe Kosten und es ist wahrscheinlich, dass der Bessere gewinnen wird. Das in die Praxis umzusetzen, klingt abwegig – hatte allerdings bis vor wenigen Jahrhunderten in Nordamerika Tradition. Dort trugen seinerzeit verfeindete Stämme der Irokesen ihre Konflikte häufig im Lacrosse aus.

Heute wird Lacrosse hingegen einzig zum Kräftemessen genutzt. So auch in Prag, wo ab Mittwoch das Aleš-Hřebeský-Gedächtnisturnier stattfindet. Die größte Box-Lacrosse-Veranstaltung Europas wird bereits zum 23. Mal ausgetragen. Unter anderem aus der Türkei, Kanada und den USA reisen Teams an. „Spieler vom anderen Ende der Welt bei uns antreten zu sehen, ist jedes Jahr eine tolle Auszeichnung“, sagt Ondřej Mika, einer der Organisatoren. Gedacht wird jährlich Aleš Hřebeský. Der Jugendspieler des Prager Clubs LCC Radotín erlag 1992 als 21-Jähriger seinen Verletzungen, nachdem er von einem betrunkenen Autofahrer erfasst wurde. „Aleš war unser Freund und mit dem Turnier ehren wir ihn, so gut wir können“, erklärt Mika, dessen Sport noch während der ersten Austragung des Cups im Jahr 1994 auf dem europäischen Festland eher unbekannt war.

Erste Aufzeichnungen über Lacrosse, dessen Name so viel wie „Bischofsstab“ bedeutet, finden sich bereits im 17. Jahrhundert. Gespielt haben es die nordamerikanischen Ureinwohner aber schon wesentlich länger, häufig auch als Teil religiöser Zeremonien oder um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Im Jahr 1867 gründeten kanadische Spieler den ersten Lacrosse-Verband. Daraufhin etablierte sich der Sport zunächst vorwiegend im englischsprachigen Raum. Bei den Olympischen Spielen 1904 und 1908 war Lacrosse sogar Wettkampfdisziplin. In den Jahrzehnten danach allerdings nur Teil des Vorführungswettbewerbs, bis der Sport in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu völlig von der Bildfläche verschwand.

Vor wenigen Jahren erlebte Lacrosse jedoch eine Wiederauf­erstehung und gilt aktuell als die am rasantesten an Mitgliedern gewinnende Sportart der Welt. Dieser Trend werde auch in Prag registriert, sagt Mika: „Das Aleš-Hřebeský-Gedächtnisturnier ist weltweit einzigartig und unser Ruf in der Lacrosse-Szene dementsprechend gut. Die Stadt unterstützt uns sehr und im Gegenzug machen wir Werbung für Prag.“

Die Vorreiterrolle für die Verbreitung von Lacrosse auf dem europäischen Festland nimmt die damalige Tschechoslowakei ein. Ein Geschichtsprofessor der Prager Universität, der ein Faible für die Kultur der Ureinwohner Nordamerikas hatte, brachte seinen Studenten den Sport näher. „Damals entwickelte sich La­crosse hierzulande in mehrere Richtungen, sodass es heute Variationen des Spiels gibt“, erläutert Mika. Denn trotz des Eisernen Vorhangs ließen sich die Studenten nicht davon abhalten, sämtliche Informationen über ihren Sport zu sammeln. Sie übersetzten Fachliteratur, konstruierten eigene Schläger und entwickelten aus dem Hörensagen ein Regelwerk. Die Lacrosse-Liebhaber blieben trotz der politischen Umstände auch der Federation of International Lacrosse (ILF) nicht verborgen, sodass sie im Jahr 1988 eine Delegation nach Prag sandte.

Nationalspieler und WM-Teilnehmer Petr Poupě

Die Offiziellen staunten nicht schlecht: Die kleine Gruppe von Lacrossespielern hatte sich zu einer Liga mit mehreren Vereinen entwickelt, die sogar Indoor-Meisterschaften austrugen. Auch aufgrund dieser Episode riefen die ILF-Delegierten einige Jahre später die European Lacrosse Federation in Prag ins Leben.

Im Jahr 2011 wurde in der tschechischen Hauptstadt die erste Indoor-Weltmeisterschaft außerhalb Nordamerikas ausgetragen. Das tschechische Team erreichte den ebenso überraschenden wie herausragenden vierten Platz – in der Runde der letzten Acht musste sich sogar die englische Nationalmannschaft dem Gastgeber geschlagen geben. Einen großen Anteil daran hatte die kanadische Lacrosse-Legende Jim Veltman, der seine Spieler intensiv auf das Turnier vorbereitete.

Einer der bereits 2011 zu den Leistungsträgern der tschechischen Auswahl gehörte, ist Petr Poupě. „Das war definitiv der Höhe­punkt meiner Karriere“, sagt der fünfmalige WM-Teilnehmer, der seit seinem elften Lebensjahr Lacrosse spielt. „Vor allem die Geschwindigkeit, das Zusammenspiel mit den Teamkollegen und in kniffligen Situationen krea­tiv sein zu müssen, faszinieren mich an diesem Sport“, betont der 28-Jährige, der als Kapitän des LCC Radotín auch beim Aleš-Hřebeský-Gedächtnisturnier im Einsatz ist.

Sein Team ist mit acht Titeln Rekordsieger des Wettbewerbs. Für ihn liege der Reiz aber vor allem darin, gegen die besten Teams der Welt zu spielen – „und das auch noch in unserer Heimstätte“, ergänzt der Auswahlspieler. Der letzte Erfolg des Gastgebers liegt jedoch bereits drei Jahre zurück. „Wir hoffen schon darauf, dieses Mal wieder den Titel zu holen“, betont Stürmer Poupě. Und auch Organisator Mika würde sich freuen, falls der Cup bis zur Neuauflage 2017 in den Händen seines Vereins bleibt – doch die Priorität liege woanders, wie er gesteht: „Wir möchten einfach, dass alle Gäste eine tolle Zeit haben.“

Nach dem Turnierbeginn am Mittwoch endet die Vorrunde am Donnerstag. Das Finale findet am Samstag, 23. April um 20 Uhr statt. Tickets sind ausschließlich an der Wettkampfstätte in Vykoukových 2, Prag 16 erhältlich. www.ahmemorial.cz.

 

Was ist Lacrosse?
Lacrosse ist ein Mannschaftssport, der mit einem Schläger und einem Hartgummiball gespielt wird. Im Schläger befindet sich ein Netz, das es dem Träger ermöglicht, den Ball zu fangen, zu führen und zu schleudern. Die Teams bestehen aus jeweils zehn Spielern, darunter ein Torwart. Ziel ist es, den Ball im Gehäuse des Gegners unterzubringen und so ein Tor zu erzielen. Verhindert werden kann dies neben einem guten Stellungsspiel durch Body- und Schlägerchecks – wobei dies bei Regelüberschreitungen auch den Verlust des Balles und Zeitstrafen zur Folge haben kann. Beim Damen-Lacrosse ist Körperkontakt verboten. Neben dem Lacrosse unter freiem Himmel gibt es auch das Box Lacrosse, das mit kleineren Mannschaften als Indoor-Variante häufig auf Kunstrasen gespielt wird.