Stadt der Autos

Stadt der Autos

Seit 25 Jahren gehört Škoda zum Volkswagen-Konzern. In Mladá Boleslav hat sich seitdem viel verändert. Fast jeder Dritte arbeitet dort für das Unternehmen

27. 4. 2016 - Text: Corinna Anton, Titelbild: APZ

Ob die Chefs von Volks­wagen Tschechisch konnten, als sie sich in den neunziger Jahren entschlossen, bei Škoda einzusteigen? Vielleicht nicht, denn sonst hätten sie womöglich nicht in eine Firma investiert, deren Markenname übersetzt „schade“ und „Schaden“ bedeutet. Ein schlechtes Geschäft jedenfalls war die vor 25 Jahren besiegelte Partnerschaft nicht – weder für VW noch für Tschechien. Škoda Auto sei heute der Motor des tschechischen Exports und einer der wichtigsten Investoren und Arbeitgeber im Land, waren sich der Vorstandsvorsitzende von VW Matthias Müller und Premier Bohuslav Sobotka (ČSSD) einig, als sie Mitte April in Mladá Boleslav zusammentrafen, um den 25. Jahrestag der Fusion zu begehen.

Rund 620 Millionen D-Mark – damals umgerechnet mehr als elf Milliarden Kronen – zahlte der deutsche Konzern Volkswagen laut Vereinbarung vom April 1991 in die neu gegründete tschechoslowakisch-deutsche Aktiengesellschaft ein, die das Unternehmen Škoda Auto in seiner heutigen Form begründete. Was seitdem passiert ist, sieht man vielleicht am besten in Mladá Boleslav, wo Škoda seinen Sitz hat.

„Die Firma Škoda Auto und Mladá Boleslav gehören einfach zusammen“, sagt der stellvertretende Oberbürgermeister der Stadt Daniel Marek. „Fast ein Drittel der Einwohner arbeitet in der Fabrik und dank der Löhne, die dort gezahlt werden, ist die Kaufkraft in der Umgebung hoch. Das sieht man auch am Stadtbild.“ Komplett saniert wurde zum Beispiel die Altstadt; Plattenbauten wurden renoviert und gedämmt; derzeit wird das Radwegenetz ausgebaut. Zu den größten Investitionen der jüngsten Vergangenheit zählt die Eisenbahn­unterführung in der Nähe des Škoda-Werks. An der Finanzierung des Projekts hatte sich Škoda Auto direkt beteiligt.

Vereine profitieren
Ohne das Geld von Škoda, ist sich Marek sicher, ginge es auch den einheimischen Sportvereinen nicht so gut. Das gelte für Eishockey, Fußball und das immer beliebter werdende Floorball. Es liegt gewiss auch an der finanziellen Unterstützung durch den Autohersteller, das Mladá Boleslav in den meisten Mannschaftssportarten in der höchsten tschechischen Liga vertreten ist – so zum Beispiel der FK Mladá Boleslav im Fußball und der BK Mladá Boleslav im Eis­hockey – und das bei gerade einmal 45.000 Einwohnern.

Dass unter ihnen relativ viele Ausländer leben – der Anteil liegt bei 13,1 Prozent im Vergleich zu landesweit 4,3 – hängt ebenfalls mit Škoda zusammen. Das Unternehmen ist auch für Menschen, die nicht aus Tschechien kommen, ein attraktiver Arbeitgeber, selbst wenn sie nur eine relativ geringe Qualifikation vorweisen können. Die Löhne liegen deutlich über dem Durchschnitt. So verdient ein einfacher Arbeiter rund 36.000 Kronen im Monat – etwa 10.000 Kronen mehr als der Durchschnitts­tscheche und knapp 6.000 Kronen mehr als beim Konkurrenten TPCA in Kolín.
Seit 2000 betreibt Škoda Auto außerdem eine eigene Hochschule, in Tschechien die erste und bisher einzige Firmenhochschule. Für diese betriebseigene Einrichtung baute das Unternehmen vor zehn Jahren auf dem Gelände des Klosters Na Karmeli ein neues Bildungszentrum.

Rathaus im historischen Zentrum  | © Jan Polák, CC BY-SA 3.0

Gleichwertige Partner
Gewiss bringe die Fahrzeug­produktion auch Nachteile mit sich, räumt der stellvertretende Oberbürgermeister ein – das seien vor allem die vielen Autos auf den Straßen und damit verbunden der Mangel an Park­plätzen. Mit den Löhnen bei Škoda sind auch die Preise in der Stadt gestiegen. Dennoch meint Marek: „Auf jeden Fall bin ich froh, dass es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist, eine gleichwertige Partnerschaft aufzubauen. Einige Projekte setzen wir auch gemeinsam um.“

Aber nicht immer ist das Verhältnis zwischen Škoda und der Stadt harmonisch. Für Streit sorgte im vergangenen Jahr zum Beispiel eine deutliche Erhöhung der Immobiliensteuer. Die Stadt erhoffte sich davon höhere Einnahmen, um geplante Investitionen umzusetzen. Der Autohersteller ärgerte sich, weil er mehr abgeben musste. Derzeit zahlt das Unternehmen etwa 80 Millionen Kronen (knapp drei Millionen Euro) Steuern auf Immobilien. Im vergangenen Jahr war es noch ungefähr die Hälfte. Medienberichten zufolge hatte die Firma deswegen sogar gedroht, ihre Unterstützung für Sport und Kultur einzustellen. Mit Erfolg, wie es scheint. Im März beschlossen die Stadt­verordneten, die Immobiliensteuer ab 2018 wieder zu senken. Im Gegenzug versprach der Auto­hersteller, städtische Sozial-, Kultur- und andere Projekte mit sieben Millionen Kronen (etwa 260.000 Euro) pro Jahr zu fördern.


AUSGERECHNET DIE DEUTSCHEN

Bevor Škoda Auto Anfang der neunziger Jahre Teil des Volkswagen-Konzerns wurde, stellte das Unternehmen etwa 170.000 Fahrzeuge pro Jahr her und hatte eine einzige Modellreihe im Angebot. Die Marke war in den Staaten des damaligen Ostblocks zwar auch vor der Wende schon weit verbreitet. Das lag aber wohl daran, dass es nur wenig Konkurrenz gab, und vor allem keine aus dem Westen. Nach 1989 war schnell klar, dass die Firma keine Chance haben würde, auf dem freien Markt zu bestehen, auch wenn sie bereits ein neues Modell herstellte: den moderner als seine Vorgänger konzipierten Favorit. Die Regierung suchte deshalb im Ausland nach einem Investor. Interessenten gab es damals mehrere. Am Ende musste sich die Regierung zwischen den Angeboten des VW-Konzerns und des französisch-schwedischen Konsortiums Renault/Volvo entscheiden.

Die Gründung der Aktiengesellschaft besiegelten die Regierung und Vertreter von Škoda und Volkswagen im März 1991. Der damalige VW-Chef Carl Hahn bestätigte zugleich, dass der Konzern bis zum Jahr 2000 neun Milliarden D-Mark investieren werde. In Kraft trat der Vertrag am 16. April 1991. Anschließend erhöhte Volkswagen seinen Anteil schrittweise, bis der Konzern im Jahr 2000 hundertprozentiger Eigentümer der Aktiengesellschaft Škoda Auto wurde.

Für viele Tschechen war es vor 25 Jahren nicht einfach, dass ausgerechnet ein deutsches Unternehmen den Zuschlag bekam. Die wirtschaftliche Stärke des Nachbarlandes weckte Ängste, es wurde emotional debattiert und manche fühlten sich sogar an die Okkupation während des Zweiten Weltkrieges erinnert. Andere fürchteten, das westliche Kapital würde nur in tschechische Unternehmen fließen, um die Betriebe letztlich abzuwickeln und dadurch unliebsame Konkurrenten loszuwerden. Doch die Höhe der versprochenen Investitionen sprach für VW. Und ebenso, dass die Marke Škoda trotz der Fusion erhalten bleiben würde.

Mittlerweile hat der Konzern – von 1991 bis März 2016 –  mehr als 300 Milliarden Kronen (elf Milliarden Euro) in die Forschung und Entwicklung, die Einführung neuer Modelle und den Ausbau der Produktionskapazitäten bei Škoda Auto investiert. Mit rund 28.500 Beschäftigten ist das Unternehmen heute einer der größten Arbeitgeber Tschechiens. Fahrzeuge werden nicht nur in Mladá Boleslav sowie im nordböhmischen Kvasiny und Vrchlabí hergestellt und zusammengeschraubt, sondern auch in China, Indien, Russland, der Slowakei, der Ukraine und in Kasachstan.
Im vergangenen Jahr verkaufte das Unternehmen knapp über eine Million Fahrzeuge. Damit hielt es seinen Anteil von 1,4 Prozent am Weltmarkt. Am tschechischen Bruttoinlandsprodukt hatte die Firma 2014 einen Anteil von 4,5 Prozent. Sie war für etwa acht Prozent des hiesigen Exports verantwortlich. Zum wichtigsten Zielland für Škoda Auto hat sich in den vergangenen Jahren China entwickelt.