Ein Hauch von zarter Rätselhaftigkeit

Ein Hauch von zarter Rätselhaftigkeit

Lyrikband des Schriftstellers Vladimír Holan liegt in neuer Übersetzung vor

6. 3. 2013 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel; Foto: APZ

Es ist spezifischen historischen Umständen in der Entwicklung der tschechischen Geschichte geschuldet, dass der Dichter in den Ländern Böhmen, Mähren und Schlesien ein hohes Ansehen genießt. Hatte doch die tschechische Lied- und Dichtkunst einen entscheidenden Anteil daran, dass die Sprache am Leben erhalten blieb, auch wenn die Umstände eine politische Selbstbestimmung über Jahrhunderte hinweg immer wieder verdrängt hatten.

Vladimír Holan (1905–1980) verkörperte im 20. Jahrhundert diese Instanz einer kulturellen wie auch moralischen Stellvertretung. Gerade im vorliegenden Band lässt sich die prägende Wirkung der historischen Hintergründe auf die Verskunst Holans nachweisen. Die Lyriksammlung entstand in den Jahren zwischen 1937 und 1954 – also einer Zeit, die von der wachsenden Bedrohung Hitlers bis zur Erstarrung des Landes im Schatten Stalins geprägt ist.

Das Jahr 1937 markiert denn auch die Geburtsstunde des politischen Dichters Holan. Gleichsam als emotionales Gegengewicht, hat er diesen düsteren Jahren neben engagierter Lyrik auch poetische Zyklen von zum Teil strahlender Lebensfreude abgerungen – so die Bände „Lärmschatten“, „Ohne Titel“ und „Mozartiana“, die nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegen.

Kraft der Worte
In seiner Heimatstadt Prag hatte Holan die schmerzhafte Erniedrigung seines Landes durch die deutsche Besatzung erleben müssen. Seine anfängliche Begeisterung für die Befreiung durch die Rote Armee schlug nach dem kommunistischen Putsch im Februar 1948 in eine niederschmetternde Enttäuschung um, die in den fünfziger Jahren zuweilen in eine geradezu lebensbedrohende existentielle Krise umzukippen drohte. Das alles fand Eingang in das dichterische Werk Holans, wenngleich oft verschlüsselt und nicht in unmittelbarer, eingängiger Umsetzung.

Das beeindruckende Lebenswerk Holans war verschiedenen Strömungen und Weiterentwicklungen unterworfen. Seiner frühen Verabschiedung vom tschechischen Poetismus der zwanziger Jahre folgen in den Dreißigern klassizistisch anmutende Verse, die unter ihrer formalen Oberfläche mit geradezu verblüffenden Sprachexperimenten angereichert sind. Kennzeichnend für Holans Poesie ist eine stille, zuweilen geradezu erdrückende Wucht ihrer Bilder. Die dafür notwendige Sprache wird bei Holan eigenwillig geformt und auch neu entwickelt, wenn es an Ausdrucksmitteln gebricht. Zahlreiche Neologismen unterstreichen Holans Kraft, sich die Sprache für seine Zwecke zu unterwerfen.

Das belegt auch der Titel der ersten Gedichtsammlung des Bandes: „Lärmschatten“. Dem Leser eröffnen sich bislang ungeahnte Spielarten, über eine mögliche Schattenwelt des Lärms nachzudenken. Die Poesie erschafft hier Zugänge zu einer Region, die im Gegensatz zur hektischen Gegenwart steht. Die prosaische Wirklichkeit, die uns umgibt, ist freilich auch Holans Lyrik nicht fremd. Bestimmte Motive wie „Mittag“, „Apfel“, „Nachtigall“, aber auch „Wein“, „Rausch“, „Nacht“ oder „Duft“, „Kaffee“ kehren immer wieder.

Das Besondere aber liegt in den Parallelwelten, die subtil erschlossen werden. Besonders exemplarisch lässt sich das im Gedicht „Im Garten“ finden. In einem Hauch von zarter Rätselhaftigkeit wird der Leser in eine geheimnisvolle Doppelwelt eingeführt: „Das ist der Augenblick, der über / ein Brücklein jagt aus Vogelknochen, / so wie die Stille: leicht erschüttert…“. Es folgen etliche Beobachtungen von betörender Eindringlichkeit, die in einem Garten ermöglicht werden. Das Gedicht endet mit einer geradezu zerbrechlichen Hellsicht dieser Betrachtungen: „Solche Zärtlichkeit darfst du nicht trennen. / Schau, die Schnecke selbst hat aufgehört ihr Helikon zu spielen / und gießt den Speichel aus…“.

Juwel für Literaturfreunde
Holans Poesie des Nicht-Sagbaren gerät zuweilen in den Bereich der Ekstase, in einen flimmernden Raum aus Bildern, Atem und Sinnlichkeit. Eine hinzukommende Sprachkraft bildet dann ganz eigentümliche Muster in der Wahrnehmung aus. So klingt das Gedicht „Abend im Altweibersommer“ in einer so merkwürdigen wie zutreffenden Feststellung aus, wenn man eine spätsommerliche Szenerie ohne rationale Verkürzung auf sich wirken lässt: „Der Schneidbrenner der Grillen schafft / bis in den Herbst noch an den Gleisen“.

Mit dem vorliegenden zweiten Band der gesammelten Werke des Dichters liegt der mittlerweile vierte Teil einer auf 14 Bände angesetzten Gesamtausgabe vor. Diese ehrgeizige Unternehmung, die den Literaturwissenschaftlern Urs Heftrich und Michael Špirit zu verdanken ist, steht für eine hohe herausgeberische Sorgfalt. Ein kundig aufbereiteter wissenschaftlicher Apparat, der in den beiden tschechischen Holan-Gesamtausgaben übrigens nicht vorhanden ist, macht diese Bände zu einem bibliophilen Ereignis. Der Leser ist mit dieser Form der Vermittlung des hochdifferenzierten lyrischen Werkes von Vladimír Holan in besten Händen.

Vladimír Holan: Gesammelte Werke / Band 2: Lyrik II: 1937–1954. Lärmschatten. Ohne Titel. Mozartiana. Übersetzt und kommentiert von Urs Heftrich. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012, 451 Seiten, 29 Euro, ISBN 978-3-8253-5983-6