Nähend in die Arbeitswelt

Nähend in die Arbeitswelt

Mit einer Textilwerkstatt hilft der Verein Český západ sozialen Randgruppen

11. 5. 2016 - Text: Jana WagnerText und Foto: Jana Wagner

Zwischen Stoffen und fertigen Taschen sitzen Alžbeta Olahová und Alena Vavreková über ihre Nähmaschinen gebeugt. Flink schieben ihre Hände den Stoff unter der Nadel zurecht. Das Tackern der Maschinen mischt sich mit Radiomusik und dem vertrauten Gespräch der Kolleginnen. Außer Taschen stellen sie Schürzen, Turn- und Brotbeutel her – auch wenn sich der Verkauf ihrer Produkte wirtschaftlich nicht lohnt.

Die Textilwerkstatt in Teplá nahe Marienbad (Mariánské Lázně) gehört zum Verein Český západ (Böhmischer Westen). Bis der nächste Antrag auf EU-Fördergelder bewilligt ist, sind nur zwei Vollzeitstellen besetzt. Erst wenn die Finanzierung gesichert ist, können weitere Frauen an einer Schulung teilnehmen, Berufserfahrung in der Textilwerkstatt sammeln und so in den Arbeitsmarkt integriert werden. Viele der Frauen sind Angehörige der Roma-Minderheit, die oft besondere Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden.

Auf Olahová und Vavreková trifft das nicht zu. Sie waren auch nie lange arbeitslos, haben mal hier als Zimmermädchen gearbeitet, mal dort am Fließband gestanden. Sie wissen, wie schmerzhaft es ist, entlassen zu werden. „In dieser Region ist es sehr schwer, Arbeit zu finden“, sagt die 53-jährige Vavreková, die eine Ausbildung zur Schneiderin absolviert hat. Sie habe von der Textilwerkstatt gehört und dort eine feste Anstellung gefunden. Olahová ist 27 und hat nach ihrem Mutterschaftsurlaub vor 18 Monaten mit einer Schulung in der Textilwerkstatt begonnen. „Mir gefällt, dass die Arbeit abwechslungsreich ist, dass wir selbst zu Verbesserungen beitragen und während der Arbeit miteinander reden können“, erzählt sie.

Der Verein Český západ verfolgt ein seltenes Projekt in Tschechien. Neben klassischer sozialer Arbeit, die die Lebenssituation Einzelner verbessern soll, hat er eine ganze Gruppe im Blick: die nach tschechischem Terminus „sozial ausgeschlossenen“ Bewohner eines Plattenbaus in Dobrá Voda, einem Dorf in der Nähe von Teplá.

Dass die Frauen nach Teplá zur Arbeit fahren, ist Teil der Idee. „Die Reintegration in den Arbeitsmarkt oder ein erster Kontakt zu einer regelmäßigen Arbeit ist wichtig für die Eingliederung in die Gesellschaft“, findet Bohuslava Klabanová, die Leiterin der Textilwerkstatt. Dazu gehöre es auch, Zuverlässigkeit und Organisationsfähigkeit zu üben. Nach ihrer Aussage hat bis jetzt jede zweite Frau im Anschluss einen regulären Job gefunden.

Mehr als Broterwerb
In Dobrá Voda befinden sich diese Arbeitsstellen allerdings nicht. Nicht einmal ein Geschäft gibt es dort, ein Bus fährt nur zweimal am Tag. Gepflegte Einfamilienhäuser reihen sich aneinander. Und dann steht da noch, am Ortsrand, ein Plattenbau. Auch er sieht gepflegt aus. Eine Gruppe von Bewohnern kümmert sich darum. Das Gebäude stammt aus der kommunistischen Ära. In der vor dem Krieg von Deutschen besiedelten Region wurden Arbeitskräfte für die Landwirtschaft gebraucht, die in der Nähe ihrer Anstellung wohnen sollten.

Etwa 80 Menschen leben heute noch in dem Plattenbau, die meisten sind Roma, die Hälfte Kinder und kaum jemand kann sich ein Auto leisten, um das Dorf regelmäßig zu verlassen. Wer eines hat, kauft für Nachbarn und Freunde mit ein.

Laut dem Ministerium für Arbeit und Soziales hat sich die Zahl der Armenviertel (im Tschechischen spricht man von „sozial ausgegrenzten Orten“) in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Bis zu 115.000 Menschen leben in über 600 solcher Nachbarschaften. Das Leben in so einer Siedlung erschwere den Zugang zum Arbeitsmarkt enorm, sagt der 63-jährige Vorsitzende von Český západ Ladislav Lego. Arbeit sei aber nicht nur Broterwerb. Der Mensch brauche Arbeit, weil er gebraucht werden wolle.

Wer gebraucht werden will, findet bei Český západ eine Reihe von Angeboten. Das Gemeinschaftszentrum des Vereins steht direkt gegenüber dem Plattenbau. Die 38-jährige Anna Dunčeková ist selbst in einer solchen Siedlung aufgewachsen. Heute organisiert sie als Sozialarbeiterin regelmäßige Aktionen, mit denen das Dorf verschönert werden soll. Mal wird ein Sandkasten gebaut, mal ein Beet angelegt. „Wir haben zum Beispiel eine Hecke vor dem Plattenbau gepflanzt.“ Zunächst seien die Bewohner skeptisch gewesen und meinten, dass sie sowieso wieder zerstört würde. „Später schaute dann eine Frau aus dem Fenster und sah, wie auch die Kinder beim Spielen Rücksicht nahmen“, erinnert sich Dunčeková.

„Es ist der ständige Kontakt und die freundschaftliche Atmosphäre, die eine erfolgreiche Sozial­arbeit überhaupt erst ermöglichen“, findet der Vereins­vorsitzende. Dennoch sei die Situation schwierig. Ladislav Lego ist der Meinung, dass Diskriminierung oft unbewusst geschehe, Bilder aus den Medien hätten sich festgesetzt.

In der Textilwerkstatt haben bereits 14 Frauen gearbeitet und meist auch die Schulung durchlaufen. Zwei von ihnen sind mittlerweile der Arbeit wegen nach Karlsbad (Karlovy Vary) gezogen, auch wenn es ihnen schwerfiel, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen. Werkstatt­leiterin Klabanová hofft auf noch mehr Erfolgs­geschichten. Jeden Tag könnten die Fördergelder bewilligt werden, erzählt sie, und sie könnte weitere Frauen anlernen. Dann werden auch Alžbeta Olahová und Alena Vavreková gebraucht, um den Neuen unter die Arme zu greifen.