Tiere in Not
In der Rettungsstation in Jinonice werden jedes Jahr etwa 3.000 Patienten gepflegt
18. 5. 2016 - Text: Franziska Neudert
Norbert ist aufgeregt. Hektisch läuft er hin und her, schiebt seine Nase durch das Gitter und schnuppert nach dem Fremdling. Schließlich lässt er sich zurück auf den Boden fallen, es plätschert. Eine Toilette gibt es in Norberts Gehege nicht. Dafür ein Schwimmbecken. Schnell ist er ins Wasser geglitten, nur sein brauner Bauch und zwei große Augen schauen noch heraus.
Der Amerikanische Nerz ist ein Dauergast der Tierstation in Jinonice. Sein Leben sollte auf einer Pelzfarm enden, doch er ist entwischt. Ein Finder brachte ihn nach Jinonice. „Wir dürfen ihn nicht freilassen, weil diese Tiere hier nicht heimisch und für andere Arten gefährlich sind“, sagt Zuzana Pokorná. Seit vier Jahren arbeitet sie in der Tierstation, täglich zwölf bis 13 Stunden. „Es gibt Dinge, die haben nicht bis morgen Zeit“, sagt sie. „Das Leben eines Tieres kann nicht warten.“ Seit Frühjahr 2012 unterhält der städtische Forstbetrieb die Rettungsstation.
Sie ist eine von landesweit 30 Einrichtungen für verletzte oder elternlose junge Wildtiere. Und die einzige in Prag. Obwohl sie für das kleinste Territorium zuständig ist, hat sie die meisten Patienten. Derzeit werden etwa 400 Tiere gepflegt, pro Jahr sind es rund 3.000. Das liegt daran, dass es in Prag viele Biotope gibt – und viele Menschen. „Sie sind Risiko und Rettung zugleich“, sagt Pokorná. Im Straßenverkehr würden die meisten Tiere verwundet. Andererseits steige in einer dicht besiedelten Stadt die Wahrscheinlichkeit, dass sie gefunden werden.
Wer in Prag ein verletztes Tier entdeckt, sollte die Nummer 773 772 771 wählen – den Notdienst der Rettungsstation in Jinonice – und auf Anweisungen warten, rät Pokorná. Denn oftmals würden kerngesunde Jungvögel gebracht, die nur aus dem Nest gefallen sind. Spaziergänger halten sie oft für verletzt und entreißen sie ihren Eltern, obwohl diese sie wahrscheinlich wieder ins Nest holen würden. Etwa ein Drittel der Tiere landet in Jinonice, weil den Menschen solches Wissen fehlt.
Die Pfleger der Rettungsstation bekommen etwa die Hälfte der verletzten Tiere durch. „Es ist hart, Tiere sterben zu sehen“, sagt Pokorná. Einen anderen Beruf kann sie sich dennoch nicht vorstellen. In der Rettungsstation kümmern sich derzeit sieben Festangestellte und 15 Freiwillige um ihre „Babys“, wie sie Pokorná nennt. Dazu gehören vor allem Schwäne, Enten, Tauben, Falken und Stare sowie Igel, Füchse und Fledermäuse. Hunde und Katzen werden nicht aufgenommen. Haus- und Wildtiere dürfen nicht vermischt werden.
Antibiotika und Bachblüten
Die landesweit größte Tiernotstation ist ein Provisorium. In ehemaligen Schiffscontainern befinden sich ein Büro sowie Futter- und Pflegeräume, in denen sich die Käfige übereinanderstapeln. In mehreren Kisten liegen tote Mäuse und Küken – Nahrung für die Greifvögel und Füchse. „Das sind männliche Küken. Wir bekommen sie aus Deutschland. Dort würden sie geschreddert werden, da sie keine Eier legen“, so Pokorná. In einer Plastikbox ringeln sich Mehlwürmer.
Der größte Raum ist für die Vögel reserviert. Es ist laut: Elstern, Tauben, Stare, Amseln und Spatzen piepsen durcheinander, strecken ihre Schnäbel nach oben, um einen Wurm oder ein paar Körner zu ergattern. Fast rund um die Uhr muss ein Pfleger anwesend sein, denn die Jungtiere brauchen alle 15 Minuten einen Happen.
Im Krankensaal ist es ruhiger. Zwischen Tüchern schlummert eine Fledermaus, eine winzige flauschige Kugel. Ihr Herz pocht heftig. Pokorná öffnet den Käfig. Ob sie keine Angst hat, dass sie gleich davonfliegt? „Nein, sie muss erst wach werden. Es dauert eine Weile, bis sich Fledermäuse nach dem Schlaf bewegen können.“ Nebenan verzehren drei Igel ihre Mehlwürmer. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagt die 37-Jährige. „Igel können immer fressen. Wenn sie es nicht tun, dann steht es schlecht um sie.“ Zwei Etagen tiefer drängen sich fünf Fuchsjunge in eine Ecke. Ein Mann hat sie im Wald gefunden. Ihre Mutter hat vermutlich ein Jäger erlegt. Nun müssen sie aufgepäppelt werden. Zettel an den Käfigtüren verraten, mit welchem Futter die Patienten versorgt werden und ob sie Antibiotika oder Bachblüten bekommen.
Namen erhalten übrigens nur die Patienten auf Lebenszeit. „Wir geben den Tieren, die wir wieder freilassen, keine Namen. Wir wollen nicht, dass sie sich zu sehr an Menschen gewöhnen und zutraulich werden. Denn die Menschen sind nicht gut zu ihnen.“
Die Gäste bleiben zunächst im Innenraum. Wenn sie bei Kräften sind, dürfen sie raus in ein Gehege, bis sie wieder in die Freiheit entlassen werden. Das dauert unterschiedlich lang – manche Vögel dürfen schon nach zwei Wochen losfliegen, andere bleiben drei, vier Monate bis zu einem halben Jahr.
Helfer willkommen
Auf der Wiese stöbert Adélka durchs Gras. Die Pekingente ist zum Maskottchen der Rettungsstation geworden, wie Pokorná erzählt. Sie ist schon mehrere Jahre in ihrer Obhut und wird es auch bleiben. „Weil sie so zutraulich und nett ist“, so Pokorná. Das einst gebrochene Bein ist zwar verheilt, doch Adélka humpelt noch immer. Zu den Langzeitgästen zählen auch ein Uhu-Pärchen sowie zwei Schwäne. Die Tiere verletzen sich oft an den Stromleitungen der Straßenbahnen. „Zwar hat die Stadt Warnzeichen an den Leitungen angebracht, aber die sind sinnlos, da die Tiere sie nicht sehen können“, erzählt Pokorná. Stolz ist sie auf das neue Gehege für die Greifvögel. Unter einem weit aufgespannten Netz können sie sich im Fliegen üben.
Ansonsten fehlt es an vielem. Vor allem an Platz und Geld für den Ausbau der Rettungsstation. Die Stadt zahlt jährlich etwa drei bis vier Millionen Kronen (rund 110.000 bis 150.000 Euro), aber das Geld benötigen die Pfleger für Futter, Medizin und Transport. Freiwillige Helfer sind deshalb willkommen. „Natürlich wären Kenntnisse nützlich, aber sie sind keine Voraussetzung“, sagt Pokorná. „Was Tiere fressen und wie man sie pflegt, lernt man recht schnell.“
Bereitschaftsdienst: (+420) 773 772 771, www.lesypraha.cz
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