Mittler zwischen den Kulturen
Max Brod prägte den Begriff „Prager Kreis“. Sein literarischer Essay über die Schriftstellergruppe ist nun neu aufgelegt worden
25. 5. 2016 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Fotos: Willi Nowak/Galerie Ztichlá klika und Pablo Sanchez/CC BY 2.0
Zu seinen Lebzeiten zählte Max Brod zu den bekanntesten Autoren der deutschsprachigen Literatur in Prag, während Franz Kafka kaum eine Rolle spielte. Heute ist Brods umfangreiches Werk fast vergessen. Deshalb begannen die Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann und Hans-Gerd Koch vor drei Jahren mit der Herausgabe einer zwölfbändigen Ausgabe der Werke Max Brods. Vor kurzem erschien mit „Max Brod: Der Prager Kreis“ der elfte Band, eine von seinen persönlichen Erinnerungen geprägte Literaturgeschichte über die deutschsprachigen Prager Autoren.
Zur Gruppe dieser Schriftsteller zählte Brod einerseits den „engeren Prager Kreis“ um Franz Kafka, Felix Weltsch, Oskar Baum, Ludwig Winder und sich selbst – eine Gruppe, die er als „innige, freundschaftliche Verbindung“ bezeichnete. In enger Verbindung mit ihnen standen für Brod weitere Autoren wie Franz Werfel, Rainer Maria Rilke, Hugo Bergmann, Willy Haas und Johannes Urzidil, die er zum „weiteren Prager Kreis“ zählte. Das Werk beider Gruppen umspannt einen Zeitraum von 1900 bis 1938. Die Wurzeln des „Prager Kreises“ reichten Brod zufolge bis ins 19. Jahrhundert zurück. Zu seinen „Ahnen“ zählte er beispielsweise Marie von Ebner-Eschenbach, Bertha von Suttner und Adalbert Stifter.
Im Mittelpunkt von Brods Betrachtungen über den „Prager Kreis“ steht sein Freund Franz Kafka, mit dem ihn seit seiner Studentenzeit eine tiefe Freundschaft verband. Bekanntlich ist es Brod zu verdanken, dass Kafkas Werk Weltruhm erlangte, da er auf seiner Flucht vor den Nationalsozialisten dessen Schriften mitnahm und sie somit für die Nachwelt rettete. Kritisch wird von einigen Literaturwissenschaftlern Brods Versuch gewertet, Kafka als einen Anhänger des Zionismus zu interpretieren. Zum Zionismus hatte sich auch Brod, der ab 1939 in Israel eine neue Heimat fand, bekannt. Dabei wird man jedoch berücksichtigen müssen, dass der Prager Zionismus durch Martin Buber zutiefst humanistisch geprägt war und unter anderem für ein Zusammenleben von Israelis und Palästinensern eintrat.
Entschieden wehrte sich Brod gegen die von dem tschechischen Autor Pavel Eisner aufgestellte These, wonach die Autoren des „Prager Kreises“ durch eine dreifache „Ghettomauer“ isoliert gewesen seien: Als Juden seien sie von den Christen getrennt, als deutschsprachige Autoren von den Tschechen und als Angehörige einer gutbürgerlichen Klasse vom einfachen Volk. Das Gegenteil, so Brod, sei der Fall gewesen. Es gab „sehr wesentliche Freundschaftsstrahlen zu tschechischen Dichtern hin, zu Musikern, Malern und zu tschechischen Menschen aller Stände aller Klassen – ebenso zu deutschen und deutschjüdischen Gruppen in Wien, Berlin und anderen Städten, auch solchen in Böhmen.“
Gemeinsam war den Prager Autoren, die überwiegend jüdischer Abstimmung waren, dass sie ihre Werke in deutscher Sprache verfassten, aber auch die tschechische Sprache beherrschten. Ein wichtiges Anliegen der Gruppe war der Versuch, die Konflikte zwischen den tschechischen und deutsch-böhmischen Nationalisten zu entschärfen, die gerade in der Zeit des „Prager Kreises“ von 1900 bis 1938/1939 das politische und gesellschaftliche Leben prägten.
Brod selbst hat als unermüdlicher Brückenbauer nicht nur deutschen, sondern auch tschechischen Autoren wie Jaroslav Hašek und dem Komponisten Leoš Janáček zu Weltruhm verholfen.
Er lehnte es ab, sudetendeutsche Autoren in seine Arbeit einzubeziehen, da diese mit dem „Prager Kreis“ keinerlei Berührungspunkte gehabt hätten. Schärfer als Brod hat Johannes Urzidil bereits 1936 die deutschsprachige Prager Literatur von den völkisch-deutschnationalen Autoren abgegrenzt, die als Vertreter der sogenannten Grenzlandliteratur die Henleinpartei und dann die Nationalsozialisten unterstützten. Sie schürten bei den Deutschen den Hass gegen die Tschechen, erklärten Prag zu einer originär deutschen Stadt und bezeichneten beispielsweise Jan Hus als den „grimmigsten Feind des deutschen Volkes“. Diese Gruppe nationalsozialistischer Schriftsteller traf Urzidils Bannstrahl: „Um in der Welt zu gelten, bedürfen die Prager deutschen Dichter keines einzigen nach 1900 im sogenannten Sudetenland geborenen ,nichtjüdischen’ Dichters. Diese hingegen tuen gut daran, sich an jene zu halten, wenn sie überhaupt irgendwo außerhalb ihrer eigenen Zirkel bemerkt werden wollen.“
Brods literarischer Essay „Der Prager Kreis“ erschien 1966 zum ersten Mal. Seitdem hat er an Aktualität nichts verloren. Manche seiner Thesen bedürfen der Revision, so zum Beispiel sein abwertendes Urteil über die deutschsprachigen Prager Expressionisten, sein Versuch, Kafkas Schriften als zionistisch zu interpretieren, seine Kritik an Egon Erwin Kisch als einen Schriftsteller der Eitelkeit, sein geringes Interesse an der regional-böhmischen deutschsprachigen Literatur, soweit sie nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurde.
Brod hat die deutschsprachige Prager Literatur zu Recht als einen Höhepunkt in der deutsch-tschechischen Kulturgeschichte angesehen. Das wird auf tschechischer Seite nicht immer gebührend wahrgenommen. Wie kann man sonst erklären, dass an Brods Geburtshaus eine Tafel der Prager Kafka-Gesellschaft ihn als „Propagator tschechischer Kultur“ würdigt?
Brod blieb Zeit seines Lebens der deutschen Sprache treu, selbst nachdem er 1939 vor dem Terrorregime der Nazis nach Israel fliehen musste. Mehr als 80 Schriften, 18 Romane, Erzählungen, Essays und religiös-philosophische Betrachtungen verfasste Brod auf Deutsch. Ein weiteres Beispiel: Im Jahr 2014 wurde Prag als UNESCO-Literaturstadt ausgezeichnet. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Stadt für ihre Bewerbung bei der Darstellung der Prager Literatur die deutschsprachigen Prager Autoren nur am Rande erwähnte. Bleibt zu hoffen, dass es der vor einem Jahr gegründeten Kurt Krolop Forschungsstelle für deutsch-böhmische Literatur gelingt, dieses Defizit zu korrigieren und die Bedeutung Prags als Ort des Austausches zwischen tschechischer und deutschsprachiger Kultur aufzuzeigen, bei der Max Brod als Mittler zwischen den Nationalitäten eine überragende Rolle gespielt hatte.
Max Brod: Der Prager Kreis. Mit einem Vorwort von Peter Demetz. Herausgegeben von Hans-Gerd Koch und Hans Dieter Zimmermann. Wallstein-Verlag, Göttingen 2016, 344 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 3-8353-1795-4
„Markus von Liberec“
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