Jeder gegen jeden
Noch immer sorgt die geplante Polizeireform für Streit – aber auch für Anzeigen und eine ungewöhnliche Plakataktion
22. 6. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Fotos: APZ
Die Auseinandersetzung um die Polizeireform geht in die nächste Runde. Aus dem offen ausgetragenen Konflikt zwischen Innenminister Milan Chovanec (ČSSD) und Finanzminister Andrej Babiš (ANO) ist nun eine Art Stellvertreterkrieg geworden, in dem Tschechiens Polizeipräsident Tomáš Tuhý und der Leiter der Anti-Mafia-Einheit ÚOOZ in Ostrava Jiří Komárek die Hauptrollen übernommen haben.
Komárek sagte am Montag dem Tschechischen Fernsehen, Tuhý werde verdächtigt, für eine „brutale“ Weitergabe von Informationen in Bezug auf Wirtschaftskriminalität verantwortlich zu sein. Er wolle in dieser Angelegenheit vor einem Parlamentsausschuss aussagen und Beweise dafür liefern, dass die geplante Reorganisation von Elite-Polizei-Einheiten nicht erfolge, um die Arbeitsweise zu verbessern, sondern um den bisherigen ÚOOZ-Chef Robert Šlachta zu entmachten. Polizeipräsident Tuhý soll demnach Informationen in einem Fall weitergegeben haben, in dem es um mehrere hundert Millionen Kronen geht.
Tuhý wehrte sich gegen die Anschuldigungen gleich am Dienstagmorgen mit einem Gegenschlag. Bei der Generalinspektion der Sicherheitskräfte stellte er Strafanzeige und beschuldigte Komárek der üblen Nachrede und weiterer Straftaten. „Die Behauptungen sind unwahr, sie schaden dem Vertrauen der Bürger in die Polizei und mir als Polizeipräsident. Nicht zuletzt greifen sie auch in mein Privatleben ein“, erklärte Tuhý gegenüber tschechischen Medien.
Erst in der vergangenen Woche hatte Tuhý die umstrittene Polizeireform durchgesetzt, die unter anderem den Zusammenschluss der Anti-Mafia-und der Anti-Korruptions-Abteilung vorsieht. Aus dem Umfeld der Anti-Mafia-Einheit wurde ihm vorgeworfen, die Änderungen dienten vor allem dem Ziel, diese aufzulösen. Vor einer Woche hatte in diesem Zusammenhang die Staatsanwaltschaft in Olomouc Ermittlungen aufgenommen. Sie geht dem Verdacht nach, es handle sich bei der Reform um drei Jahre alte Pläne zur Absetzung Šlachtas. Inzwischen wurde bestätigt, dass die Verhöre in Olomouc in Zusammenhang mit einer angeblichen Verbindung von Polizisten und Straftätern standen.
Pläne unterzeichnet
Innenminister Chovanec sagte nach Komáreks Auftritt im Tschechischen Fernsehen, dass Polizisten sich an die Generalinspektion der Sicherheitskräfte wenden sollten, wenn sie ihre Kollegen einer Straftat bezichtigten.
Die geplante Restrukturierung der Polizei hatte bereits in der vergangenen Woche zu einer Koalitionskrise geführt. Während die Sozialdemokraten die Pläne als legitim betrachten, sieht die ANO-Partei darin eine Intrige gegen Šlachta. Die Restrukturierungsmaßnahmen wurden unterdessen von Juli auf August vertagt.
Chovanec hatte die Reformpläne als zuständiger Minister am Mittwoch vergangener Woche nach Absprache mit Sobotka unterschrieben – trotz vorausgegangener Proteste. Babiš hatte danach seine Drohung, die Koalition aufzukündigen, nicht wahr gemacht. Er nahm auch Abstand von seiner Forderung, Chovanec solle zurücktreten, verlangte aber, über eine Neufassung des Koalitionsvertrags zu verhandeln.
Medienwirksam hat sich inzwischen auch der Unternehmer Radim Jančura, Eigentümer des Transportunternehmens Student Agency, in die Debatte eingeschaltet. Er ließ dutzende seiner Autobusse mit großformatigen Bildern von Chovanec bekleben, zudem veröffentlichte er die Telefonnummern des Innenministers und des Premiers auf den Bussen – damit Bürger sich direkt an die beiden Sozialdemokraten wenden können, wenn sie ihnen die Meinung zur Polizeireform sagen wollen.
Grund für das Engagement sei die Angst, die geplante Zusammenlegung würde faire und unabhängige Ermittlungen in wichtigen Fällen beeinträchtigen, erklärte Aleš Ondrůj, Sprecher von Student Agency. Man wolle den inzwischen zurückgetretenen Šlachta unterstützen.
Auf den Bussen ist neben dem Bild von Chovanec die Aufschrift „Langer II.“ zu sehen, die an Ivan Langer erinnert. Der ehemalige Innenminister und stellvertretende Parteichef der ODS, der bis 2010 einer der einflussreichsten, aber auch umstrittensten Politiker Tschechiens war, wurde im Oktober vergangenen Jahres bei einem Einsatz der ÚOOZ festgenommen. Jančura sieht nun „die ČSSD auf den Spuren der ODS“.
Jančura ist nicht allein mit der Befürchtung, die Polizeireform ziele darauf ab, die Ermittlungen in großen Fällen einzustellen, in die Mafia-Paten und Politiker verstrickt sind. Ähnlich hatten sich bereits zu Beginn der Debatte mehrere unabhängige Experten geäußert.
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