Auf zu neuen Bäumen

Auf zu neuen Bäumen

Jiří Voda gehört zu den besten Arboristen des Landes. Das Klettern in den Ästen ist für ihn Sport und Beruf

29. 6. 2016 - Text: Jan NechanickýText und Fotos: Jan Nechanický

Wir stehen in der Innenstadt von Jihlava unter einer großen Buche mit riesiger Krone. „Das ist der beste Baum in der Stadt“, meint Jiří Voda. Mit Bäumen kennt er sich aus. Sie sind seine Leidenschaft – und sein Beruf. Jeden Tag klettert er an Stämmen und Ästen hoch und runter, kümmert sich um das Wohl der Pflanzen. Voda ist Arborist, ein Baumkletterer – also jemand, der für Baumpflege außerhalb des Waldes zuständig ist. In Parks, Alleen oder auf Friedhöfen, überall dort, wo Bäume Teil der Zivilisation sind, sägt er sie zurecht, damit sie den Menschen nicht gefährlich werden.

Voda packt seine Kletterausrüstung aus. Es wirkt, als würde sich ein Bergsteiger auf eine Expedition vorbereiten. Unter dem Baum liegen mehrere Seile, Sicherungen und Klettergurte. Sie wurden extra für Baumkletterer entwickelt. Etwa 2.000 Euro hat er in die Ausrüstung investiert. Auch wer ihn begleitet, muss einen Helm aufsetzen. Sobald man nämlich anfängt, an einem Baum zu arbeiten, besteht immer die Gefahr, dass etwas herunterfällt.

Verletzungen kommen laut Voda immer wieder vor. „Es ist gut, wenn man Respekt hat und vorsichtig arbeitet. Das Gefährlichste ist die Routine. Wenn man die immer gleichen Bewegungsabläufe hundertmal am Tag ausführt, ist es schwer, wach zu bleiben und keinen Fehler zu machen.“ Eine kurze Unaufmerksamkeit reicht und der Kletterer fällt vom Baum.

In diesem Baum klettert es sich in Jihlava am besten.

Bevor es in die Höhe geht, braucht Voda zunächst eine dünne Schnur mit einem kleinen Gewicht am Ende. Damit fängt jede Baumkletterei an. Das Gewicht wird hochgeworfen und soll an einem Ast hängen bleiben, der stark genug ist, um einen Menschen zu tragen. Nach ein paar Anläufen hängt die Schnur über dem richtigen Ast. Daran zieht Voda das Seil nach oben.

„Hier klappt das noch gut“, erklärt er. „Der Baum hat viele Äste und sie sind auch relativ niedrig über dem Boden. In Neuseeland etwa braucht man eine Armbrust, um die Schnur hochzuschießen. Dort fangen die Äste erst in 30 Metern Höhe an. So hoch kann man das Gewicht mit der Hand nicht werfen.“

Sobald das Seil hängt, kann man Sicherungsgeräte daran anbringen und sich hochziehen. Das beherrscht Voda auch gut. Sogar am besten in ganz Tschechien. Unter den Baumkletterern hält er immer noch den tschechischen Rekord –  15 Meter schaffte Voda in 15,19 ­Sekunden. Das Seil muss zunächst kurz belastet werden. Mindestens zwei Personen sollten an ihm hängen, um auszuprobieren, ob der Ast sicher ist. Voda nickt zufrieden. Der Ast hat den Test bestanden. Danach ziehen wir uns nacheinander an einem  Seil hoch.

Einfach ist es nicht, man braucht schon etwas Kraft, um voranzukommen. Und als Anfänger auch Zeit und ein bisschen Geduld, um die Sicherungsgeräte richtig zu bedienen. Voda dagegen bewegt sich mit Leichtigkeit durch die Baumkrone. Höhenangst plagt in offenbar nicht. Von einem Ast springt er auf den anderen und lässt sich dabei vom Seil tragen. Denn er darf die Äste nicht zu sehr belasten und den Baum möglichst nicht beschädigen.

Voda hält den tschechischen Rekord im Seilklettern.

Mit Abschluss ins Astwerk
Und wie wird man Arborist? Angefangen hat Voda mit Felsenklettern. Ein Freund brachte ihn zu dieser – unter Kletterern nicht ungewöhnlichen – Arbeit. In Tschechien gibt es mehrere Firmen, die Kurse anbieten. Für 10.000 bis 15.000 Kronen (etwa 370 bis 550 Euro) kann man dort lernen, wie man sich auf einem Baum bewegt, ohne sich und andere zu verletzen. Aber was man von einem Baum abschneiden darf, ohne ihn zu beschädigen, ist eine andere Sache. Dazu braucht man eine Ausbildung zum Arboristen. Man kann das Fach sogar studieren. Seit ein paar Jahren bietet zum Beispiel die Mendel-Universität in Brünn einen Bachelor­studiengang an. Dort ist auch Voda gerade als Student eingeschrieben.

Um als Arborist zu arbeiten, braucht man in Tschechien dagegen nicht viel. Oft reichen ein Seil und eine Säge. Denn die Städte und Gemeinden, die für die Baumpflege verantwortlich sind, kontrollieren oft gar nicht, ob die Baumkletterer ausgebildet sind. Nicht selten wählen sie stattdessen die Anbieter allein nach dem Preis aus.

Doch wenn sich jemand nicht richtig auskennt, kann es passieren, dass die Bäume zu stark verschnitten werden. „Je mehr man in den Baum schneidet, desto schlimmer ist es für ihn. Es kann dadurch zu Pilzbefall kommen, der dem Baum schadet“, erklärt Voda. „Und dann wird es gefährlich. Der Baum kann viel einfacher entwurzeln, obwohl er aussieht, als wäre er gesund.“

Ein Arborist sollte in erster Linie dafür sorgen, dass keine Äste herunterfallen. Er muss trockene Äste entfernen und beobachten, ob die Bäume richtig wachsen. Wenn die Äste aufeinander drücken, brechen sie leichter ab. Dem vorzubeugen ist auch Aufgabe eines Arboristen. Er kann Äste zum Beispiel einschneiden oder zusammenbinden. Dafür gibt es spezielle Seile, die zwischen den Bäumen hängen und im Wind halten.
Allmählich verstehen auch die Städte und Gemeinden, dass die Baumkletterer eine verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen. Das Fach rückt immer mehr ins öffentliche Bewusstsein und es gibt mittlerweile  sogar Arboristik-Zertifikate – ein tschechisches und ein europäisches. Dafür muss man Kurse absolvieren und Prüfungen ablegen. In Tschechien sind etwa 100 zertifizierte Baumkletterer unterwegs. Aber noch viel mehr unausgebildete.

Ein Arborist braucht genauso viel Ausrüstung wie ein Bergsteiger.

Auch Voda hat ohne eine Ausbildung angefangen. Er bildete sich aber ständig weiter und tut das immer noch – wie etwa mit seinem Studium. Davor studierte er Finanzmanagement, was ihn aber nicht erfüllte. Mittlerweile lebt er davon, dass er auf Bäume klettert und ist sehr froh über seine Entscheidung. „Es macht mir Spaß. Ich wusste nicht, was ich machen will. Erst die Bäume haben es mir gezeigt.“ Aufträge gibt es genug, jeden Tag macht er sich auf den Weg zu neuen Bäumen. An einem Tag kann er drei bis fünf bearbeiten. Auch in Deutschland und in der Schweiz hat er schon als Baumkletterer gearbeitet; ein Jahr verbrachte er in Neuseeland.

Erfolg in Österreich
Ein anderer Grund, warum Arboristik bekannter wird, sind die regelmäßigen Wettbewerbe. Auch Voda nimmt daran teil – und zwar mit Erfolg. 2014 war er tschechischer Meister, und auch sonst landet er immer wieder auf vorderen Plätzen. Im vergangenen Jahr hat er zudem die Meisterschaften in Österreich und der Slowakei gewonnen. Anfang April vertrat er Tschechien als einziger Kandidat bei der Weltmeisterschaft in den USA, wo er allerdings im hinteren Mittel­feld landete.

Bei solchen Wettbewerben wird in mehreren Disziplinen gekämpft. Alle sollen Situationen aus dem Arbeitsalltag eines Baumkletterers simulieren. Aus diesem Grund sind die Wett­bewerbe vor 40 Jahren überhaupt entstanden. Sie dienten dazu, Baumkletterer besser auf ihre Arbeit vorbereiten. Die Teilnehmer sollten das Verhalten in gefährlichen Situationen üben, vor allem Erste Hilfe und die Rettung eines Verletzten. Dafür kommt bei Meisterschaften eine 80 Kilo schwere Puppe zum Einsatz.

Daneben treten die Arboristen auch im Seilklettern und im Anbringen des Seils am Baum gegeneinander an. In einer weiteren Disziplin laufen sie möglichst weit auf einem Ast, an dem ein Messgerät angebracht ist. Es beginnt zu piepen, sobald sie den Ast zu stark belasten. Außerdem wird geprüft, wie schnell sich die Kletterer am Baum bewegen können, ohne ihn zu beschädigen. Gesägt wird bei Baumkletterwettbewerben nicht. „Da würde von den Bäumen nicht viel übrig bleiben“, lacht Voda. Wichtig sind stattdessen – wie bei der Arbeit selbst – Schnelligkeit, Geschick, Sicherheit und Naturschutz.

Etwa 50 Männer und Frauen kämpfen bei der Europameisterschaft um den Titel.

 


Klettern um die Wette: Europameisterschaft in Prag
Die Europameisterschaft im Baumklettern findet am Samstag und Sonntag, 2. und 3. Juli, in der Nähe des Planetariums im Prager Stromovka-Park statt. Rund 50 Männer und Frauen, die unter anderem aus Polen, Spanien, der Schweiz, Deutschland und England anreisen, werden um den Titel kämpfen. Die Tschechische Republik repräsentieren Tomáš Gut, Petr Vlček und Jiří Voda. Veranstalter sind die International Society of Arbroriculture und ihre tschechische Sparte Společnost pro zahradní a krajinářskou tvorbu.

Královská obora Stromovka, U Výstaviště 53, Prag 7 (Holešovice)