Der Erzähler gegen das Vergessen
Am Freitag starb Max Mannheimer. In Nový Jičín war er seit 2009 Ehrenbürger
29. 9. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Freud/CC BY-SA 3.0
Erzählen und immer wieder erzählen – das war seine Mission. Max Mannheimer, der 1920 in Nordmähren geboren wurde, hat auch mit über 90 nicht aufgehört, Kindern und Jugendlichen zu schildern, wie er den Holocaust überlebte. Am Freitag ist er im Alter von 96 Jahren in München gestorben.
Bis 1938 lebte Mannheimers Familie in Neutitschein, dem heutigen Nový Jičín. Max wuchs dort mit deutschen und tschechischen Kindern auf, besuchte die Synagoge und hatte seine ersten Freundinnen, wie er vor drei Jahren in einem Interview mit der „MF Dnes“ verriet. Sein Vater betrieb im Ort eine Kneipe, 1929 kaufte er ein Haus. „Wenn ich das Hotel Prag sehe, das damalige Hotel Heinrichshof, erinnere ich mich daran, wie meine Mutter mich dorthin schickte, um meinen Vater nach Hause zu holen, der ein leidenschaftlicher Kartenspieler war“, sagte Mannheimer 2013.
Seine Heimatstadt hat ihn 2009 zum Ehrenbürger ernannt. Gelebt hatte er dort aber schon lange nicht mehr. Zwar kehrte er nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zurück nach Mähren und schwor sich, nie mehr deutschen Boden zu betreten. Doch es kam anders, er verliebte sich in eine deutsche Widerstandskämpferin und ging mit ihr nach München.
Wer Mannheimer einmal bei einem Vortrag erlebt hat, der fragte sich, wie er so sachlich von all den Leiden berichten konnte, die die Nationalsozialisten ihm zwischen 1943 und 1945 in Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Dachau zufügten. „Ich muss das emotionslos rüberbringen, sonst trauen sich die Zuhörer nicht zu fragen“, hat er darauf einmal gesagt. Doch es hat lange gedauert, bis er so über seine Erlebnisse sprechen konnte. Erst ab den achtziger Jahren trat er als Zeitzeuge öffentlich auf und erzählte von seinem Schicksal.
Als Sohn jüdischer Eltern wurde Mannheimer 1943 mit seiner Familie nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Unermüdlich sprach er später über die Wachtürme, den Stacheldraht, die Scheinwerfer, die Baracken und die „Selektion“ in Auschwitz, bei der seine Eltern, seine Schwester und seine erste Frau in den Tod geschickt wurden. Nur Max und seine beiden Brüder wurden für „arbeitsfähig“ befunden. Mit Max überlebte nur einer seiner Brüder.
Am Anfang sei das Erzählen für ihn auch eine Therapie gewesen, erklärte er einmal. Später wollte er die Zuhörer vor allem vor den Gefahren einer Diktatur warnen und für Freiheit, Demokratie und Humanität kämpfen.
Ob er nie an Gott gezweifelt habe, wurde Mannheimer oft gefragt: „Ja, man verliert den Glauben an Gott, wenn man neben einem Toten aufwacht“, war seine Antwort. „Ich habe gezweifelt, aber ich habe trotzdem gebetet. Sicher ist sicher.“
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