Zusammenwachsen kostet Zeit
Arbeitsmarktinitiative EURES hilft beim Sprung ins Nachbarland
10. 10. 2012 - Text: Pit FiedlerText: Pit Fiedler
Europa wächst langsam zusammen. Vielmehr als in den Hauptstädten, die noch immer vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, entsteht das grenzenlose Europa an der Peripherie der Nationalstaaten. Fast so als wolle man von den Hauptstädten unbemerkt bleiben, entstehen immer weitere Euroregionen. Das sind regionale, grenzüberschreitende Partnerschaften, die ein Ziel verbindet: Staatsgrenzen sollen kein Hindernis mehr für die gemeinsame Entwicklung sein.
An der deutsch-tschechischen Grenze entstanden neben den bekannteren und älteren Euroregionen auch zwei EURES-Partnerschaften. Der Zusammenschluss Bayern-Tschechien wurde 2005 gegründet, die „TriRegio“ im Dreiländereck Böhmen, Polen und Sachsen 2007. Unter dem Akronym EURES versteckt sich der Name European Employment Services, eine der wichtigsten Arbeitsmarktinitiativen der Europäischen Union. Arbeitsverwaltungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände der beteiligten Länder verfolgen damit den ambitionierten Plan, in Europa unter Einhaltung der bestehenden nationalen Sozialstandards einen gemeinsamen Arbeitsmarkt zu schaffen. Momentan sind Regionen aus 21 Ländern an dem transnationalen Großprojekt beteiligt, das insgesamt über 1,2 Millionen freie Stellen europaweit anbietet.
Fehlende Deutschkenntnisse
Hauptakteure der europäischen Initiative sind die EURES-Berater. Sie bringen Arbeitsuchende und Arbeitgeber zusammen und helfen bei der Vermittlung von Auszubildenden und Studenten. Im Rahmen der EURES-Partnerschaft Bayern-Tschechien sind neun solcher Berater tätig. Größtenteils sind sie in grenznahen Arbeitsämtern und Niederlassungen der Arbeitsagentur zu finden. Ein Berater ist bei den deutschen Gewerkschaften, ein anderer bei der Wirtschaftskammer im westböhmischen Klatovy angesiedelt.
Petr Arnican ist seit 2006 Koordinator der EURES-Region Bayern-Tschechien. Glaubt man ihm, so wurde ein großer Schritt in Richtung eines gemeinsamen deutsch-tschechischen Arbeitsmarktes erst im vergangenen Jahr gemacht. Im Mai 2011 wurde die Arbeitnehmer-Freizügigkeit auch für alle Arbeitnehmer aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Ungarn und Tschechien Realität. Niemand aus diesen EU-Ländern muss sich seither noch um eine Arbeitserlaubnis bemühen und sich lästigen Verwaltungsverfahren unterziehen.
„Die Beschränkungen waren ein Desaster“, erinnert sich Arnican. Viele Tschechen hätten diese Maßnahmen zum Schutz des deutschen Arbeitsmarktes als Beleidigung empfunden, die Folgen seien noch immer zu spüren. Die EURES-Beraterin aus Pilsen Lenka Kastnerová erklärt warum: „Als Tschechien 2004 der Europäischen Union beigetreten war, sind viele Leute zum Arbeiten bevorzugt nach England oder Nordirland gefahren. Sie lernten eher Englisch als Deutsch, weil es dort keine Beschränkungen gab. Die Deutschkenntnisse fehlen jetzt.“ Wie sich die ebenfalls ab Mai 2011 eingeführte Dienstleistungsfreiheit für Deutschland auswirken wird, ist dagegen noch unklar.
Mangel an Fachkräften
Der Beratungsalltag macht deutlich, dass die in Deutschland dringend benötigten Fachkräfte auch auch auf dem tschechischen Arbeitsmarkt kaum mehr zu finden sind. Selbst der Markt für Hilfskräfte ist mehr oder weniger leergefegt. Gunter Oertel, der in der Arbeitsagentur Selb zuständig ist für Grenzpendler, kennt die Gründe. Die Löhne in Tschechien seien heute so hoch, dass man davon gut leben könne. Man würde es sich zweimal überlegen, das Hin- und Herfahren oder eine neue Wohnung und womöglich auch noch Sprachbarrieren auf sich zu nehmen, um in Deutschland arbeiten zu können.
Gleichwohl lässt sich von tschechischer Seite ein moderates Interesse für alle gewerblichen und technischen Stellen, für Berufe im Bereich Hotel und Gastronomie, Medizin und Pflege feststellen. Umgekehrt ist die Nachfrage bayerischer Arbeitssuchender etwa in der Pilsener Region nicht der Rede wert. Ausnahmen bilden Management- oder Führungspositionen, die längst international vergeben werden.
Beratung ist nur eine der Aufgaben der EURES-Mitarbeiter. Sie organisieren Veranstaltungen wie Jobbörsen und Seminare und entwickeln einschlägige Kooperationen wie zum Beispiel mit dem Eurocentrum, Tandem – dem Koordinierungszentrum deutsch-tschechischer Jugendaustausch, der Industrie- und Handelskammer (IHK), den Handwerkskammern, Universitäten und Schulen. Außerdem erarbeiten sie themenspezifische Broschüren und widmen sich der Pflege des Internetauftritts sowie Sozialer Medien.
Die Wirtschaftskammern Klatovy und Domažlice führen zum Beispiel gemeinsam mit der Handwerkskammer Regensburg ein EURES-Projekt zur Entwicklung der grenzüberschreitenden Lehrlingsausbildung in technisch orientierten Fächern durch. Und der Deutsche Gewerkschaftsbund Bezirk Bayern stellt unter anderem eine deutsch-tschechische Grenzgänger-Broschüre mit wichtigen Informationen zum Arbeits- und Sozialrecht, Steuern, Lebens- und Arbeitsbedingungen zur Verfügung.
In Pilsen – es ist ein erster Testfall – betreibt die Bundesagentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Arbeitsamt seit dem 1. Mai 2012 ein drei Mal im Monat besetztes Auslandsbüro. Mit Hilfe von EURES-BeraterInnen aus Bayern (Weiden, Schwandorf und Deggendorf) soll die Vermittlung von Arbeitskräften nach Deutschland erleichtert werden. Für Lenka Kastnerová, die Pilsener Beraterin, ist die Einrichtung eine belebende Konkurrenz für die Pilsener Region. Arbeitnehmer würden für dieselben Stellen gesucht, die auch in Pilsen unbesetzt sind.
Interkulturelle Bildung
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Arbeitsvermittlungen ist noch immer eine Herausforderung, deren Lösung ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz voraussetzt. Der Prozess der Vermittlung funktioniert zum Beispiel im Agenturbezirk Hof praktisch ganz anders wie in der Region Cheb. Auf der deutschen Seite werde, wie Oertel berichtet, durch eine Anfrage ein ganzer Apparat (zur Unterstützung bei der passgenauen Besetzung von Stellenangeboten, inklusive Tests, Praktika, Qualifizierungen etc.) angeworfen. Auf der tschechischen Seite verlasse man sich bei der Vermittlung eher auf die Verwaltung freier Stellen und die Nutzung persönlicher Kontakte.
Der Teufel steckt außerdem oft im sprachlichen Detail, etwa wenn an sich harmlose Begriffe aus den Bereichen Sozialversicherung oder Arbeitsrecht nicht übereinstimmen. Aus diesem Grund eignen sich EURES-BeraterInnen in Fortbildungen das Know-how zur Übersetzung des Fachvokabulars in beide Richtungen an. Das oft zitierte Zusammenwachsen kostet Zeit.
Wie wichtig eine kompetente Beratung vor dem tatsächlichen Sprung ins Nachbarland ist, zeigen auf besonders drastische Weise die Fälle, in denen bayerische Arbeitgeber in Form von versteckten Mindestlohnunterschreitungen oder illegalen Scheinverträgen die Unwissenheit tschechischer ArbeitnehmerInnen ausnutzen.
Unklare Zukunft
Trotz aller Erfolge sehen die EURES-Partnerschaften im zusammenwachsenden Europa einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Europäische Kommission schlägt für den Förderzeitraum 2014 bis 2020 vor, die transnationale Arbeitsvermittlung samt dem zentralen Internetauftritt und europaweiter Mobilitätsprogramme zur ausschließlichen Hauptaufgabe von EURES zu machen und alle nationalen grenzüberschreitenden Aktivitäten in Projekte zu verwandeln, die allein von den Mitgliedsländern im Rahmen des Europäischen Sozialfonds finanziert werden. Der Haken an dem Vorschlag ist, dass es fast ausgeschlossen zu sein scheint, dass dann noch grenzüberschreitende EURES-Projekte zum Beispiel im Dreiländereck Deutschland-Tschechien-Polen durchgeführt werden könnten, wenn alle drei beteiligten Länder selbst Anträge stellen müssen.
Zu den Zweifeln an der organisatorischen Realisierbarkeit von ESF-geförderten Dreiländer- oder auch nur Zweiländerprojekten kommt die Frage nach der Finanzierbarkeit aus den vergleichsweise kleinen ESF-Töpfen. Bislang stehen die Entscheidungen des Europäischen Parlaments und des Rats noch aus. Aber die Zerschlagung oder Schwächung der aktiven EURES-Grenzpartnerschaften ist am Ende nicht ausgeschlossen.
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