Goldener Boden
Viele Tschechen haben eine Leidenschaft für Pilze. Sie machen damit auch gute Geschäfte
12. 10. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton, Foto: APZ
Im Herbst braucht man in Tschechien im Prinzip nur zwei Wörter zu kennen, um zu wissen, wie es um das Land steht. „Houby“ lautet das erste; übersetzt heißt es „Pilze“. Und „rostou“ beziehungsweise „nerostou“ das zweite. Sie wachsen oder sie wachsen nicht. Es vergeht kaum eine Woche, in der die Tschechische Nachrichtenagentur nicht eines von beidem meldet. Und kaum ein Tag, an dem nicht irgendjemand einer Zeitung, Zeitschrift oder einem Onlineportal verrät, wann, wo und wie man sie am besten sucht und zubereitet. Dass es hierzulande gewiss mehr Pilzexperten pro Kopf gibt als sonst irgendwo auf der Welt, versteht sich von selbst. Denn „houby“ sind nicht nur Hobby und Volkssport. Sie sind auch Ehrensache.
Dabei schleichen nicht nur rüstige Rentner mit Körbchen in der Hand und gesenktem Blick durch tschechische Wiesen und Wälder. Auch junge Unternehmerinnen sind im Pilzfieber. Monika Paseková aus Ostböhmen zum Beispiel. Sie stellte kürzlich ihre Geschäftsidee bei einer Messe für aktive Frauen im Mutterschaftsurlaub vor. Mittlerweile hat sie drei Kinder. Nach der ersten Geburt suchte sie vergeblich nach Arbeit, bis sie auf einen Kurs für Pilzzüchter stieß. „Pilze sind unser Leben“, sagt sie heute. Nach 16 Jahren im Geschäft verbringe sie die meiste Zeit mit ihrem Ehemann auf Märkten, um Austernpilze, und Pfifferlinge zu verkaufen.
Einen ähnlichen Eindruck von der tschechischen Pilzleidenschaft vermitteln derzeit zahlreiche Ausstellungen, in der vergangenen Woche zum Beispiel im Südböhmischen Museum in České Budějovice. Besucher konnten sich dort etwa 220 Pilzarten ansehen. Und das, obwohl sie gerade mal wieder nicht so recht wachsen wollen. Die Zahl der Exponate im Südböhmischen Museum bezeichneten Pilzexperten daher als „überraschend hoch“, schrieb die Nachrichtenagentur.
Ein kleines Wunder
Schlimmer sah es in Südböhmen im vergangenen Jahr aus. Die traditionelle Schau musste damals mangels Pilzen ausfallen, wie sich Miroslav Beran, der zuständige Fachmann des Museums, erinnert. „Ich muss allen Mitgliedern des Pilzklubs danken. Wenn man bedenkt, welche Not derzeit in südböhmischen Wäldern herrscht, ist die Ausstellung ein kleines Wunder.“ Doch so fleißig die 25 Klubangehörigen auch gesammelt haben, an die 350 Fundstücke von vor zwei Jahren sind sie diesmal nicht herangekommen. „Sie wachsen einfach nicht“, seufzt Beran.
Es wird ihn wohl auch nicht trösten, dass wenige Tage vorher in Přerov bei Olomouc ein sensationeller Fund gelungen ist. Dort haben Pilzsucher erstmals in Tschechien einen seltenen Schafporlingsverwandten gesichtet. Die Art wurde vor einigen Jahren in Skandinavien entdeckt. Nun ist belegt, dass sie auch in den Beskiden wächst. Ansonsten sieht es aber auch dort dieses Jahr recht mau aus.
Ein wenig Hoffnung auf ein gutes Pilzjahr bleibt aber noch. Experten glauben, dass der Oktober besser ausfallen wird als der enttäuschende September. Immerhin hat es in den vergangenen Tagen geregnet, das dürfte die Sammler freuen. Und vielleicht macht ihnen auch die Statistik Mut: Im vergangenen Jahr, so wurde kürzlich gemeldet, trugen die Tschechen Waldfrüchte und Pilze im Wert von 5,89 Milliarden Kronen nach Hause. Das sind umgerechnet knapp 218 Millionen Euro. Und obwohl doch auch 2015 so viel über die schlechte Ausbeute gejammert wurde, waren es am Ende sogar etwa 40 Millionen Kronen mehr als im Jahr zuvor. Es gab zwar weniger Pilze, dafür aber mehr Beeren.
Wer Pilze nicht nur suchen, sondern auch finden will, hat statistisch gesehen wohl die größten Chancen in Mittelböhmen. Dort wird am meisten gesammelt, weil rund um die Hauptstadt auch viele Prager ihr Glück versuchen. Dass es beim Spaziergang durch den Forst einsam wird, braucht man übrigens nicht zu fürchten. Im vergangenen Jahr trug jeder Haushalt knapp zehn Kilo Pilze und Waldfrüchte nach Hause. Im Durchschnitt ging jeder Tscheche 22 Mal in den Wald.
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