Ringen um Anerkennung
Eine neue Generation von Regisseuren mischt die tschechische Filmszene auf
27. 3. 2013 - Text: Klaudia HanischText: Klaudia Hanisch; Foto: APZ
„Man muss jeden Film so machen als sei es der letzte“, sagte einst die große Regie-Legende Ingmar Bergman. Dieser Satz gilt vor allem für Erstlingsfilme, denn sie sind ganz besonders von der Gefahr bedroht, die letzten zu sein.
Matěj Chlupáček aus Liberec ist gerade einmal 18 Jahre alt. Der schlaksige Junge mit Vollbart und Hipster-Hornbrille macht gerne Witze. An diesem Donnerstag läuft sein großes Regiedebüt „Bez doteku“ („Ohne Berührung“) in den tschechischen Kinos an. Darin wird das Schicksal der sexuell missbrauchten Jolanda thematisiert. Keiner am Filmset wusste, wie jung der Regisseur wirklich war. Chlupáček ist noch in einem Alter, das man lieber nach oben zurechtbiegt, anstatt nach unten. „Dadurch, dass ich es verheimlicht habe, hatte die Crew mehr Respekt“, sagt der junge Filmemacher.
Während der Vorpremiere im Einkaufszentrum Hostivař ist Chlupáček nervös. Zusammen mit dem Schauspieler-Coach und einer der Darstellerinnen soll er sich gleich den Fragen des Publikums stellen. Er weiß nicht, was ihn dort erwartet. Beim „Febiofest“ habe das Publikum schwierige Fragen gestellt. Jede Szene wollten sie auseinandernehmen, erzählt Chlupáček.
„Es ist eine relativ neue Erscheinung im tschechischen Kino, dass Regisseure um die Zwanzig, Spielfilme drehen, die in den offiziellen Kinoverleih kommen“, so der Filmwissenschaftler und Kritiker Vojtěch Rynda. Dabei bringe ein junger Regisseur eine Reihe an Vorteilen – für die Vermarktung etwa. So wird „Bez doteku“ als „der Film des jüngsten tschechischen Regisseurs“ beworben. Zudem hätten die Filmemacher in ihren jungen Jahren die größte Motivation, es den anderen zu beweisen. „Sie wollen alles perfekt machen. Wenn ich selbst Produzent wäre und die finanziellen Mittel hätte, würde ich auch nach einem jungen Talent Ausschau halten und mich dann als sein Entdecker profilieren“, erklärt Rynda.
Außenseiter mit Glück
Tomaš Řehořek wird am Freitag 26 Jahre alt. Die tschechischen Filmfans mögen Řehořeks Werke mittlerweile ein bisschen zu präsent finden. Seit 2009 hat er vier Streifen in die tschechischen Kinos gebracht: „Proměny“, „Piko“, „Czech Made Man“ und „Signál“. Zudem drehte er mehrere Dokumentarfilme für das tschechische Fernsehen.
Geboren und aufgewachsen ist Řehořek in der südmährischen Kleinstadt Kyjov. Schon auf dem Gymnasium drehte er Mittellangfilme (zwischen 30 Minuten und einer Stunde Länge). Dann besuchte er die Filmschule in Zlín. Seinen Durchbruch schaffte er im Alter von 22 Jahren mit dem Sozialdrama „Proměny“ („Verwandlungen“). Neben der Regie und dem Drehbuch war er für die Kamera und den Schnitt zuständig. Zwar hätte der Film einige Mängel, doch zeigten sich die Kritiker von Řehořeks Talent beeindruckt. „Proměny“ wurde auf Filmfestivals in Paris, Atlanta, Phoenix und Brüssel gezeigt.
In Regelfall beginnt eine Regie-Karriere in Tschechien mit einem Abschluss an der FAMU, der berühmten Prager Filmschule, die solche Größen wie Agnieszka Holland und Miloš Forman hervorbrachte. Vielmehr noch als die Theorie werden dort Kontakte vermittelt. Chlupáček und Řehořek sind in dieser Hinsicht Außenseiter. Ersterer dreht zwar schon seit acht Jahren. Doch am Anfang, wie er sagt, waren es die typischen Spielereien eines Teenagers – „draußen mit Freunden“. Danach produzierte er einige Musikvideos und Werbespots. Richtige Kurzfilme oder sogar mittellange Filme – ein Genre, das für die meisten seiner Kollegen vor einem großen Filmdebüt quasi obligatorisch ist – hat er nie gedreht. Nicht einmal Abitur hat er.
Auch Řehořek war nie an der FAMU. „Dort wollten sie mich nicht. Doch ich hatte großes Glück, dass mein erster Film ein Erfolg wurde. Jetzt geht es auch ohne FAMU.“ Nach wenigen Monaten an der Filmschule in Zlín wurde ihm angeblich klar, dass er selbst die Initiative ergreifen muss: „Mit einigen Freunden wollten wir mit einem eigenständigen Projekt auf uns aufmerksam machen.“ So entstand sein Erstlingswerk „Proměny“.
Chlupáček und Řehořek gelten als Instinktfilmer, Autodidakten und Ausprobierer. Sie unterstreichen gerne den Vorrang der Praxis vor der Theorie und den eisernen Willen, der sie auszeichnet. Doch ohne die sogenannten Türöffner wären auch sie nicht so weit gekommen. „Eine Chance, professionelle Filme zu machen, bekommt man nicht so einfach. Nicht einmal in der Werbung, auch wenn einige Agenturen einem das Gegenteil weismachen wollen“, sagt Řehořek. „Ich hatte das Glück, die richtigen Leute zur richtigen Zeit zu treffen.“
Filme mit Abglanz
In den Filmen von Chlupáček und Řehořek möchte jedes Bild großes Kino sein. „Jede einzelne Szene ist in meinem Kopf bereits fertig gedreht“, sagt Řehořek. Doch es ist nicht alles Gold, was in ihren Filmen glänzt. Es ist vielmehr ein ikonologisches Kino aus zweiter Hand, dessen Figuren überstilisiert und aus Versatzstücken zusammengestellt sind. „Inspirationen ziehe ich aus jedem Film, den ich gesehen habe“, sagt Chlupáček.
In Řehořeks Filmen ist vieles Abglanz – von Bernardo Bertoluccis langen Kamerafahrten und durchdachten Farbkompositionen, der Atmosphäre in den Filmen des Koreaners Kim Ki-duk bis hin zur Dynamik von Guy Ritchie und dem „Dreck der Realität“ in den Dramen von Alejandro González Iñárritu. „Das Tempo, in dem er gedreht hat, muss ihn überfordert haben“, kritisiert Rynda. Vom Autorenkino habe sich Řehořek mittlerweile entfernt und sich in den letzten Jahren immer stärker zu einem Auftragsregisseur entwickelt.
Das Echo des Publikums
Die Kritik für „Bez doteku“ fällt durchwachsen aus. Zwar zeichnet Chlupáček überzeugend ein düsteres und aggressives Paralleluniversum, doch nach einigen Szenen kommt Langeweile auf. Die gewagten Sexszenen wirken überflüssig, die psychologischen Porträts flach. Der Film mutet wie ein überlanges Musikvideo mit Dialogeinlagen an.
„Vor jeder Projektion habe ich Angst, wie die Leute auf den Film reagieren werden. Dann muss ich mich dem Publikum stellen und die Rolle des Schöpfers, des Verantwortlichen übernehmen“, sagt Chlupáček. Die Phase, in der ein Film in den Kinos läuft, ist ausschlaggebend für den Verlauf der weiteren Karriere des Regisseurs. Genauso wie Aufführungen auf wichtigen Filmfestivals. Chlupáček weiß das: „Es ist wichtig, wie dein Film ankommt. Wenn er kontrovers diskutiert wird, ist das ganz gut“. Als er das sagt, erscheint der 18-Jährige plötzlich sehr erwachsen.
Am Ende der Diskussion in Hostivař ist Chlupáček sichtlich erleichtert. Das Publikum hat den Film gut aufgenommen. Er strahlt: „Es war super. Die Leute haben den Film interessant gedeutet und sie waren konstruktiv.“ An diesem Tag sieht er mit Optimismus in die Zukunft.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?