230 Jahre Ständetheater

230 Jahre Ständetheater

Eröffnet wurde es als deutschsprachige Spielstätte. Hier feierte man Mozart. Vor 93 Jahren besetzten Demonstranten gewaltsam das Haus und machten es zu einer tschechischen Bühne

3. 4. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: wikimedia

Die Reihe von Künstlern, die in der 230-jährigen Geschichte des Ständetheaters aufgetreten sind, ist beeindruckend: Schauspieler wie August Wilhelm Iffland, Ferdinand Raimund und Johann Nepomuk Nestroy standen hier auf der Bühne. Der Geigenvirtuose Paganini hat 1823 an sechs Abenden das Prager Publikum mit seinem Spiel fasziniert. Carl Maria von Weber, Anton Rubinstein, Karl Goldmark und Gustav Mahler haben zeitweise das Theater geleitet.

Am 21. April 1783 eröffnete das Ständetheater mit der Aufführung von Lessings „Emilia Galotti“. Sein Gründer, der Graf Franz Anton von Nostitz-Rieneck war von Joseph II. zum höchsten Staatsbeamten im Königreich Böhmen ernannt worden. Er gehörte zum aufgeklärten Adel und ersuchte 1781 den Kaiser, in Prag ein öffentliches Theater zu bauen. Gegen den Bau protestierte die Universität, weil das geplante Gebäude das benachbarte altehrwürdige Karolinum überragen würde. Auch der Magistrat der Stadt war gegen den Bau, weil er den Verkehr auf der damals verkehrsreichsten Straße der Prager Altstadt erheblich einschränkte. Doch der Kaiser bewilligte den Bau. Als Widmungsinschrift wählte Graf Nostitz „Dem Vaterland und den Musen.“ Er wollte durch das deutschsprachige Schauspiel und die italienische Oper die Bildung des Volkes im Sinne der Aufklärung fördern.

„Eine deutsche Schweinerei“
Untrennbar verbunden mit dem Ständetheater ist der Name  Wolfgang Amadeus Mozart. 1786 wird im Ständetheater seine Oper „Die Hochzeit des Figaro“ aufgeführt und löst begeisterte Zustimmung bei den Pragern aus. In Wien war die Oper nach der Uraufführung schon bald wieder aus dem Repertoire gestrichen worden. Offensichtlich ermutigt durch die Aufgeschlossenheit des Prager Publikums kommt Mozart ein Jahr später nach Prag, wo er die Oper selbst dirigiert. Außerdem kommt unter seiner Leitung im Ständetheater seine Symphonie Nr. 38 zur Uraufführung. Sie wird ein großer Erfolg und trägt seither den Beinamen „Prager Symphonie“.

Ein Jahr später steht Mozart wieder am Dirigentenpult des Ständetheaters, anlässlich der Uraufführung seiner Oper „Don Giovanni“. Einen Tag vor der Premiere der Oper wartet das Orchester immer noch auf die Noten zur Ouvertüre, die bis dahin nur im Kopf des Dirigenten bestand. Mozart, der sich sichtlich wohl in Prag fühlte, verbrachte den Abend scherzend im Kreis seiner schon ängstlich besorgten Freunde. Der erste Mozart-Biograf, der Prager Chronist Niemetschek berichtet: „Endlich, nachdem er sich satt gescherzt hatte, ging er gegen Mitternacht auf sein Zimmer, fing an zu schreiben und vollendete in einigen Stunden das bewundernswürdige Meisterstück.“ Wieder wurde Mozart vom Prager Publikum begeistert gefeiert, während es auf anderen europäischen Bühnen lange dauerte, bis die Oper ihren festen Platz im Repertoire fand.

1791 kam Mozart ein letztes Mal nach Prag, um anlässlich der Krönung Leopold II. zum böhmischen König im Ständetheater seine Oper „La clemenza di Tito“ aufzuführen. Der anwesenden Wiener Hofgesellschaft missfiel das Werk. Die Kaiserin kommentierte ihren Unmut gar mit den Worten: „ Eine deutsche Schweinerei.“ Anstoß nahm der Hof an der Darstellung des römischen Kaisers Titus, der großmütig seinen Widersachern Verschwörungen und Anschläge verzeiht. In den Augen der Familie des Kaisers eine bodenlose Naivität, da sie gerade aus Paris  die Nachricht erhalten hatte, dass die Schwester des Kaisers, Marie Antoinette, und ihr Mann Ludwig XVI. von den Revolutionären verhaftet worden waren. In ihren Augen war das französische Königspaar ein Opfer ihrer Großmut geworden.

In keiner anderen Stadt hat Mozart zu seinen Lebzeiten eine so große Zahl von Anhängern gewinnen können wie in Prag. Die Prager haben ihre enge Verbundenheit mit Mozart auch bei seinem Tod zum Ausdruck gebracht. Bekanntlich fand Mozarts Beerdigung in Wien 1795 ohne Begleitung von Familie, Freunden und Anhängern statt. Dagegen löste in Prag die Nachricht von Mozarts Tod große Betroffenheit aus. In der St. Nikolaus-Kirche auf der Kleinseite fand eine Trauerfeier statt, an der 4.000 Bürger teilnahmen. Die Prager können sich zugutehalten, dass sie eher als beispielsweise Wien, Salzburg, und Paris die hohe Qualität der Werke Mozarts erkannt haben. Das Ständetheater symbolisiert die enge Verbindung zu Mozart. Es ist das einzige erhalten gebliebene Theater, in dem zwei Opern von Mozart uraufgeführt wurden, wobei der Komponist persönlich am Dirigentenpult stand.

Unfrommes Haus?
Für den Gründer Graf Nostitz und den übrigen Prager Adel, der 1798 das Ständetheater übernommen hatte, war die Orientierung am deutschen Theater selbstverständlich. Gegenüber der deutschen Leitkultur hatte es das tschechische Schauspiel schwer, einen festen Platz im Repertoire zu bekommen. 1785 fand ein erstes Schauspiel in tschechischer Sprache statt, eine Übersetzung des deutschen Lustspiels „Der Deserteur aus Kinderliebe.“ Die Aufführung fand lebhaftes Interesse. „Der Besuch war ein derartiger, dass das Theater nicht alle Zuschauer zu fassen vermochte“ schrieb ein Zeitzeuge. Nach sieben weiteren Vorstellungen beendeten die Prager Adeligen das Experiment eines tschechischen Theaters mit der Begründung, dass das Niveau der tschechischen Stücke zu gering sei. Außerdem würden die meist aus den unteren Schichten der Bevölkerung stammenden  tschechischen Zuschauer die samtüberzogenen Sitze nicht pfleglich behandeln. Erst ab 1804 fanden an Sonn- und Feiertagen wieder Nachmittagsvorstellungen auf Tschechisch statt. Doch zwei Jahre später untersagte sie die adlige Aufsichtskommission mit der Begründung, dass Aufführungen an Sonn- und Feiertagen mit „Sittlichkeit und wahrer Frömmigkeit“ nicht zu vereinbaren seien.

Ab 1824 wurde im Ständetheater wieder für längere Zeit auf Tschechisch gespielt. In dieser Zeit hat sich vor allem Jan Nepomuk Štěpánek (1783–1844) um das tschechische Theater verdient gemacht. Zunächst war er Souffleur, dann Kassenbeamter, 1824 übernahm er die Leitung des tschechischen Schauspiels im Ständetheater. Er erweiterte das tschechische Repertoire erheblich. Selbst verfasste er zehn Stücke, unter anderem „Der Böhme und der Deutsche oder die Mühle an der Grenze“ (1816). Er übersetzte 130 Schauspiele ins Tschechische, darunter Dramen  von Grillparzer und Schiller. Zudem übertrug er Opernlibretti von Mozart und Carl Maria von Weber. Etwa 100 Opernaufführungen in tschechischer Sprache fanden unter seiner Leitung statt. Und sie fanden viel Zuspruch. Sogar viele Deutsche zogen sie den deutschen Aufführungen vor.

Rivalitäten
Nach 1848 verschärften sich die Konflikte zwischen den Böhmen und den Deutschböhmen. Der Ruf nach einem eigenen tschechischen Nationaltheater wurde immer lauter. „Sollen wir Tschechen weiter für ein deutsches Theater bezahlen und trotzdem dort um eigene Aufführungen betteln müssen?“, schrieb der Dichter Jaroslav Vrchlický. So war das Theater die erste Landesinstitution, die zwischen beiden Volksgruppen geteilt wurde. Als die Finanzierung gesichert war und die böhmische Landesversammlung den Bau eines tschechischen Interimstheaters genehmigt hatte, fand 1862 mit Goethes „Götz von Berlichingen“ die letzte tschechische Aufführung im Ständetheater statt. Die Schauspielerin Eliška Peškova beschreibt in ihren Erinnerungen die zunehmenden Spannungen zwischen deutschem und tschechischem Ensemble in den letzten gemeinsamen Jahren. Danach verließen die meisten tschechischen Mitglieder das Ständetheater. „Oft trug es sich zu, daß nach der tschechischen Nachmittagsvorstellung (an der die Direktionskasse oft gut verdient hat), wenn die deutschen Schauspielerinnen in die Garderobe kamen, diese in unserer Gegenwart Fenster und Türen aufreißen ließen, um angeblich den tschechischen Mief auszulüften! So manche deutsche Schauspielerin wollte nicht einmal denselben Stuhl wie unsereins benutzen, solche Demütigungen mußten wir in unserer eigenen Heimat hinnehmen!“

Fragwürdiger Sieg
Bis 1920 blieb das Ständetheater eine rein deutschsprachige Bühne. Das Niveau der Stücke konnte mit dem des neu gegründeten tschechischen Nationaltheaters und dem Neuen Deutschen Theater jedoch bald nicht mehr mithalten. Der Spielbetrieb wurde reduziert, bis nur noch an Sonntagen Programm lief. Man richtete im Gebäude ein Kino ein, um mit den Einnahmen die drohende Schließung zu verhindern.

Am 16. November 1920 besetzten tschechische Demonstranten gewaltsam das Haus. Schon ein Jahr zuvor hatten Mitglieder des Ensembles am tschechischen Nationaltheater gefordert, das Ständetheater den Tschechen zu übergeben, da die Deutschen mit dem Neuen Deutschen Theater seit 1883 ein eigenes großes Schauspielhaus besaßen. Auf dem Wenzelsplatz eskalierten im November antideutsche und antijüdische Demonstrationen. Es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen deutsche und jüdische Geschäfte sowie gegen deutsche Zeitungsredaktionen. Die Besetzer griffen die Parole „Das Ständetheater dem Volk“ auf. Bereits am Abend führte das Ensemble des tschechischen Nationaltheaters Smetanas „Verkaufte Braut“ auf. Als einen Akt der „Vergeltung für kulturelles Unrecht“ rechtfertigten die Schauspieler die Besetzung. Politische Parteien verurteilten überwiegend die gewaltsame Übernahme. Staatspräsident Masaryk war so empört, dass er das Ständetheater nie wieder betreten hat. Die Beziehungen zwischen dem deutschen und dem tschechischen Theater der Stadt waren bis in die 30er Jahre hinein empfindlich belastet.

Die Besatzer hatten einen fragwürdigen Sieg errungen, denn das Theater war in einem schlechten Zustand. Ohne eine gründliche Sanierung konnte es als zweite Bühne neben dem Nationaltheater nicht genutzt werden. Erst die Restaurierung des Theaters zwischen 1983 und 1991 gab dem Gebäude seine alte Schönheit wieder und schuf die technischen Voraussetzungen dafür, dass das Ständetheater heute als dritte Bühne neben dem Nationaltheater und dem ehemaligen Neuen Deutschen Theater genutzt wird.