„Ein kritischer Poet“
Jan Řepka interpretiert Lieder des Schweizer Mundart-Musikers Mani Matter – auf Tschechisch
23. 11. 2016 - Interview: Stefan Welzel, Titelbild: Jan Řepka
Hans Peter „Mani“ Matter ist den wenigsten jenseits der Schweizer Grenzen bekannt. Jedoch gibt es kaum einen deutschsprachigen Eidgenossen, der kein Matter-Lied zitieren könnte. Der berühmteste Chansonnier des Landes ist eine Ikone, die 1972 tödlich verunglückte. In der vergangenen Woche hat der Prager Jan Řepka ein Album mit Matter-Stücken auf Tschechisch herausgebracht. Im Gespräch mit PZ-Redakteur Stefan Welzel erklärt der 34-Jährige, welcher Zauber in den Reimen des Schweizers liegt – und wie er diese ins Tschechische übertragen hat.
Wie kamen Sie in Kontakt mit Mani Matters Musik?
Vor über zehn Jahren lernte ich beim Singer-Songwriter-Festival in Tábor eine junge Schweizerin kennen. Ein Jahr später besuchte ich sie in ihrer Heimat und hörte zum ersten Mal Mani Matter. Seine Musik begeisterte mich sofort, auch wenn ich die Wörter nicht verstand. Und Matter wurde mir als der bedeutendste und beste Schweizer Liedermacher angepriesen. Das machte mich neugierig.
Und was faszinierte Sie?
Meine Schweizer Freunde halfen mir, die ersten Matter-Texte zu verstehen. Seine Musik ist sehr komplex, handwerklich-künstlerisch hochwertig und textlich äußerst dicht. Matter war ein hervorragender Dichter.
In der Schweiz galt Matter als witziger Liedermacher, der in den sechziger Jahren alle Geschmäcker bediente. Doch versteckte sich oft subtile Gesellschaftskritik in seinen Werken. Wie verstehen Sie, mit dem Blick eines Ausländers, Matters Botschaften?
Ich kenne mich mit der Schweizer Politik und Gesellschaft jener Zeit zu wenig aus. Matter war ein politischer Mensch – aber im weiteren Sinn. Er war in der Bewegung „Junges Bern“ aktiv, die sich für progressive Ideen und Werte einsetzte. Das war aber keine Partei. Er war viel mehr philosophisch als politisch orientiert. Und er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, weshalb er wohl auch Jurist wurde. In seinen Liedern arbeitete er oft zwei Meinungen heraus, um am Schluss zu einem Konsens zu gelangen. So zum Beispiel im Stück „Ir Ysebahn“ („In der Eisenbahn“). Er war ein kritischer, aber eher unparteiischer Poet.
Ist das eine Parallele zum Künstler Jan Řepka?
Vielleicht. Auch ich bin ein kritischer, vor allem aber selbstkritischer Mensch. Matter war streng zu sich selbst, perfektionistisch fast schon. Aber auch humorvoll. Das Schöne an Matter ist, dass er durch seine Kunst als Mensch sehr gut fassbar ist. Unterm Strich gibt es schon einige Parallelen.
Sie haben Verwandte Matters getroffen. Wie war das?
Nachdem ich schon ungefähr zehn Stücke übersetzt und eingespielt hatte, traf ich Matters Witwe Joy in einem Berner Café. Zuvor bat ich in einer E-Mail um die Erlaubnis, seine Lieder übersetzen und auf Tschechisch interpretieren zu dürfen. Es war gar nicht so einfach, ihr zu erklären, warum ich das mache. Hinzu kam, dass die Familie äußerst vorsichtig mit Matters künstlerischem Erbe umging.
War Joy Matter sehr erstaunt, dass sich ein Tscheche so intensiv mit dem Werk ihres verstorbenen Mannes auseinandersetzt?
Ich denke, die Familie hat mich und mein Anliegen lange nicht ernst genommen. Bis ich Frau Matter getroffen habe. Sie war auch bei meinem Konzert in Bern. Spätestens da muss ich sie wohl überzeugt haben.
Texte Matters zu übersetzen ist das eine. Dass sie in einer anderen Sprache aber ähnlich gut funktionieren, ist eine ganz andere Sache. Wie sind Sie vorgegangen?
Mit der tschechischen Sprache lässt sich ziemlich gut reimen. Bezüglich Rhythmus, Betonung und Grammatik ist sie nicht so weit von der deutschen entfernt. Aber Matters Lieder sind ja im Berner Dialekt gehalten. Und der Unterschied zum Schriftdeutschen ist beträchtlich. Wenn man eine Zeile aus einem Matter-Lied auf Hochdeutsch schreibt, so kommt nicht selten ein doppelt so langer Satz heraus. Daran wird die Dichte von Matters Texten besonders deutlich. Ein deutsches Verb mit vier Silben hat im Berner Dialekt unter Umständen nur eine einzige. Das stimmig in eine andere Sprache zu übertragen, war kompliziert. Ich musste im Vergleich zu Matter vermehrt auf Assonanzen, also auf Halbreime setzen.
Von der ersten Übersetzung bis zur Veröffentlichung Ihres Albums „Rozjímání o sendviči” („Betrachtungen über ein Sandwich“) vergingen rund sechs Jahre.
Ich nehme mir für Übersetzungen, aber auch für eigene Liedtexte, stets viel Zeit. Ich brauche das, um das nötige Maximum an Konzentration zu erreichen. Auf der anderen Seite habe ich einmal zwölf Lieder, also ein Drittel des Albums, in nur zehn Tagen geschafft. Es kam vor, dass ich die ganze Nacht durcharbeitete und dann die Werke meinen Mitbewohnern am Frühstückstisch vorspielte. Und dann gab es Phasen, in denen ein halbes Jahr gar nichts ging.
Wie waren die ersten Reaktionen Ihrer tschechischen Zuhörer?
Durchwegs positiv, wie zuletzt bei der Plattentaufe im Salon des Prager Hauptbahnhofs. Da gab es einige Lacher. Viele, die meine Lieder schon kannten, haben auch mitgesungen.
Matters Wortwitz ist sehr subtil und oft melancholisch. Das erinnert an den tschechischen Sinn für Humor. Wäre ein tschechisch singender Matter auch in der damaligen Tschechoslowakei erfolgreich gewesen?
Schwer zu sagen. Es gibt kaum vergleichbare tschechische Künstler aus jener Epoche. Anfang der sechziger Jahre konnte man kaum frei heraus singen, was man wollte. Während des Prager Frühlings dann schon eher. Diese Phase war jedoch sehr kurz. Der Typ Chansonnier kam bei uns erst in den siebziger und achtziger Jahren mit Sängern wie Jaromír Nohavica oder Karel Plíhal auf. Vor allem Plíhal erinnert mich mit seinem absurden Humor an Matter. Aber in der Schweiz gibt es kaum jemanden, der Matter nicht kennt und schätzt. Eine ähnliche Popularität dieses Typs von Musiker kann ich mir in Tschechien nicht vorstellen.
Welches Stück ist Ihr persönlicher Favorit?
Ich habe kein Lieblingslied. Es sind so viele, die ich mag. Eine besondere Beziehung habe ich zu seinem allerletzten Stück, das er kurz vor seinem Tod geschrieben hat: „Nei säget sölle mir“ („Nein sollen wir sagen“) – ein sehr trauriges, aber auch gesellschaftskritisches Lied. Und eines der unbekanntesten, denn er hat es nie aufgenommen. Es hat einen besonderen Grundton, eine Melancholie, die hier in Tschechien wohl gut ankommen dürfte.
Rozjímání o sendviči. 36 Lieder von Mani Matter auf Tschechisch. Übersetzung, Gesang und Gitarre: Jan Řepka, Prag 2016
Mani Matter
Der 1936 geborene Berner Autor und Chansonnier prägte mit kurzen, oft absurd-komischen, manchmal nachdenklichen und sprachlich stets raffinierten Liedern Generationen von Schweizer Kindern. Seine Werke stehen seit Jahrzehnten auf dem Lehrplan sämtlicher Grundschulen. Der Jurist und Hobbymusiker begann in den frühen sechziger Jahren, seine verspielten Reime und poetischen Texte instrumental zu begleiten. Gesang und Gitarrenspiel waren an die Musik des französischen Schriftstellers und Liedermachers Georges Brassens angelehnt. Obwohl er sich in der Schweizer Öffentlichkeit schnell als „Everybody’s Darling“ etablierte, blieb Matter seinem zweifelnden und progressiven Geist treu. Außerhalb der Schweiz wurde er nie bekannt, was wohl in erster Linie am starken Berner Dialekt lag. Bemerkenswerte Popularität erreichte sein Song „Hemmige“ („Hemmungen“) in den neunziger Jahren in Frankreich. Der zweisprachige Schweizer Sänger Stephan Eicher interpretierte das Lied als Folkrock-Version, die bis heute tausende Fans in Originalsprache mitsingen, wobei nur wenige den Text verstehen. Matter starb 1972 bei einem Verkehrsunfall – mit nur 36 Jahren und auf dem Weg zu einem Auftritt.
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