Abgründe der menschlichen Seele

Abgründe der menschlichen Seele

Provokante Collagen von Martin Gerboc in der Galerie Vernon

22. 1. 2014 - Text: Nina MoneckeText: Nina Monecke; Foto: Galerie Vernon

 

Die Ambivalenz des menschlichen Geistes beschäftigt Kunst und Literatur schon seit Jahrtausenden. Sie ist Quelle und Inspiration von Sagen, Mythen, Komödien oder Dramen. Im Zuge des zivilisatorischen Fortschritts erhöhte sich die Relevanz der Psychologie. Robert Louis Stevenson greift in seinem Klassiker der modernen Horrorliteratur „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll and Mr. Hyde” das Motiv der Schizophrenie auf. Hat der Mensch tatsächlich zwei Gesichter? Ist er ein gespaltenes Wesen mit einer guten Seite, die der Öffentlichkeit präsentiert wird und einer negativen, die im Verborgenen schlummert und ihn zu Gräueltaten zwingt?

Dem dunklen Teil unserer Psyche hat sich der slowakische Künstler Martin Gerboc verschrieben. Seine Arbeiten spielen mit der Ästhetik des Grauens und des Bösen, mit Angst und Wut und zeigen die seelischen Abgründe in seiner dunkelsten und chaotischsten Essenz.

Die Ausstellung in der Galerie Vernon zeigt mit musikalischer Untermalung lebensgroße Fotocollagen, die sich am Rande der Toleranz- und Ekelgrenze bewegen. Frei übersetzt lautet der Name der Schau: „Schatten. Ich habe Angst vor dem Schlaf wie manch einer vor einem tiefen Loch.“ Ein sehr eigenwilliger Titel. Ob manche der Fotografien mit echtem oder Kunstblut übergossen sind, bleibt Spekulation. Insbesondere das Exponat „Der Tod des Pinocchio” steckt voller provokanter Details, die vor allem das Thema Religion harsch angehen. In diesem Bild ist der Heiland der Christen als sterbender Pinocchio, als scheinheiliger Lügner dargestellt. Die tätowierten Männer, die um ihn herum stehen, tragen zahlreiche sozial geächtete Symbole am Leib. Auf den nackten Oberkörpern lassen sich ein Hakenkreuz, ein Skinhead-Emblem und Hardcore-Sinnbilder wie das der Punk-Band „Agnostic Front” entdecken.

Ebenso schockierend sind die Videoinstallationen. Darin wird unter anderem das Leben der für ihre Wespentaille bekannten Christina Slate erzählt. Die umstrittene Schauspielerin wirkte in Sado-Maso-Erotikfilmen mit und starb binnen eines Jahres an den Folgen der Härte der Genre-Praktiken.

Gerbocs Bilder sind jedoch nicht nur bildende Kunst. Sein visuelles Schaffen weist starke Bezugspunkte zur deutschen und französischen Literatur sowie zur Philosophie der Moderne auf. So lässt sich der Künstler von den Gedanken von Brecht, Foucault, Sartre und Baudelaire inspirieren und die Gemälde und Grafiken von Francisco de Goya oder NS-Propagandakunst mit in seine Bilder einfließen. „Gerboc dekonstruiert ein Bild nicht allein auf visueller Ebene, sondern als Sprache“, erklärt Kurator und Historiker Petr Vaňous. Sein Anspruch ist damit umfassender und radikaler. Er zerlegt das traditionelle Verständnis der Malerei und setzt es literarisch-philosophisch wieder zusammen. Gerboc provoziert bewusst. Der Betrachter soll nicht nur passiv rezipieren, sondern sich selbst mit grundlegenden Problemen der menschlichen Existenz auseinandersetzen. In seiner Fähigkeit mehrere Kunstformen miteinander zu verknüpfen, liegt der künstlerische Wert Gerbocs.

In all seinen Werken spielt der 42-Jährige mit gesellschaftlichen und sexuellen Tabus, greift Ideologien auf und versteckt politische Statements. So tragen seine Bilder eine kritische Eindringlichkeit in sich, lassen den Rezipienten aber auch verwirrt und verstört zurück.

Für Besucher, die wie Gerboc im Dunkel der menschlichen Seele dennoch etwas Ästhetisches oder zumindest Interessantes entdecken können, hält diese Schau einiges bereit. Bei der zeitintensiven Betrachtung der Bilder ist man jedoch auf sich allein gestellt – abgesehen vom Titel des jeweiligen Werks gibt es keinerlei inhaltliche Informationen. Die Bilder stehen allesamt zum Verkauf. Die Preisspanne liegt zwischen 1.000 und 7.000 Euro. Es ist zudem die letzte Ausstellung in der Galerie Vernon vor ihrem anstehenden Standortwechsel.

Martin Gerboc: Shadows. I’m afraid of sleep just as one is afraid of a large hole. Galerie Vernon (U Průhonu 22, Prag 7), geöffnet: Mi., Do. & Sa. 13–18.30 Uhr, Eintritt: 30 CZK, bis 28. Februar