Allzeit bereit
Tausende Kinder fahren in den kommenden Monaten ins Pfadfinderlager. Die wechselvolle Geschichte der tschechischen „Skauti“ reicht mehr als 100 Jahre zurück
24. 6. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Junák – český skaut
Die Schulbücher sind schon im Schrank verstaut, die Wanderrucksäcke aus dem Keller geholt. Nicht mal mehr eine Woche dauert es, bis am 1. Juli die großen Ferien beginnen. Für viele Kinder und Jugendliche in Tschechien dürfen Schlafsack, Halstuch und Gitarre nicht fehlen: Sie verbringen einige Tage bis mehrere Wochen des Sommers in einem Ferienlager der Pfadfinder.
An 1.040 Orten im ganzen Land werden die „Skauti“, wie die Pfadfinder auf Tschechisch heißen, in den kommenden Monaten ihre Zelte aufschlagen. Sie sind traditionell der größte Veranstalter solcher Sommerangebote für Kinder – mit wachsendem Zulauf. Rund 27.000 Teilnehmer haben sich in diesem Jahr angemeldet, etwa 4.000 mehr als im vergangenen. Als einen Grund dafür nennt der Verband Junák die Tatsache, dass das Interesse an den Pfadfindern allgemein steige. Zeltbau und Paddeln, Singen am Lagerfeuer und ockerfarbene Hemden sind offenbar auch mehr als hundert Jahre nach der Gründung des ersten tschechischen Pfadfinderstammes nicht aus der Mode gekommen. Für die Ferienlager spricht aber auch der Preis. Nur etwa 800 bis 1.000 Kronen (29 bis 37 Euro) zahlen Eltern für eine Woche Rundumbetreuung samt Abenteuer. Denn die Pfadfinder wollen mit ihren Angeboten keine Gewinne machen. Die Betreuer sind Ehrenamtliche, die eine Prüfung unter anderem in den Fächern Pädagogik, Recht, Hygiene und Sport absolviert haben.
Nicht zuletzt sollten sie auch mit den Grundsätzen der Pfadfinder vertraut sein, die der Prager Pädagoge Antonín Benjamin Svojsík im Jahr 1911 auf einer Reise nach Großbritannien kennenlernte. Dort hatte der britische General Robert Baden-Powell vier Jahre zuvor das erste Pfadfinderlager organisiert und seine Erfahrungen in dem Buch „Scouting for Boys“ festgehalten. Svojsík nahm die Ideen mit in seine Heimat. Dort gab er 1912 den Band „Základy Junáctví“ (etwa: „Grundlagen des Pfadfindens“) heraus, an dem er gemeinsam mit Kollegen aus Wissenschaft und Kultur gearbeitet hatte. Noch im selben Jahr fand auf Burg Lipnitz (Lipnice), etwa 100 Kilometer südöstlich von Prag, mit 13 Jungen das erste Pfadfinderlager in Böhmen statt. Mädchen kamen hierzulande erstmals 1915 als Pfadfinderinnen zusammen.
Dass es in den Anfangsjahren um mehr ging als gemeinsame Abenteuer in Wald und Wiesen, belegt die Chronik des Verbandes Junák. „Die Pfadfinder beteiligten sich aktiv an der Gründung der Republik“, heißt es darin über die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. „In den ersten Tagen und Wochen der Freiheit und Unabhängigkeit stellten sich tschechische Pfadfinder in die Dienste der tschechoslowakischen Regierung und ihrer Organe. Sie sorgten für eine zuverlässige und schnelle Zustellung der Korrespondenz zwischen den Behörden.“ Dass die Pfadfinder sich zur Republik und den demokratischen Grundsätzen bekannten, brachte sie während des Zweiten Weltkrieges in Schwierigkeiten. 1940 wurden sie vom Reichsprotektor in Böhmen und Mähren Karl Hermann Frank verboten. Für ihr Aufbegehren gegen das Regime der Nationalsozialisten bezahlten etwa 700 Pfadfinder mit ihrem Leben.
Prozesse und Verbote
Gleich nach dem Krieg erfuhren die „Skauti“ wieder großen Zulauf. Junák zählte 1945 eine viertel Million Mitglieder. Einen erneuten Rückschlag brachte jedoch die Machtübernahme durch die Kommunisten drei Jahre später. Die Pfadfinder verloren ihre Eigenständigkeit. Sie wurden zunächst in den Verband der tschechoslowakischen Jugend eingegliedert und 1950 aufgelöst. Einige Aktive wurden Opfer politischer Prozesse und verbrachten mehrere Jahre in Gefängnissen. Abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel während des Prager Frühlings, auf das ein erneutes Verbot folgte, blühten die tschechischen Pfadfinderstämme erst nach der Samtenen Revolution wieder auf.
Dem Verband zufolge sind sie derzeit mit rund 53.000 Mitgliedern in mehr als 2.000 Gruppen die größte nichtstaatliche Bildungsorganisation für Kinder und Jugendliche. In den vergangenen acht Jahren stieg die Zahl um mehr als ein Viertel, 2014 war der Zuwachs so groß wie noch nie seit 1989. „Die Pfadfinderbewegung beweist, dass sie auch mehr als hundert Jahre nach ihrer Gründung nicht an Attraktivität für junge Menschen verloren hat“, sagte dazu Anfang des Jahres der Vorsitzende des Brünner Kreisrates von Junák Martin Hovorka. „Abenteuerliche Erlebnisse, ein anregendes Umfeld, wahre Freundschaft und Werte wie allgemeiner Anstand sind ein zeitlos anziehendes Angebot.“
Wer in den kommenden Tagen zum ersten Mal ins Ferienlager aufbricht, wird schnell merken, was das in der Praxis heißt: „Alle werden – ihrem Alter entsprechend – an der Organisation beteiligt. Sie helfen, das Lager zu errichten, das Essen vorzubereiten und das Programm zu gestalten“, sagt Josef Výprachtický, Vorsteher von Junák. „Im Pfadfinderlager können Jungen und Mädchen ihre Fertigkeiten testen. Sie lernen sich selbst, aber auch ihren Kameraden zu vertrauen.“
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