Als Spartas Stars zum Alkoholtest mussten
Jürgen Sundermann war vor 20 Jahren der erste ausländische Trainer in Tschechiens höchster Fußballliga
5. 3. 2015 - Text: Klaus Hanisch, Foto: TWsk, CC BY-SA 3.0
Jürgen Sundermann (75) ist heute noch hörbar erstaunt, ja empört, wenn er über seine Anfänge in Tschechien redet. Tatsächlich prallten vor 20 Jahren Welten aufeinander: Hier der strenge Disziplin-Fanatiker aus dem Ruhrgebiet, dort tschechische Laissez-faire-Fußballer. Sundermann schrieb damals ein Kapitel tschechischer Fußball-Geschichte. Als erster ausländischer Trainer übernahm er einen Verein in der höchsten Liga. Dazu noch den renommierten Klub Sparta Prag, den er zwischen dem 7. Oktober 1994 und 27. März 1995 trainierte. Im Gespräch mit PZ-Autor Klaus Hanisch erinnert sich der gebürtige Mülheimer an Spieler, die später internationale Stars wurden. Und an Alkohol-Tests am Morgen.
Was reizte Sie damals, ausgerechnet nach Prag zu gehen? Zumal Sparta bereits die Qualifikation für die Champions League verpasst hatte und in der Meisterschaft acht Punkte hinter dem Lokalrivalen Slavia lag.
Jürgen Sundermann: Sparta nahm damals Kontakt mit mir in Berlin auf, weil sie einen deutschen Trainer suchten. Sie hatten zwar eine super Mannschaft mit vielen Nationalspielern, aber ohne jede Disziplin. Deshalb haben sie mich gefragt, ob ich kommen wolle.
Am Geld kann es kaum gelegen haben, denn beim VfB Stuttgart oder in der Schweiz hatten Sie zuvor sicher mehr verdient als in Prag.
Sundermann: Mit Geld hatte das nichts zu tun. Es war für mich einfach interessant, eine andere Kultur, andere Menschen und eine andere Mentalität kennen zu lernen. Wenn ich als Tourist dorthin komme, lerne ich das ja nicht. Aber als Trainer lebe ich quasi im Volk. Und das war wunderbar in Prag.
Ein ausländischer Trainer bei Sparta, noch dazu ein Deutscher – wie wurden Sie von den Fans aufgenommen?
Sundermann: Es war natürlich für viele eine Überraschung, dass ausgerechnet ein deutscher Trainer kam. Aber die Fans waren ziemlich sauer, weil ihre Elf nur im unteren Mittelfeld der Tabelle stand, obwohl Sparta eine traumhafte Mannschaft hatte. Sie dachten, wenn ein Trainer kommt, der wieder Disziplin reinbringt, dann kommt auch der Erfolg zurück.
Tatsächlich galten Sie immer als Verfechter großer Disziplin und schimpften schon nach wenigen Tagen, dass die Spieler nicht fit seien, weil sie zu viel Bier und Knödel konsumieren würden. Haben Sie danach ein Knödel- und Bier-Verbot erteilt, ausgerechnet in Tschechien?
Sundermann: Knödel nicht, Bier ja! Die Spieler haben schon morgens Bier getrunken, das war unglaublich. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie die damals gelebt haben. Deshalb waren sie in der Tabelle natürlich nicht an erster Stelle, obwohl sie mit Abstand die beste Mannschaft des Landes waren. Ich habe daher am Morgen immer Alkoholtests gemacht und ließ die Spieler als erstes blasen.
Noch Jahre später erzählte Jiří Novotný, der von 1984 bis 2002 für Sparta spielte, dass Sie auch die Ernährung umgestellt hätten.
Sundermann: Ich habe alles ein bisschen umgestellt. So durften die Spieler beim Warmlaufen im Training nicht mehr miteinander reden. Denn sie waren vollkommen ohne Disziplin und haben nur Mist gemacht. Im Winter sind wir zum Training ins Gebirge gefahren. Spieler und Journalisten waren fassungslos. Vor allem auch deshalb, weil wir keine Bälle mitgenommen hatten. Wir sind dort nur jeden Tag zehn bis 15 Kilometer durch den Schnee gelaufen.
Hat es gewirkt?
Sundermann: Die Spieler wurden dadurch unheimlich fit. Wir sind danach noch zehn Tage nach Spanien gefahren, zum normalen Fußballspielen, und haben dort den VfL Bochum haushoch geschlagen. In der Liga haben wir anschließend keinen Punkt mehr abgegeben.
Tomáš Votava, später bei 1860 München in der Bundesliga, erinnerte sich, dass Sie jedes Tor sofort auf dem Spielfeld euphorisch feierten. Wie kam das bei den Tschechen an?
Sundermann: Sehr gut. Zumal die Mannschaft körperlich wieder in einer super Verfassung war. Das waren ja tolle Fußballer, der blutjunge Pavel Nedvěd, Horst Siegl, Mittelstürmer Vratislav Lokvenc und all die anderen.
Trotz eines gewonnenen Pokalspiels gegen Dukla Prag strichen Sie den Spielern die Prämie wegen schwacher Leistungen. Ihre Begründung war, dass die Spieler nach der Wende zwar das Zehnfache verdienen würden, aber nicht daran gewöhnt seien, auch mehr Leistung zu bringen. Das alles klingt nach viel Konfliktstoff mit der Mannschaft.
Sundermann: Das ist klar. Mit meiner Erfahrung hatte ich jedoch sofort gesehen, was das für eine wunderbare Mannschaft war und woran es lag. Daher musste ich alles beseitigen, was der Leistung nicht förderlich war. Auch in der Kabine herrschte immer ein Durcheinander, ohne jede Disziplin. Ich habe versucht aufzuräumen. Und zwar auf allen Gebieten. Die Spieler haben das schnell kapiert und im Grunde positiv reagiert.
Kurz nach Amtsantritt sagten Sie, den Spielern sei nichts mehr beizubringen. Jiří Novotný berichtete später, dass Sie im Training jedoch mehr Spielzüge einstudiert hätten als all seine anderen Trainer. Hatte die Mannschaft also zumindest taktisch noch reichlich Lernbedarf?
Sundermann: Die Spieler hatten enorm viel Spielwitz, waren super Techniker. Es fehlte allein an Disziplin und mannschaftlicher Geschlossenheit. Das musste man im Training üben. Und das ist gut gelungen.
Sie erklärten schnell, dass die tschechischen Spieler technisch besser als die deutschen seien. Hat es Sie im Gegensatz zu anderen also nicht überrascht, dass Tschechien ein Jahr später im Finale der EM gegen Deutschland stand?
Sundermann: Überhaupt nicht. Im Finale standen ja mehr als ein halbes Dutzend meiner Spieler von Sparta. Ich wurde zu diesem Endspiel auch nach London eingeladen.
In Ihrer Zeit als Sparta-Trainer kam ein Spieler namens Jan Koller zum Probetraining. Wie ist der erste Kontakt abgelaufen?
Sundermann: Koller war eigentlich Eishockey-Spieler. Da kam ein Journalist, der mit seinem Vater befreundet war, und fragte mich, ob er mal mittrainieren könnte. Koller war im Fußball nicht überragend, aber ein unheimlicher Kämpfer-Typ. Am Ende hat er sich durchgesetzt, spielte bei Anderlecht und Dortmund und wurde Nationalspieler.
Sie nannten ihn anfangs einen „ungelenken Spieler, der nach tschechischen Fußball-Maßstäben nichts konnte“. Warum haben Sie ihn trotzdem nicht weggeschickt und damit letztlich seine große Laufbahn geebnet?
Sundermann: Er hatte einige Kilo zu viel, war ein riesiges Muskelpaket und den anderen fußballerisch klar unterlegen. Der Journalist fragte, ob Koller nicht trotzdem bleiben könne, wenn er nicht störe. Ich wollte ihm einen Gefallen tun und Koller blieb noch vier Wochen. Von Tag zu Tag wurde er besser. Unfassbar, wie er ohne großes Talent, aber mit großem Willen und Begeisterung so eine Karriere machen konnte.
In Dortmund verzichtete Koller später im Training selbst bei größter Kälte meist auf eine lange Hose. Hatte er das von Ihnen gelernt, denn Sie ließen immer in kurzen Hosen trainieren?
Sundermann: Ich habe Training immer als Vorbereitung auf den Wettkampf definiert. Das galt auch für die Kleidung. Bei mir gab es keine lange Hose und das hat Koller übernommen.
Prag war kein völliges Neuland für Sie. Im Dezember 1978 verlor der VfB Stuttgart mit Ihnen als Trainer im Achtelfinale des Uefa-Pokals nach einem 4:1-Sieg zuhause mit 0:4 bei Dukla Prag. Sie sagten damals, dieses Spiel in Prag würden Sie nie vergessen. Erinnern Sie sich noch?
Sundermann: Das war der schwärzeste Tag in meinem Leben! Als ich mit Sparta bei Dukla spielte und das Stadion sah, wurde ich daran sofort wieder erinnert. Dieses 0:4 war ein Schock für mich!
Warum verlor der VfB damals so sang- und klanglos?
Sundermann: Es war ganz kalt, Eis und Schnee und alles mögliche. Dann hatte Dukla noch Wasser auf den Platz geschüttet, damit es noch glatter wurde. Außerdem hatten die Spieler von Dukla ihre Stollen angefeilt, was nicht erlaubt war. Ich habe dagegen protestiert, aber der österreichische Schiedsrichter hat nicht darauf reagiert. Wir hatten normale Stollen und die Spieler konnten sich damit nicht auf den Beinen halten. Dieter Hoeneß hat nach kurzer Zeit auch noch ein Eigentor gemacht. Wir hatten überhaupt keine Chance und konnten überhaupt nicht mitspielen.
Für Sie war 1995 nach einem halben Jahr in Prag schon wieder Schluss. Sie verkrachten sich mit Präsident Petr Mach. Was war der Grund für die rasche Trennung?
Sundermann: Als ich kam, stand Sparta weit unten in der Tabelle. Das konnte man nicht von heute auf morgen ändern und am Anfang verloren wir auch zwei, drei Spiele. Im Winter sagte der Präsident zu mir, wenn wir nicht Meister werden, hätte er nicht die finanziellen Möglichkeiten, um meinen Dreijahres-Vertrag zu erfüllen (Sparta lag in der Winterpause mit sieben Punkten Rückstand auf Tabellenführer Slavia auf dem fünften Platz, Anm. d. Red.) Daher sei am Ende der Saison für mich Schluss. Ich war deshalb sehr überrascht. Dann wurde es jedoch immer besser und plötzlich wollte der Klub den Vertrag nicht nur erfüllen, sondern sogar verlängern. Aber da sagte ich dem Präsidenten, dass ich von seiner Reaktion im Winter unheimlich enttäuscht war. Deshalb bin ich gegangen.
Sparta wurde am Ende dieser Saison 1994/95 noch Meister. Wie hoch schätzen Sie Ihren Anteil daran ein?
Sundermann: Ich weiß, dass ich einen ganz großen Anteil daran habe. Alle Maßnahmen, die ich getroffen hatte, haben sich sehr günstig ausgewirkt und letztlich zur Meisterschaft geführt.‘
Nach Ihnen wagte fast kein ausländischer Trainer mehr den Sprung in die tschechische Liga. Können Sie das nachvollziehen?
Sundermann: Nein. Für mich war das eine sehr reizvolle Aufgabe und deshalb habe ich das Angebot von Sparta auch angenommen. Für einen ausländischen Trainer müsste es eigentlich interessant sein, in Prag und in Tschechien zu arbeiten, denn es gibt dort unheimlich gute junge Spieler.
Der „Wundermann“
Bis heute hängt Jürgen Sundermann das Wortspiel „Wundermann“ an. Es stammt aus jener Zeit, als er den VfB Stuttgart 1976 in der Zweiten Liga übernahm und in die Bundesliga führte. Dort wurden die „jungen Wilden“ auf Anhieb Vierter und im folgenden Jahr Vize-Meister. Der große Motivator blieb bis 1979, trainierte den VfB aber von 1980 bis 1982 erneut. Und ebenso nach seiner Zeit bei Sparta Prag am Ende der Saison 1994/95. Davor und danach führte Sundermann Hertha BSC Berlin in die Zweite Liga und den VfB Leipzig in die Bundesliga. Außerdem war er Trainer bei Schalke 04, den Grasshoppers Zürich, Racing Straßburg, Trabzonspor, CS Sfax (Tunesien) und bei Vorwärts Steyr, wo er 1999 seine Karriere beendete. Später gründete er das „Fußball-Ausbildungs-Zentrum Jürgen Sundermann“, um das er sich heute noch kümmert.
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