Angst vor Asylbewerbern
Tschechien ist gegen eine europaweite Quote für die Verteilung syrischer Flüchtlinge. Die Regierung fürchtet sich vor Terroristen
4. 12. 2014 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: Christoph Püschner/Diakonie Katastrophenhilfe
Für einen kurzen Moment hatte es am vergangenen Wochenende so ausgesehen, als könnte Tschechien seine restriktive Asylpolitik überdenken. Innenminister Milan Chovanec (ČSSD) hatte im Tschechischen Fernsehen ein Referendum über die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Erwägung gezogen, nachdem sich zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief dafür eingesetzt hatten, dass etwa 15 Kranke und Verletzte aus Syrien in hiesigen Krankenhäusern behandelt werden dürfen. Doch gleich am Montag ruderte Chovanec zurück. Gemeinsam mit Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD) stellte er klar: Tschechien werde sich nicht von der EU vorschreiben lassen, wie viele Flüchtlinge es aufnehmen soll. Größer als das Bedürfnis, Notleidenden zu helfen, ist hierzulande die Angst, man könnte Terroristen ins Land lassen.
Die Regierung sei gegen eine Quote, die festlegt, wie viele Flüchtlinge die einzelnen EU-Staaten aufnehmen sollen, teilten Sobotka und Chovanec am Montag mit. Für eine solche Kontingent-Regelung entsprechend der Einwohnerzahl setzt sich vor allem Deutschland ein; auch Frankreich, Großbritannien und Österreich signalisierten Unterstützung für den Vorschlag. Viele andere EU-Länder sind jedoch dagegen – vor allem solche, die wie Tschechien bisher relativ wenige Flüchtlinge aufgenommen haben. Tschechien sei nicht vorbereitet auf einen Zustrom von Tausenden Asylbewerbern, begründeten die beiden Sozialdemokraten ihre ablehnende Haltung. Die Kapazitäten der Flüchtlingslager hierzulande beliefen sich auf etwa 700 Plätze. Das Kabinett stattete Chovanec mit einem entsprechenden Mandat für die für kommenden Freitag geplanten Verhandlungen aller EU-Innenminister in Brüssel aus.
Hilfe „an Ort und Stelle“
Auch ein mögliches Referendum ist damit vom Tisch: Er glaube nicht, dass die Aufnahme syrischer Flüchtlinge ein geeignetes Thema für eine Volksabstimmung sei, erklärte der Premier. Helfen will Chovanec stattdessen mit Geld und Medikamenten „an Ort und Stelle“ in Syriens Nachbarländern. Das bevorzugt auch Sobotka: „Wir denken nicht, dass die humanitäre Krise in dieser Region gelöst werden kann, indem wir Flüchtlingslager in Europa bauen.“ Tschechien habe bereits Asyl gewährt und werde es auch weiterhin tun, allerdings im Verhältnis zu seinen finanziellen Möglichkeiten und der Fähigkeit, Asylbewerber in die Gesellschaft zu integrieren, ohne soziale Konflikte oder Sicherheitsprobleme hervorzurufen, so Sobotka.
Sein Parteikollege Chovanec hatte das am Sonntag noch anders gesehen, als er im Tschechischen Fernsehen eine Volksabstimmung über die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Erwägung zog: „Tschechien ist in dieser Frage bisher sehr zurückhaltend. Man muss darüber sehr ausführlich diskutieren und ich glaube sogar, dass das auch eine Frage für ein Referendum sein könnte.“ Bei einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Thomas de Maizière (CDU) im Oktober hatten die Innenminister sogar darüber gesprochen, dass Tschechien 5.000 bis 10.000 Menschen aufnehmen könnte. Chovanec fügte jedoch hinzu: „Für das Innenministerium sage ich, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wen wir in die Tschechische Republik lassen.“
Laut dem Innenminister ist die Zahl der syrischen Flüchtlinge in Tschechien in den vergangenen zwölf Monaten um 380 Prozent gestiegen, einen „alarmierenden Trend“ nannte er das, räumte aber gleichzeitig ein, dass es sich nur um etwas mehr als 100 Menschen handle. Aktuellen Zahlen des europäischen Statistikamts Eurostat zufolge haben von April bis Juni dieses Jahres 20 syrische Flüchtlinge in Tschechien Asyl beantragt. Zum Vergleich: In Deutschland und Schweden waren es im selben Zeitraum jeweils etwa 7.000.
Kranke als Sicherheitsrisiko
Chovanec sieht vor allem das Risiko, dass mit Flüchtlingen auch Terroristen nach Europa gelangen, die für den Islamischen Staat gekämpft haben. Aufgrund solcher Ängste hatte die Regierung auch den Plan verworfen, etwa 15 verletzte und kranke Syrer mit ihren Familien nach Tschechien zu bringen, um sie hier zu behandeln. Ende Oktober entschied sie, stattdessen Ärzteteams nach Jordanien zu schicken, die die Menschen dort operieren sollten. Chovanec hatte die Kabinettsentscheidung damals mit einem möglichen Sicherheitsrisiko für Tschechien begründet. Die Tschechische Bischofskonferenz protestierte daraufhin: „Ich bin überzeugt, dass die Behandlung einer kleinen Gruppe von Menschen, die nachweislich leiden, im Einklang mit den Grundwerten unserer Gesellschaft steht“, hatte der Generalsekretär der Bischofskonferenz Tomáš Holub erklärt und die Regierung aufgerufen, ihre Position zu überdenken.
In der vergangenen Woche schloss sich der Kritik ein Konsortium von 18 Organisationen an, die sich um die Belange von Migranten in Tschechien kümmern. In einem offenen Brief an Sobotka weisen sie darauf hin, dass Tschechien über genügend Kapazitäten und Erfahrung verfüge, um Asylbewerber aufzunehmen. In den zurückliegenden drei Jahren habe es in Tschechien so wenig Asylanträge gegeben wie noch nie zuvor, heißt es in dem offenen Brief. In der Vergangenheit seien Flüchtlinge aus anderen Ländern aufgenommen worden, deren Integration erfolgreich gewesen sei.
Die Angst vor der Aufnahme von Kämpfern des Islamischen Staates teilen die Verfasser des offenen Briefes nicht, sie verweisen auf die langjährige Erfahrung des Innenministeriums und der Vereinten Nationen bei der Auswahl der Flüchtlinge. „Wir sind überzeugt (…), dass wir eine moralische Pflicht haben, unser Versprechen einzuhalten, syrische Flüchtlinge aufzunehmen und uns auf die Seite der verantwortungsbewussten Staaten in der EU zu stellen.“
Chovanec bestritt am Sonntag, dass die Regierung die Behandlung der Syrer in Tschechien abgelehnt habe: „Das ist eine Fehlinformation“, sagte er im Fernsehinterview. Mit den Kranken und Verletzten wolle sich die Regierung erneut befassen, und zwar höchstwahrscheinlich im Januar. Zuvor wolle man sich um die Minderheit der Wolhynientschechen kümmern, die zurück nach Tschechien kommen möchten. Die Menschen, die im entfernten Syrien leiden, haben für die Regierung offenbar keine Priorität.
Wie Tschechien hilft
Angaben der Vereinten Nationen zufolge sind bereits mehr als drei Millionen Menschen aus Syrien in die umliegenden Länder geflohen. In Tschechien wurden im Rahmen des Programms „MedEvac“ bisher acht Flüchtlinge und sechs Kinder behandelt, die an Kriegsverletzungen litten. Das Innenministerium stellte in den vergangenen beiden Jahren etwa 70 Millionen Kronen (rund 2,5 Millionen Euro) für die Flüchtlingshilfe bereit, das Außenministerium gab in den vergangenen drei Jahren gut 66 Millionen Kronen. „MedEvac“ fällt in den Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums. Seit 1993 wurden mit diesem Programm in tschechischen Krankenhäusern mehr als 200 Patienten behandelt, die unter anderem aus Bosnien und Herzegowina, Tschetschenien, dem Kosovo, dem Irak, Afghanistan, Syrien und der Ukraine kamen. Um den Kampf gegen den Islamischen Staat zu unterstützen, hatte die Regierung Ende April außerdem entschieden, die Kurden mit Munition im Wert von 41 Millionen Kronen auszustatten. Diese haben nun angeblich auch Interesse an weiterem Material wie Helikoptern und Flugzeugen angemeldet. Bei einem Besuch im Irak bot Außenminister Lubomír Zaorálek (ČSSD) den kurdischen Kämpfern zudem an, ihre Verletzten in tschechischen Kurbädern behandeln zu lassen.
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