Angst vor dem Kneipensterben

Angst vor dem Kneipensterben

Ab Dezember müssen Hotels und Gaststätten ihre Umsätze elektronisch erfassen

9. 11. 2016 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: MMX

Die Zahlen könnten unterschiedlicher kaum sein. Gut vier Milliarden Kronen mehr für den Staatshaushalt – umgerechnet etwa 150 Millionen Euro – lautet die eine. Jeder Sechste, jeder Dritte,  ja sogar fast jeder Zweite müsse sein Geschäft schließen, lauten die anderen. Alle beziehen sich auf die elektronische Umsatzsteuererfassung (tschechisch EET), die ab Dezember schrittweise in Kraft tritt. Während das Finanzministerium die neuen Registrierkassen als Allheilmittel gegen Steuerbetrug herbeisehnt, fürchten vor allem kleinere Händler und Gaststättenbetreiber, dass sie den finanziellen und bürokratischen Aufwand nicht bewältigen können.

Das Prinzip der EET besteht darin, dass Gewerbetreibende permanent mit den Servern der Finanzverwaltung verbunden sind und jede Zahlung per Bargeld, Scheck, Gutschein und Kreditkarte sofort online registriert wird. Dazu sind ab 1. Dezember zunächst Hotels und Restaurants verpflichtet. Den Behörden zufolge werden das etwa 40.000 Betriebe im ganzen Land sein. Ab März kommenden Jahres müssen auch Einzel- und Großhandelsunternehmen ihre Umsätze elektronisch erfassen. Ein Jahr länger haben Verkäufer Zeit, die Imbisse an Ständen ohne ­Tische und Stühle für Gäste anbieten. Ebenfalls im März 2018 gilt das Gesetz für Bauernmärkte sowie für selbstständige Buchhalter, Anwälte und Ärzte. Und ab Juni 2018 auch für Frisörsalons, manche Handwerker, bei Reparaturen von Haushaltsgeräten und sogar für Astrologen: Kein Blick auf die Gunst der Sterne mehr, ohne dass sich Andrej Babiš (ANO) die Hände reibt.

Der Finanzminister rechnet mit höheren Umsatzsteuereinnahmen und weniger Schwarzarbeit durch die EET. Im kommenden Jahr beziffert sein Ministerium die zusätzliche Summe für den Staatshaushalt auf 4,3 Milliarden Kronen. Ab 2018 soll das System jährlich 18 Milliarden Kronen Mehreinnahmen bringen. Zum Vergleich: In diesem Jahr geht die Regierung von einem Haushaltsdefizit von 60 Milliarden Kronen aus. Einnahmen von 1.249 Milliarden stehen Ausgaben in Höhe von 1.309 Milliarden gegenüber.

Empörte Wirte
Die elektronische Umsatzerfassung läuft bereits im Testbetrieb, für den sich fast 500 Unternehmer freiwillig angemeldet haben. Bis Montag vergangener Woche hatten sie zusammen rund 43.000 Kassenbons übermittelt. Die Finanzverwaltung begann am Dienstag, die Umsatzdaten zu speichern. Laut dem Chef der Finanzverwaltung Martin Janeček funktioniert das System ohne Probleme.

Das Unternehmen „One Pub“, Anbieter eines elektronischen Kassensystems, schätzt, dass bisher etwa 40 Prozent der Restaurants die nötige Ausstattung für die EET angeschafft haben. Etwa 25 bis 30 Prozent seien noch dabei. Die restlichen 30 bis 35 Prozent hätten „noch überhaupt nicht begonnen, sich mit dem Problem zu beschäftigen“, so Geschäftsführer Pavel Friedrich.

Einige halten das möglicherweise auch gar nicht mehr für nötig. Eine Anfang September veröffentlichte Umfrage ergab, dass jeder sechste Gastwirt oder Hotelier wegen der EET überlege, seinen Betrieb zu schließen. In Auftrag gegeben hatte die Erhebung der Kassensystem-Anbieter „eet1“; teilgenommen haben 600 Firmen und Selbstständige. Mehr als zwei Drittel zeigten sich besorgt, die EET werde ihrem Geschäft schaden.

Karel Hamr von „eet1“ hatte dazu gesagt: „Die Behauptung, dass die Einführung der elektronischen Umsatzerfassung nur eine administrative Formalie sei, lässt sich empirisch nicht belegen.“ Mit seinem Team sei er vor zwei Jahren in Kroatien gewesen, als dort ein ähnliches System eingeführt wurde. „Wir waren Zeuge davon, dass etwa ein Sechstel der Verkäufer vom Markt verschwunden ist“, so Hamr. Daher halte er es für realistisch, dass in Tschechien etwa ein Sechstel der Kneipen bedroht sei. Manch aufgebrachte Wirte und Kneipenbesucher sehen die Zukunft der Gaststätten noch düsterer. Zuversichtlich äußerten sich in der Umfrage lediglich vier Prozent: Sie erwarten, dass der Markt „bereinigt“ wird und künftig gleiche Bedingungen für alle gelten.