Anruf aus dem Gefängnis
Eine Haftanstalt in Vinařice beschäftigt Sträflinge als Callcenter-Mitarbeiter
7. 9. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: kw/čtk; Foto: APZ
Ob in einer Fleischfabrik oder beim Süßwarenhersteller – dass Häftlinge während des Verbüßens ihrer Strafe einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, ist nichts Neues. Im Gefängnis von Vinařice in der Nähe von Kladno gibt es jetzt sogar Schreibtischarbeit für die Insassen: In Zusammenarbeit mit der Agentur A-Giga, die unter anderem Telemarketingleistungen für T-Mobile und O2 durchführt, werden im Gefängnis Callcenter-Mitarbeiter ausgebildet und beschäftigt. Der Arbeitsplatz für rund 20 Personen, die in vierstündigen Schichten telefonieren, befindet sich im Keller der Haftanstalt. Es könnte also sein, dass man künftig einen Häftling aus Vinařice am Apparat hat, wenn man bei einer Mobilfunkfirma zu einem neuen Tarif wechseln möchte.
Müssen sich Kunden Sorgen machen, dass persönliche Daten in den Händen von Kriminellen landen? An solchen Bedenken war der erste Versuch, ein Callcenter in Vinařice zu etablieren, vor einigen Jahren gescheitert. „Die Gefangenen haben keinen Zugang zu Telefonen, sondern arbeiten an Computern, die automatisch Nummern generieren. Gewählt wird automatisch“, so die Geschäftsführerin von A-Giga Věra Babišová bei einer Pressekonferenz anlässlich der Einweihung des Zentrums, das vom Justizministerium finanziell unterstützt wurde.
Rund 400 Gefangene haben es in die Vorauswahl für die neuen Jobs geschafft. „Die Schulung dauert zwei bis drei Monate und beinhaltet 120 Stunden Theorie und 30 Stunden Praxis, wobei die Gefangenen vor allem Kommunikation erlernen und IT-Kenntnisse erwerben“, beschreibt Babišová. Wer den Kurs erfolgreich absolviert und eine Prüfung durch Psychologen oder Pädagogen besteht, kann sich Hoffnung auf einen der 90 bis 100 Arbeitsplätze machen, die in Vinařice insgesamt entstehen sollen. Diese dürften allerdings vor allem ein gutes Geschäft für A-Giga sein. Die Häftlinge können sich durch die Anrufe lediglich 4.500 Kronen im Monat verdienen.
Gefängnisleitung und Justizministerium bemühen sich darum, den immateriellen Wert der neuen Jobmöglichkeiten zu betonen. „Die Beschäftigung von Gefangenen hat für das Ministerium außerordentliche Priorität“, sagte Justizminister Robert Pelikán (ANO) bei der Einweihung. „Wir betrachten die Arbeit im Callcenter als angemessene Tätigkeit und es lag uns sehr daran, das einst eingestellte Projekt wiederzubeleben.“ Die Gefängnisleitung betonte, dass von den früheren Teilnehmern lediglich 18 Prozent wieder straffällig wurden – verglichen mit 70 Prozent im Gesamtdurchschnitt Tschechiens.
Für A-Giga beschäftigte Personen erhalten nach ihrer Entlassung besondere Unterstützung, unter anderem bei Behördengängen oder der Vermittlung im Fall von Schulden, Wohnungs- oder Beziehungsproblemen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung durch die Firma, wie der ehemalige Inhaftierte Petr Pavlas bestätigt, der heute im Führungsteam des Callcenters in Louny arbeitet. „Ich kam 2010 nach Vinařice und war drei Jahre dort beschäftigt, was für mich etwas völlig Neues war. Ich glaube, dass ich ohne diese Erfahrung später in Freiheit keine Arbeit gefunden hätte“, erzählt der ehemalige Drogenabhängige. „Die Zeit vergeht nicht, wenn man nicht arbeitet. In den Baracken gibt es nichts zu tun, die Leute liegen nur rum.“
Die Verwaltung des Strafvollzugs kostet den Staat jährlich neun Milliarden Kronen (rund 333 Millionen Euro). Die Ausgaben pro Insasse betragen monatlich mehrere zehntausend Kronen. Arbeitende Sträflinge helfen dabei, die Kosten für ihren Aufenthalt zu decken. Zudem können sie Schulden abbezahlen oder ihre Familien unterstützen. Im letzten Jahr haben 55 Prozent der Gefangenen eine Beschäftigung wahrgenommen, dieses Jahr stieg die Quote nach Angaben des Justizministeriums um 19 Prozent.
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