Anti-Europa-Stimmung ist anderswo
In einer Woche werden in Tschechien die Europa-Abgeordneten gewählt. Rechtspopulisten scheinen außen vor
15. 5. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: APZ
Zwei Tage früher als in Österreich oder Deutschland beginnen in Tschechien die Wahlen zum Europaparlament. Die Meinungsforscher vom STEM-Institut erwarten eine Beteiligung von 35 Prozent, andere etwas weniger als 30, so wie in den Jahren 2004 und 2009. In Tschechien gilt weiterhin die Fünf-Prozent-Hürde, was es für kleinere Parteien schwierig macht, einen der 21 Abgeordnetenplätze zu ergattern. Auch das ist ein Grund, weshalb Tschechien, dem der Ruf des notorischen Europa-Nörglers nacheilt, wohl nicht zum befürchteten Triumphzug der Anti-Europa-Parteien nach Brüssel beitragen wird.
Glaubt man den Umfragen, steuert Tschechien auf einen Sieg der pro-europäischen Parteien zu. Umso lauter und skurriler versuchen sich daher rechtspopulistische und europafeindliche Parteien Gehör zu verschaffen. Die Ex-Sozialdemokratin Jana Volfová etwa zog sich für einen Wahlspot des nationalistischen Bündnisses Česká suverenita eine Burka über und warnt vor dem Ende der europäisch-christlichen Zivilisation. Migration ist in Tschechien – einem Land mit vier Prozent Ausländeranteil – zu einem der sichtbarsten Themen des Wahlkampfes geworden. Andere versuchen mit der Frage nach der Euro-Einführung Stimmung zu machen, diskutiert werden Strukturfonds, die Haushaltspolitik der Union, die Energie- und Sicherheitspolitik und Landwirtschaftssubventionen.
Die „Prager Zeitung“ gibt vor dem Urnengang am 23. und 24. Mai einen Überblick über neun Parteien, die eine Chance haben, in das Hohe Haus einzuziehen; in ein Parlament, dessen Einfluss auf die Politik in der Europäischen Union höher ist als jemals zuvor und das – und da bildet Tschechien keine Ausnahme – von den Bürgern immer noch kaum wahrgenommen wird.
ANO: Protestpartei wird Dauerfavorit
Die Babiš-Partei hat beste Chancen, nach dem überraschenden Erfolg bei den Parlamentswahlen die Europawahlen zu gewinnen. Zum Erfolg soll die Protest- und Regierungspartei ein echter Europa-Experte führen: Pavel Telička war Kommissar in Brüssel und erhielt für seine Bemühungen um den Beitritt Tschechiens zur EU ein Gedenkmedaille von Václav Havel. ANO will eine stärkere Integration Tschechiens, die Position der Landwirte in den neuen EU-Ländern stärken, die Außengrenzen festigen und Roaming-Gebühren abschaffen – nur hat das EU-Parlament das bereits beschlossen. Das Motto: ANO (Ja), in Europa gehen wir nicht verloren.
ČSSD: Der Soziologe soll es richten
Die Sozialdemokraten haben ein starkes Zugpferd: Der Ostrauer Jan Keller ist der Guru der tschechischen Linken. Im Wahlspot sitzt der schnauzbärtige Soziologe im Gasthaus und erklärt, warum Steuersünden der Reichen schlimmer sind als der Missbrauch von Sozialleistungen durch die Armen. Keller soll Wähler der Kommunisten abwerben. Vielen ist sein später Beitritt in die KSČ ein Dorn im Auge. Im Parlament will sich die ČSSD für die Verringerung von Jugendarbeitslosigkeit oder mehr Bankenregulierung einsetzen. Die EU ist für die Partei Garant für Sicherheit und „gibt Tschechien eine Stimme in der Welt“.
KSČM: Rentnerpartei mit jungem Gesicht
Das Programm der Kommunisten sagt in etwa so wenig aus wie ihr Wahlspot. Das junge Gesicht der Partei – die 33-jährige Spitzenkandidatin Kateřina Konečná – posiert unter dem Titel „Europa für Menschen“ nebst Kindern mit roten Halstüchern. Einsetzen möchte sich Konečná für europaweite Lebensmittelstandards und für ihre Vision vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, eine offene Alternative „zu Globalisierung und supranationaler Integration“. Weitere Slogans: „Ja zur Zusammenarbeit, Nein zur Bürokratie“ oder „Recht auf Arbeit und gerechten Lohn“. Wie dieses Recht durchzusetzen ist, bleibt offen.
TOP 09: Wir sind Brüssel
„Europa sind wir, nicht die.“ Mit diesem Slogan will die Schwarzenberg-Partei klarmachen, wo sie Tschechien in Europa sieht: mittendrin. Die TOP 09 fordert eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen für alle EU-Staaten, Kürzungen im Haushalt, Stärkung der Außengrenzen und der Einsatz für Menschenrechte auch außerhalb der EU-Grenzen. Überzeugen möchte die TOP 09 mit Experten. Die Liste führt der ehemalige Vize-Gouverneur der Nationalbank und bekannte Euro-Befürworter Luděk Niedermayer an. An zweiter Stelle steht der frühere Bürgerdemokrat und beliebte Ex-Justizminister Jiří Pospíšil.
ODS: Die Mutter der Euroskepsis
Die einst wichtigste konservativ-liberale Partei Tschechiens kommt bei Umfragen nicht mehr über die acht Prozent hinaus. Die bürgerdemokratische Reaktion lautet mehr Euroskepsis. So sammeln die Kandidaten fürs Europaparlament Unterschriften gegen die Einführung des Euro, wettern gegen Teuerungen, unnötige Haushaltsausgaben und Verordnungen. Die Strukturfonds müssten heruntergefahren werden, da sie die Korruption fördern. Die Wahlliste führt Jan Zahradil an, der seit zehn Jahren im Europaparlament sitzt. Ins Boot holte die ODS auch einen Sohn vietnamesischer Einwanderer, den Studenten Nguyen Cong Hung.
KDU-ČSL: Bollwerk gegen Traditionsverlust
Die Christdemokraten „verteidigen tschechische Interessen“ und kämpfen für europäische Traditionen. Dazu zählte die Partei bis vor kurzem in ihrem Wahlprogramm noch den Kampf gegen die Masseneinwanderung. Man wolle „kein Europa voller unangepasster Immigranten, die in den Vorstädten Autos anzünden, Drogen verkaufen und unter anderem den radikalen Islamismus importieren“. Dafür gab es Kritik, der Passus wurde gestrichen. Geblieben sind Forderungen wie: gemeinsame Verantwortung für das Handeln von Finanzinstituten, Unterstützung für Existenzgründer, Netzneutralität oder die Abschaffung der Sommerzeit.
Svobodní: Gegen den Eurounsinn
Die EU ist der Partei der freiheitlichen Bürger (Strana svobodných občanů) größter Feind. Entsprechend populistisch fällt auch die Kampagne der Ultraliberalen aus. Der Parteivorsitzende Petr Mach holte sich den notorischen EU-Skeptiker und ehemaligen Klaus-Berater Jiří Payne ins Boot. Gemeinsam machen sie Front gegen vermeintlichen „Eurounsinn“ a la Bananenkrümmungsverordnung und Energiesparlampen. Weiterer Slogan: „Euro? Auf keinen Fall.“ Europa braucht eine Veränderung, heißt es im Programm. Es soll zwar weiterhin eine freiwillige Zusammenarbeit geben, aber ohne Bürokratie und Regulierungswahn.
Strana zelených: Die Unermüdlichen
Um den Tschechen einen Funken EU-Begeisterung zu entlocken, der die Grünen zum ersten Mal nach Brüssel verhelfen soll, ist ein Musical-Video entstanden. Ein Deutscher mit Gamsbart-Hut und eine Französin in Baskenmütze singen und tanzen den grünen Erfolg herbei. Richten soll es auch nach mehreren verlorenen Wahlen wieder der Vorsitzende Ondřej Liška. Seine Prioritäten sind wenig überraschend: die europäische Energiewende, Finanztransaktionssteuern, Frauenquoten, weitere Stärkung des Parlaments. Dessen Bänke wolle man mit Politikern mit Visionen statt mit Populisten und Lobbyisten füllen.
Úsvit: Morgendämmerung des Rassismus
Die Partei des Tschecho-Japaners Tomio Okamura macht Schlagzeilen – mit fragwürdigen Mitteln. Die Parlamentspartei hat für ihre Plakate ein Motiv der rechtspopulistischen Schweizer SVP übernommen: Darauf wird ein schwarzes Schaf seines Platzes auf der tschechischen Trikolore verwiesen. „Unterstützung für Familien, nicht für Asoziale“ und „Arbeit für die Unsrigen, nicht für Einwanderer“ ist da zu lesen. Spitzenkandidatin Klára Samková, der Okamura gegenüber seinen Wählern im Vorfeld bescheinigt hatte, sie habe „keinen Tropfen Zigeunerblut“ in sich, musste wegen des Verdachts auf Beteiligung an einem Betrugsskandal zurücktreten.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“