Auf der Suche nach sich selbst
Mit dem „Nordischen Filmwinter“ und „La Película“ bringen zwei internationale Festivals tiefsinniges Kino nach Prag
11. 2. 2015 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Der verträumte „Junior“ in Maria Rondóns venezuleanischem Beitrag „Pelo malo“/looknow.ch
Was haben das skandinavische und das spanischsprachige Kino gemein? „Nicht viel“, wäre wohl die spontane Antwort eines Laien, weil er das Klischee völlig unterschiedlicher Mentalitäten im Hinterkopf hat. „Mehr als man denkt, weil existenzielle Fragen in Kunst und Kino in allen Teilen der Welt ähnlich oder genauso gestellt werden“, ist die differenzierte Antwort, die dem anspruchsvollen Filmschaffen wohl am nächsten kommt. Von 16. bis 22. Februar gehen insgesamt 49 Festivalfilme philosophischen, sozialkritischen, skurrilen und oft auch erheiternden Themen des Alltags nach. 19 davon laufen beim spanisch-lateinamerikanischen Festival „La Película“ im Kino Světozor, 30 beim „Nordischen Filmwinter“ („Severská filmová zima“) im Lichtspielhaus Lucerna.
Was skandinavisches und zumindest lateinamerikanisches Filmschaffen auf jeden Fall eint, ist der Sinn für grotesken Humor und fantastische, beinahe irreal anmutende Landschaftsbilder. Beides kommt ganz besonders in der norwegischen Tragikomödie „Out of Nature“ („Mot naturen“) des Regisseurs, Drehbuchautors und Hauptdarstellers Ole Giæver zum Zug. In seinem zweiten Langspielfilm erzählt der 37-Jährige aus Tromsø die Geschichte des jungen Familienvaters Martin, der sich auf einen abenteuerlichen Wandertrip begibt. Unzufrieden mit sich und seinem Leben, möchte er sich den widrigen Bedingungen der Natur im hohen Norden aussetzen, um sich den drängendsten Problemen seiner Existenz zu stellen. Giæver ist mit „Out of Nature“ eine amüsante Intro-spektion und Reise in die labile Psyche eines Mannes in der Midlife-Crisis gelungen.
Wie bei Martin nagen auch an Alejandro die Zweifel, ob er bisher das „richtige“ Leben gelebt hat. In dem Drama „Carne de perro“ von Fernando Guzzoni spielt Alejandro Goic einen ehemaligen Folterer des chilenischen Pinochet-Regimes. Eigentlich möchte der 55-Jährige mit der Vergangenheit abschließen und in Ruhe seiner Arbeit als Taxifahrer nachgehen. Doch Gewissensbisse, gestörte Familienbeziehungen und gesundheitliche Probleme machen Alejandro das Leben zur Hölle. Der erst 32-jährige Guzzoni überzeugt mit einer beklemmenden psychologischen Studie eines Menschen vor dem persönlichen Abgrund, in Szene gesetzt in einem Land, das sich inmitten der Aufarbeitung vergangener Verbrechen befindet und immer noch mit den offenen sozialpolitischen Wunden kämpft.
Von Grönland bis Chile
Mit Verfehlungen staatlicher Institutionen und Beamter hat sich auch die Dänin Louise Friedberg in „Experiment“ auseinandergesetzt. Auch wenn diese deutlich weniger dramatisch sind als die Ermordung Tausender Dissidenten wie in Chile, so geht die Geschichte von grönländischen Inuit-Kindern, die in einem speziellen Heim auf westliche Zivilisation getrimmt werden, unter die Haut.
Ein wenig heiterer geht es hingegen in Maria Rondóns venezuelanisch-deutscher Tragikomödie „Pelo malo“ („Bad Hair“) zu. Der vielfach preisgekrönte Festivalbeitrag ist ein klassischer Coming-of-Age-Film, in dem sich der kleine „Junior“ aus Caracas gegen die strengen Hausregeln der Mutter auflehnt.
Insgesamt überzeugt „La Película“ mit einer Vielzahl an ernsthaften (Polit-)Dramen. Beispiele dafür sind „Negociador“ von Borja Cobeaga über einen hohen spanischen Staatsangestellten, der mit der ETA verhandelt oder Fran Araujos „El Rayo“ über einen enttäuschten marokkanischen Immigranten, der mit einem Traktor zurück in seine Heimat flüchtet. Europa im Allgemeinen und Spanien im Besonderen boten dem alternden Bauern Hassan keine Möglichkeiten, eine Existenz im Exil aufzubauen.
Eine komödiantische Auflockerung im Programm des spanischsprachigen Festivals bietet einzig „Esther en alguna parte“. Gerardo Chijona lässt in seinem 2013 erschienen Streifen zwei vom Leben gezeichnete alte Männer zu neuen Höhenflügen aufbrechen. Sein Film erinnert ein wenig an das „verrückte Paar“ Jack Lemmon und Walter Matthau.
Dass Skandinavier hingegen hervorragende, aber auch skurrile Komödien am laufenden Band produzieren, weiß der geneigte Cineast nicht erst seit Lars von Triers „Idioten“. In „Almost Perfect“ von Jella Joof sucht eine 37-jährige Karrierefrau den idealen Samenspender für eine künstliche Befruchtung. Als sie den vermeintlich perfekten Mann für ihre Ansprüche gefunden hat, entpuppt sich dieser beim zweiten Blick aber als trotteliger Chaot. Genauso lustig, aber mit einigen tragischen Elementen versehen, präsentiert sich Maria Bloms „Hallo Hallo“. Darin wird die Hausfrau und Mutter Disa von einem auf den anderen Tag von ihrem Mann verlassen. Vom ersten Schock erholt, findet die lebensfrohe Disa langsam aber sicher wieder zurück in ein eigenes, selbstbestimmtes Dasein.
Sowohl der „Nordische Filmwinter“ wie auch „La Película“ geben mit ihren gut ausgewählten Programmpunkten einen vielschichtigen Überblick zum cineastischen Schaffen ihrer Herkunftsregionen. Abgerundet werden die Festivals jeweils von Aufführungen moderner Klassiker und einer Antonio-Banderas-Retrospektive. Erfreulich: Sämtliche Beiträge sind tschechisch wie auch englisch untertitelt.
Severská filmová zima, 16. bis 22. Februar (Kino Lucerna), Informationen unter www.sfklub.cz
La Película, 17. bis 22. Februar (Kino Světozor), Informationen unter www.lapelicula.cz
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