Auf schmalem Grat

Auf schmalem Grat

Die Prager Jazz-Sektion war ein staatlicher und zugleich regimekritischer Verband. Eine deutsch-tschechische Ausstellung auf dem Vítkov beleuchtet nun ihre Geschichte

13. 10. 2016 - Text: Katharina HaaseText: Katharina Haase; Bilder: jazzovasekce.cz

Im früheren Ostblock hatte die Jazz-Bewegung einen schweren Stand. Während die DDR besonders restriktiv gegen die Musikrichtung vorging, begegnete man ihrem subversiven Potenzial in Polen mit einer vergleichsweise toleranten Haltung. In der Tschechoslowakei bewegte sich der Jazz stets zwischen Legalität und Illegalität. In Form der sogenannten Jazz-Sektion (Jazzová sekce) duldete der Staat eine offizielle Künstlervereinigung – mit dem Hintergedanken, sie dadurch besser kontrollieren zu können. Ihre Geschichte beleuchtet nun das Nationalmuseum in der Gedenkstätte auf dem Vítkov. Die Ausstellung „Ein schmaler Grat“ („Složité hledání rovnováhy“) widmet sich der Jazz-Sektion in der Tschechoslowakei in den Jahren 1969 bis 1986.

Die internationale Wanderausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Mit tschechischen und deutschen Beiträgen zeichnet sie den Weg der Prager Jazz-Sektion nach, die sich stets auf dem schmalen Grad zwischen staatlicher Organisation und regimekritischem Verband bewegte.

Eine wichtige Rolle spielte das Magazin, das die Organisation im Eigenverlag herausgab: Die Inhalte des „Bulletin Jazz“ erstreckten sich bald auch auf andere künstlerische Sparten wie Film und Theater. Ende der siebziger Jahre veröffentlichte die Jazz-Sektion zudem eigene Buchreihen. So erschien 1982 Bohumil Hrabals „Obsluhoval jsem anglického krále“ („Ich habe den englischen König bedient“) in der Edition Jazzpetit. Da die Publikationen einem offiziellen Organ angehörten, entgingen sie der Zensur.

Das Magazin „Bulletin Jazz“ gab die Organisation im Eigenverlag heraus. Bald folgten weitere Publikationen.

Die vom Verein veranstalteten Prager Jazz-Tage wurden zunächst von den Medien und von regierungsnahen Stellen in der Tschechoslowakei begrüßt, boten im Laufe der Jahre allerdings zunehmend Raum für alternatives Gedankengut und Experimente. Daher verbot die Regierung die Veranstaltung ab 1980.

In den folgenden Jahren versuchte das Regime, die Jazz-Sektion aufzulösen. Es scheiterte jedoch zunächst – teilweise aufgrund der Absurdität seiner eigenen Anordnungen. So wurde zeitweilig dem Prager Zweig der Musiker-Union jegliches Handeln untersagt. Das hatte wiederum zur Folge, dass die Union die Jazz-Sektion nicht auflösen konnte, als es ihr vom Staat befohlen wurde.

Als die Jazz-Sektion 1984 schließlich doch noch verboten wurde, operierte sie weiterhin im Selbstverlag, bis im Jahr 1987 fünf ihrer Mitglieder in einem Schauprozess verurteilt wurden. Offiziell wurden ihnen illegale Geschäftsaktivitäten vorgeworfen. Vor allem die Inhaftierung des Musikjournalisten Karel Srp und des Aktivisten Vladimír Kouřil erregte außerhalb der Tschechoslowakei Aufsehen.

Reste eines Jazzkonzerts

Die in vier Hauptabschnitte unterteilte Ausstellung berücksichtigt auch die Doppelrolle der Jazz-Sektion im Ausland. Durch ihre unterschwellig oppositionelle Bedeutung in der Tschechoslowakei wurde sie zum attraktiven Instrument amerikanischer Bemühungen, den Sozialismus von innen zu destabilisieren.

Die Rolle des Vereins als Spielball verschiedener Interessen, seine Widersprüchlichkeit und das mit dem Jazz verbundene Lebensgefühl, das Tausende von Menschen anzog, machen die kleine Ausstellung in der Gedenkstätte auf dem Vítkov sehenswert.

Složité hledání rovnováhy. Národní památník na Vítkové (U Památníku 1900, Prag 3), geöffnet: Mittwoch bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 80 CZK), bis 8. Januar, www.nm.cz