Auf unbestimmte Zeit verschoben
Die Corona-Pandemie beeinträchtigt internationale Projekte. Besonders auch eine deutsch-tschechische Produktion
20. 11. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Felix Mooneeram
Das Projekt entstand vor knapp drei Jahren. „What Lies Beside the Hate“ geht der Frage nach, wie eine persönliche Beziehung zu Hass entsteht und was sie ausmacht. 2020 sollte es auf die Bühne kommen. Doch mehrere Premieren sind – wegen Corona – gescheitert. „Sowas habe ich noch nie erlebt“, bemerkt Maria Huber, eine der Protagonistinnen, „für dieses Projekt ist schlichtweg alles schiefgelaufen.“ Deshalb ist sie gerade „ziemlich fertig“.
„What Lies Beside the Hate“ geht Hassobjekten auf den Grund. „Was sind solche Gegenstände, die man hasst und welche Geschichten verbinden sich damit?“ Maria Huber will das genauer wissen. „Denn oft gibt es sehr persönliche Beziehungen dazu.“ Daraus hat sie mit zwei Mitstreiterinnen eine Performance entwickelt. Zur Vorbereitung gab es eine Reihe von Workshops. Teilnehmer waren Tschechinnen und Tschechen, aber auch Menschen aus anderen Ländern, die in Prag lebten. „Eine superbunte Mischung“, so Huber.
Damit wurden die Macher im vorigen Jahr zu Festivals in Žižkov und von Cross Attic eingeladen, eine Off-Kultureinrichtung im Prager Stadtteil Holešovice. Außerdem auf ein Open-Air-Festival in Hradec Králové. Diese ersten Erfolge ermutigten sie dazu, das Projekt auszubauen – und nach Deutschland zu bringen. „Ganz klar, wir strebten mit unseren Workshop-Partnern einen deutsch-tschechischen Austausch an“, bekräftigt Huber.
Die 25-Jährige hat eine persönliche Beziehung zu Prag. Von Oktober 2017 bis Oktober 2018 studierte sie an der Prager Theaterfakultät DAMU (Divadelní fakulta Akademie múzických umění v Praze) im Masterstudiengang, war anschließend Stipendiatin des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und Dozentin eines Austauschprojektes. Eineinhalb Jahre lang lebte sie an der Moldau, noch immer kommt Maria Huber regelmäßig für Arbeiten.
Über die freie Theaterszene in Prag lernte sie Carolina Arandia und Laura Brechmann kennen. Gemeinsam bezeichnen sie sich als „transnationales feministisches Kollektiv, das sich zwischen Objekttheater, Performance und Choreografie bewegt“ und durch das Interesse an Stücke-Entwicklung und Objektstudien zusammengefunden habe. Ihre Performance soll nach ihren Worten „intime Erfahrungen schaffen“ und „sensorische Eindrücke in den Körpern“ ihrer Zuschauer hinterlassen.
Für das Projekt „What Lies Beside the Hate“ mussten Teilnehmer zu den Workshops Objekte mitbringen, die sie hassten. „Und wir hatten echt alles dabei“, wundert sich Maria Huber noch immer, „Alltagsgegenstände, Fotos, Barbie-Puppen – selbst ein Pony.“ Diese Gegenstände wurden ausprobiert: Wie klingen sie? Wie würden sie sich anhören, wenn sie sprechen könnten? Wie kann sich solch ein Objekt bewegen und sein Besitzer mit ihm? Vor allem aber wurde überlegt, welche Geschichte hinter diesen Teilen steckt, die Leute mit Abneigung verbanden oder zu denen sie gewisse negative Assoziationen hatten. Ein Beispiel lieferten eine tschechische Studentin und ihr altes Küchengerät für Mehl und Zucker. Das wurde ihr einst von ihrer Stiefmutter geschenkt, einer sehr strengen Frau, weshalb sie dieses Teil stets an Eingeschränktheit, Nutz- und Sinnlosigkeit in der heutigen Zeit erinnerte.
Auf die Idee zu „What Lies Beside the Hate“ kamen Maria Huber und ihre Mitstreiterinnen durch Hate Speech im Internet. Oft sei nicht nachvollziehbar, was warum in diesen Hass-Predigten stehe, konstatiert sie. Deshalb wählten die Macherinnen den umgekehrten Ansatz: die persönliche Beziehung von Menschen zum eigenen Hass. Oft mussten Teilnehmer lange überlegen, welches Objekt sie hassen. Entscheidend für das Projekt: „Wir wollen nicht unbedingt die Geschichten dahinter lösen, sondern helfen, sie besser zu verstehen und eine eigene Beziehung dazu aufzubauen, statt Hass in irgendwelche Manifeste zu verpacken.“
Klingt schwer nach Katharsis, zumal in der Programmbeschreibung ausgeführt wird, dass das Publikum an „eigene Orte der Dunkelheit“ geführt werden soll. „Nein, so weit würde ich nicht gehen“, widerspricht Maria Huber, „vielmehr geht es in unseren Workshops um praktische Materialarbeit und persönliche Geschichten. Die Leute sollen Spaß daran haben, einen eigenen Ausdruck zu finden.“
Teilnehmen sollten andere Künstler, aber auch ganz einfache Menschen, die sich dafür interessierten und bereit waren, ihre Geschichten beizusteuern. In Hradec Králové kam eine Frau von etwa 45 Jahren zufällig als Passantin vorbei und entschloss sich, spontan mitzumachen. In Prag wurde ein Mann quasi von der Straße in den Workshop geholt, weil er ein sehr auffälliges Objekt durch die Gegend trug. Und er blieb.
Auf die „kollektive Schöpfung“ und die „freigelegten Hassmomente“ durch Gespräche mit den Teilnehmern folgte eine erste Performance von ein paar Minuten Länge. Also eine Art von Theateraufführung, in der Darsteller die Geschichten umsetzten. Beim Festival von Cross Attic wurde das Publikum 45 Minuten lang durch einzelne Räume geführt, wo sich Performer mit Objekten präsentierten. Diese Workshops bildeten eine Probephase. „Nach den positiven Erfahrungen entschlossen wir uns, daraus eine Produktion zu machen“, führt Huber aus.
Sie holten „Lindenfels Westflügel“ mit ins Boot. Das internationale Spiel- und Produktionszentrum für Figurentheater in Leipzig wollte die Künstlerinnen sowieso wegen eines anderen Projekts einladen. „Dann fanden wir aber die Beschreibung ihres Hass-Projektes so spannend, dass wir als Ko-Produzent aufsprangen“, sagt Jonas Klinkenberg, der künstlerische Leiter des Zentrums. Als tschechischer Partner wurde „Prostor 39“ gewonnen, ein Kulturzentrum im dritten Prager Stadtbezirk. „Wir wussten, dass sie noch Partner suchen, mit denen sich besser etablieren können“, so Huber, „denn Prag hat eine sehr kleine freie Szene, man kennt sich untereinander.“ Deren Räume nutzten die Künstler auch für Proben zur Performance. Danach stellte der Leipziger „Westflügel“ einen Zuschussantrag beim Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, der das Projekt mit 4.000 Euro förderte.
Damit war der Weg frei für den großen Showdown. Drei Performerinnen auf der Bühne, in sehr abstrakten Rollen – das war der Plan. Sie erzählen, hantieren choreografisch mit Objekten, sprechen wenig Text im Gegensatz zu den Workshops. Anfangs war auch vorgesehen, dass Teilnehmer von damals im Raum sitzen. „Das haben wir jedoch schon in der ersten Corona-Welle im Frühjahr verworfen“, so Huber. Stattdessen sollten Besucher in die Aufführung einbezogen werden, sie hätten Objekte anfassen dürfen, zudem waren Licht- und Objektinstallationen im Raum verteilt. „Zum Beispiel ein Eisblock, durch den etwas schmilzt.“ Schließlich wurde die Premiere für den März 2020 während des Bazaar-Festivals in Prag angesetzt. „Doch quasi über Nacht mussten wir ausreisen, weil nicht garantiert werden konnte, dass wir später noch weg aus Tschechien konnten“, erinnert sich Maria Huber an dramatische Stunden.
Daher gab es im März lediglich zwei Online-Aufführungen in Leipzig und Prag. Sie haben bei Jonas Klinkenberg einen positiven Eindruck hinterlassen. „Sehr partizipativ“ sei die Performance gewesen, „ein Video-Call wurde geteilt, gemeinsam mit Zuschauern Hass und Gegenstände behandelt“. Aber: eben nur online und nicht live, was sich alle gewünscht hatten. Doch das Team probte weiter. „Wir lagen im Sommer nicht auf der faulen Haut, sondern haben das Stück an die veränderten Bedingungen durch Corona angepasst“, betont Maria Huber.
„Theater sind unersetzlich“
(Fast) alles wie früher