Aufbruch mit Folgen
Joachim Gatterer stellt Egon Erwin Kischs „Drei Kühe“ in erhellende Kontexte
19. 12. 2012 - Text: Lisa BöttingerText: Lisa Böttinger; Foto: Raetia
Tausendfach muss Egon Erwin Kisch diesen Satz auf seinen Reisen gehört haben: „Schreib das auf, Kisch!“ Nur ein Soldat des österreichischen Bataillons „12. Februar“ hörte an einem Abend im Juli 1937, mitten im spanischen Bürgerkrieg, lieber aufmerksam seinen Kameraden zu, anstatt selbst mit dem bekannten Journalisten zu plaudern. Eine sichere Garantie dafür, dass sich dieser brennend für den jungen Max Bair interessieren würde. „Geld hab’ ich keins gehabt, ich hab meine Küh’ verkauft, um herzufahren“, erklärt der Tiroler Bauer dem damals 42 Jahre alten Kisch, der als Berichterstatter aus den Internationalen Brigaden seine Solidarität bekunden will, bei deren ersten Zusammentreffen in Brunete bei Madrid. Den so entstandenen Erfolgsroman Kischs über den Bauern Max Bair bettet Joachim Gatterer, der sich als Historiker und Autor zu Themen der politischen Zeitgeschichte Südtirols, Italiens und Österreichs mit den „Drei Kühen“ auseinandergesetzt hat, in einem umfangreichen Nachwort in literarische und gesellschaftliche Kontexte ein – die nicht nur Kisch-Fans zur weiteren Lektüre anregen.
Aus Tirol in die Welt
Seine letzten drei Kühe hatte Bair verscherbelt, um in Spanien gegen den Faschismus zu kämpfen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion machen er und seine Kameraden sich auf und davon – raus aus der Enge des Tiroler Wipptals, angestachelt vom kommunistischen Gedanken, an den sie ein umherziehender Steinmaurer heranführte. Nach einer Zugfahrt von Innsbruck nach Paris geraten die Bauern zum ersten Mal in Berührung mit der Welt außerhalb des beschwerlichen, abgeschotteten Dorflebens – in das sich trotz entbehrungsreicher Zeit und Kriegswirren keiner mehr zurückwünscht. „Wer geistig ausbricht, kann physisch nicht mehr zurückkehren, ohne seine alte Welt zu verändern oder ideellen Bankrott zu erklären“, meint Gatterer. Zwischen Bairs Aufbruch und Kischs Rastlosigkeit als „rasender Reporter“ zieht er Parallelen: So habe bereits Paul Eisner, seinerzeit Prager Kulturpublizist und Übersetzer, Kisch als „elementarste[n] Ausbruch aus dem Prager Lebenspferch“ bezeichnet. Als Bair im September 1937 schwer verwundet erneut in einem katalanischen Lazarett auf Kisch trifft, dessen Bruder dort als Arzt operiert, erzählt er ihm in vielen Nächten seine ganze Geschichte.
Für Kisch sollte sie das Kernstück seiner Berichterstattung aus dem Bürgerkrieg in Spanien werden. Zum geplanten Reportageband fehlte dem leidenschaftlichen Reporter am Ende die Kraft: „Zu schreiben hätte ich so viel, dass ich – o dialektischer Gegensatz – garnichts schreiben kann“ teilt er seiner tschechischen Übersetzerin Jarmila Haasová am 6. Juni 1937 per Brief mit. Welch ungeahnte Verbreitung die „Drei Kühe“ erfahren würden, konnte der geborene Prager damals noch nicht ahnen. Die 18 Schreibmaschinenseiten, die Kisch am 18. November 1937 an Haasová schickt, erscheinen 1938 zunächst nur in einer Broschüre der Internationalen Brigaden in Madrid – illustriert vom spanischen Plakatkünstler Amado Oliver Mauprivez, dessen Werke auch Gatterer anschaulich in seine Betrachtungen einbindet. Durch eine weitere Veröffentlichung in der deutschen Exilzeitschrift „Das Wort“ finden die „Drei Kühe“ im April 1938 in einer Auflage von 10.000 Exemplaren den Weg rund um den Globus und erreichen dabei weitgereiste Exilanten bis nach New York und Haifa. Bair eröffnen sich ungeahnte Karrieremöglichkeiten bei der Kommunistischen Partei und später als Abteilungsleiter eines mathematischen Forschungsinstitutes für Planwirtschaft in der DDR – für das er eigentlich Mathematik hätte studiert haben müssen. Bairs Kindheitstraum, zu lernen und zu studieren, verwirklicht sich dennoch durch ein von der KPÖ ermöglichtes Studium der Volkswirtschaftslehre.
Verbundene Leben
Kisch habe stets „sehr geschickt die notwendigen, richtigen Details herausgeholt“ erklärte Bair Jahrzehnte nach seiner Rückkehr aus den Internationalen Brigaden. Damit gelang es dem Schriftsteller, ein vielbeachtetes Zeugnis aus dem Bürgerkrieg niederzuschreiben, das in zahlreiche osteuropäische Länder gelangte und erst 1980 in einer Tiroler Kalenderschrift veröffentlicht wurde. Es ist, als hätte Egon Erwin Kisch die Karriere seiner „Drei Kühe“ als kommunistische Propagandageschichte und Gegenstück zum klassischen Bauernroman, der den Austritt aus dem dörflichen Idyll als Fehltat deutet, minuziös geplant: Ein unbedeutender Bauernjunge aus einfachen Verhältnissen – die seit jeher Kischs liebstes Recherchemilieu darstellten – wird zum mutigen, weil verzweifelten Ausreißer, dessen bewegte Geschichte ohne Kischs eifriges Nachfragen unter den Tisch gefallen wäre. In seinem Nachwort verweist Gatterer auch auf künstlerische Reaktionen auf den spanischen Bürgerkrieg – Picassos „Guernica“ oder Bertold Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“, die fernab des eigentlichen Kriegsschauplatzes entstanden.
Eine Bauerngeschichte kann sich an solcherlei Werken zwar nicht messen. Dennoch bietet sie das eindrucksvolle Beispiel eines literarischen und gesellschaftlichen Schneeballeffektes, den Gatterer anhand zahlreicher Briefwechsel, Fotos und Zeitungsartikel dokumentiert. Zwischen Bair und Kisch entwickelt sich ein Vater-Sohn-Verhältnis, das sich auch durch deren gemeinsame Bemühungen widerspiegelt, „Die drei Kühe“ noch bekannter zu machen. Gatterer schildert den Werdegang Bairs und Kischs nach dem Untergang der spanischen Republik und während der NS-Diktatur. Schwere Zeiten, die Bair 1993 in einem Interview gelassen zusammenfassen kann – es seien schließlich „immer gute Menschen“ um ihn herum gewesen. Der Kontakt zwischen Bair und Kisch sollte bis hin zu Kischs Tod 1948, vor dem der die „Drei Kühe“ abermals in einem letzten Reportageband veröffentlichte, niemals abreißen.
Frei nach dem Schüttelreim „Ganz anders ist der Bauer, ach – als wie bei Berthold Auerbach“ – dem 1843 mit seinen „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ der Durchbruch gelang – reizte Kisch vor allem das stille Heldentum Baiers, der sich als kaum politisierter Hinterwäldler mit letzten Mitteln auf in den Bürgerkrieg machte. Dass Kisch in Spanien die Entwicklungen in der Sowjetunion noch immer gutheißt, als in deren eigenen Reihen bereits stalinistische Säuberungen stattfinden, führt Gatterer auch auf die von Kisch hautnah erlebte Verfolgung durch die Nationalsozialisten zurück. Sein Kommentar ordnet somit nicht nur eine über 65 Jahre alte, untypische Bauerngeschichte „zwischen Tirol und Spanien“ in ihren historischen Zusammenhang ein. Ganz im Sinne Kischs stellt er hingegen soziale Beziehungsgeflechte und zeitgenössische Strömungen in den Mittelpunkt, ohne dabei die Wahrheit als „edelstes Rohmaterial“, wie Kisch sie auf dem Internationalen Schriftstellerkongress in Paris 1935 bezeichnete, zu verdrängen.
Joachim Gatterer (Hrsg.): Egon Erwin Kisch – Die drei Kühe. Eine Bauerngeschichte zwischen Tirol und Spanien. Verlag Edition Raetia, 173 Seiten, Bozen 2012
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?