Aufsteigen!

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In Prag ist Radfahren kein Vergnügen. Doch langsam verbessern sich die Bedingungen – vor allem dank der Radler selbst

13. 4. 2016 - Text: Daniela HonigmannText: Daniela Honigmann; Fotos: Charlotte Tai/CC BY-NC-ND 2.0/Prahou na kole

Glitschiges Kopfsteinpflaster, parkende Autos auf Fahrradstreifen und Markierungen, die ins Nichts führen: Prager Radfahrern machen nicht nur die vielen Hügel in der Stadt zu schaffen. Verkehrspolitiker ignorierten die wenigen aktiven und die vielen potenziellen Radler lange. Erst jetzt beginnen Stadtplaner und Politiker, sie in ihre Überlegungen einzubeziehen.

Nur langsam und bisher wenig konsequent würden Zweiräder berücksichtigt, findet der Aktivist Jiří Motýl. „Wir werden sicher nie das Niveau von Kopenhagen oder Amsterdam erreichen. Das größte Problem aber ist das Desinteresse seitens der Politik.“ Motýl ist ehren­amtlicher Chefredakteur des Internetportals „Prahou na kole“ (Durch Prag auf dem Rad) und berichtet von einer langen Tradition der allein auf Autos ausgerichteten Verkehrspolitik. Das reiche bis in die siebziger Jahre zurück. Und auch nach 1989 wurde „die grundsätzliche Philosophie, dass Straßen nur für Autos da sind, nicht überdacht“, so Motýl.

Mit den Folgen hat jeder zu kämpfen, der in Prag auf ein Rad steigt: gefährliche Kreuzungen, fehlende Fahrradampeln, aggressive Autofahrer, die es nicht gewohnt sind, Rücksicht auf Zweiräder ohne Motor zu nehmen. Fahrradständer gibt es so übersichtlich wenige, dass sie einzeln im Online-Stadtplan von „Prahou na kole“ gekennzeichnet sind. Immerhin, neue Fahrbahnen werden mit roten Randstreifen versehen und im bestehenden Straßennetz nehmen Markierungen zu. Die meisten Einbahnstraßen sind für Radler in beide Richtungen freigegeben, sie dürfen Fußgängerzonen durchfahren und es gibt beliebte Ausflugstrassen entlang der Moldau.

Am besten fährt es sich an der Moldau – fern von Autos und Straßenbahnen.

„Hier fährt es sich ganz gut“, findet der Wahlprager Zdeněk Přidal. Aufgewachsen in Hradec Králové, wo es eine gute Infrastruktur für Radler gibt, fühlt sich der passionierte Radfahrer in der Hauptstadt in seiner Krea­tivität gefordert: „Man muss eben nutzen, was bereits vorhanden ist. Das funktioniert, wenn man bei der Strecken­planung aufhört, als Autofahrer zu denken.“ Auf die vorhandenen Fahrradwege allein kann er sich aber nicht beschränken: „Die ergeben eine völlig un­logische Streckenführung und werden von der Stadtautobahn unterbrochen.“ Diese schrecke viele potenzielle Radfahrer ab, meint Přidal. Er träumt davon, sie komplett an den Stadtrand zu verlegen und die Magistrale in eine große Fußgängerzone umzuwandeln.

Unwissende Polizisten
Auf manchen Abschnitten der Stadtautobahn seien sogar Fahrrad­fahrer erlaubt, sagt dagegen Petr Novotný. Nur fehlten oft Hinweisschilder, wo diese Abschnitte beginnen und enden. Seit 16 Jahren arbeitet Novotný als Fahrradkurier. Er weiß genau, wo er fahren darf. Und das besser als so mancher Polizist: „In einer Einbahnstraße wollten sie mir schon eine Strafe aufbrummen, weil ich in die entgegen­gesetzte Richtung fuhr. Sie haben manchmal selbst keine Ahnung, was für Rad­fahrer gilt.“ Zudem erlebt Novotný nicht selten, dass Autos – auch die der Gesetzeshüter – an Ampeln die Radwege blockieren.

Damit so etwas in Zukunft nicht mehr passiert, hat die Stadtregierung sich zum Ziel gesetzt, mehr Bewusstsein und Rücksicht für Radfahrer zu schaffen. Im Januar beschloss sie unter anderem, die Infrastruktur weiterzuentwickeln. Außerdem erkannte sie an, dass „das Potenzial des Fahrradverkehrs auf dem Prager Stadtgebiet bisher nicht ausreichend genutzt wird“. Deswegen sollen Wege besser gekennzeichnet und neue, verbindende Fahrrad­trassen angelegt werden. Der Anteil der Radfahrer im Prager Straßenverkehr soll von heute etwa zwei Prozent auf fünf bis sieben Prozent im Sommer 2020 steigen.

Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt – oder macht kurz Pause, um sich mit Fußgängern zu unterhalten.

Stanislav Kozubek hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Vorhaben umzusetzen. Der ehe­malige Radrennfahrer ist seit Januar vergangenen Jahres Vorsitzender der sogenannten Fahrrad­kommission beim Magistrat und weiß, dass ohne politischen Willen nichts vorangeht: „Es hängt immer davon ab, wer der zuständige Stadtrat ist. Wenn er Radfahrer nicht unterstützt, geht das einfach unter.“

Gemeinsam mit dem Dezernenten für Verkehrspolitik Petr Dolínek (ČSSD) sieht sich Kozubek auf einem guten Weg, die etwa 45 Millionen Kronen (1,7 Millionen Euro), die der Haushalt für die Fahrradinfrastruktur vorsieht, sinnvoll einzusetzen – auch wenn er verkrustete Systeme aufbrechen muss: „Wir stoßen auf viele Hürden bei städtischen Einrichtungen und Ämtern.“

Bei der Straßenverwaltung (Technická správa komunikací) sei die Priorität des Autoverkehrs noch fest verinnerlicht, so Kozubek. „Aber langsam beginnt man auch dort zu verstehen, dass der Radverkehr in Prag immer mehr politischen Rückhalt bekommt und dass wir wirklich etwas bewegen wollen.“ Die Fahrrad­kommission hat zumindest schon durchgesetzt, dass bei der Straßenverwaltung eine Abteilung für Radverkehr eingerichtet wurde.

Die größten Fortschritte in der Verkehrsplanung seien aber vor allem den Radfahrern selbst zu verdanken, meint der Aktivist Motýl. „Die Fahrradabschnitte, die es heute gibt, entstanden auf Druck von unten, von den Bürgern.“ Er selbst hat sein Rad jahrelang nicht genutzt und auf bessere Bedingungen gewartet. Bis er den damaligen Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda (ODS) sagen hörte, dass die Stadt viel für Radfahrer unternehme, es aber so wenig Radler gebe, dass man keine weiteren Investitionen plane. „Das hat mich wahnsinnig aufgeregt. Seitdem fahre ich auch bei schlechten Bedingungen täglich Rad – einfach nur, um mich sichtbar zu machen.“

Schön wäre es, seufzt Motýl, „wenn Radfahren in Prag einfach eine ganz normale Sache wäre, wenn ich als Radler nicht auch immer gleich zum Aktivisten werden müsste“. Das wird wohl erst möglich, wenn sein Beispiel Schule macht und alle, die gern radeln würden, sich auf die Straßen wagen, um die Stadt auf zwei Rädern zu erobern.