Aus alt mach neu
Die Gründer von „Zdrojovna“ wollen Müll reduzieren. Bei ihren Veranstaltungen entstehen Geldbeutel und Wohnzimmertische aus Abfall und Gerümpel
7. 5. 2014 - Text: Franziska BenkelText: Franziska Benkel; Foto: Antonín Matějovský
Stirnrunzelnd, die Arme vor der Brust verschränkt und leicht zurückgelehnt begutachtet Martina Dolgová skeptisch ihr Werk. Vor ihr liegt ein alter Holztisch mit nur zwei Beinen. Gut eine halbe Stunde zuvor hatte er kein einziges. Dolgová wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Irgendwie wirkt das alles andere als stabil.“ Sie schaut sich blinzelnd und suchend um. Es ist halb zwei, die Sonne scheint warm auf den Parkplatz des Kulturzentrums Radlická 125 im Prager Stadtteil Smíchov. Mit der rechten Hand formt Dolgová einen Sonnenschutz über den Augen, mit der linken fordert sie lachend ihre Freundin auf der anderen Seite des Platzes auf, herüberzukommen. Am Zaun vor dem Gelände hängt ein großes selbstgemachtes Banner mit der Aufschrift „Zdrojovna“.
Der Begriff leitet sich vom tschechischen Wort „zdroj“ ab, was auf Deutsch so viel wie Quelle oder Ressource bedeutet. „Das Wortspiel ,Zdrojovna‘ beschreibt einen Ort, an dem Dinge wiederverwertet werden“, erklärt Jana Němcová. Sie ist Teil der sechsköpfigen Gruppe, die das Projekt ins Leben gerufen hat. Der schlanken, großgewachsenen jungen Mutter kam die Idee zusammen mit Tereza Klenerová, die 2012 ein Auslandssemester in Bordeaux verbracht hatte. „Als ich zurück nach Prag kam, war ich voller Ideen und Energie, ich wollte irgendetwas starten“, erinnert sich Klenerová. „Im Gegensatz zu Frankreich, wo man alte Möbel einfach auf die Straße stellen kann und irgendjemand sie dann mitnimmt, wird in Tschechien unheimlich viel weggeworfen. Es gibt Mülldeponien, wo noch brauchbare Dinge wie Stühle oder Tische verbrannt oder zu Kleinholz verarbeitet werden.“
Kunterbunte Mischung
Klenerová studiert Soziale Arbeit an der Prager Karls-Universität, hat halblange knallrote Haare und trägt an diesem Sonntag ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Zdrojovna“. „Wir wollen nicht nur eine Art Recycling-Zentrum aufbauen, sondern auch einen Ort der Gemeinschaft bilden und Spaß haben“, sagt die Studentin. Mittlerweile ist es fast drei Uhr nachmittags, immer mehr Freunde, Gäste und Nachbarn trudeln auf dem Gelände ein. Eine kunterbunte Mischung aus Jungen und Alten, Kindern und Hunden. Für 50 Kronen Eintritt, die in ein großes Einmachglas geworfen werden, bieten die Zdrojovna-Gründer und andere Organisationen, die sie an diesem Sonntag eingeladen haben, unterschiedliche Workshops zum Thema Selbermachen an.
Zdeněk Blaha und Antoan Pepelanov, Fotograf bei „Zdrojovna“, haben Vintage-Kameras mitgebracht. „Ich bin ein absoluter Fan von Analogapparaten“, gesteht Blaha. Auf einem kleinen runden Tisch zwischen zwei alten Plüsch-Sesseln stehen Spiegelreflex-, Kompaktkameras und Fotofilme. Blaha nimmt eine sowjetische Spiegelreflex der Marke Zenit in die Hände, schaut durch den Sucher und dreht gekonnt am Objektiv. „Die Besucher können sich eine Kamera aussuchen, wir erklären ihnen kurz ein paar technische Handgriffe und dann können sie drei bis vier Fotos auf dem Gelände schießen“, erklärt der Kameraliebhaber. Mitte Juni werden die Bilder in einer Ausstellung im Radlická 125 zu sehen sein.
Ein besonderer Charme
Vor ein paar Jahren war das Kulturzentrum noch ein riesiges leerstehendes Haus. Eine Gruppe von Studenten kaufte und renovierte es in Eigenregie. Heute finden hier nicht nur kulturelle Events wie „Zdrojovna“, sondern auch Sportkurse und Partys statt. Das Gebäude, in dem früher Maschinen aufbewahrt wurden, strahlt einen besonderen Charme aus. Lange Holzbalken ziehen sich entlang des Dachstuhls, die Wände sind unverputzt und der nackte bröckelige Backstein ist zu sehen. Im hinteren Teil sind – selbstverständlich aus gebrauchten Tischen und Stühlen – Sitzecken und ein Tischkicker aufgebaut. An der selbstgebauten, modernen Stein-Bar gibt es Getränke, vegetarische Snacks und Kuchen. Ein DJ spielt erst Grammophon-Musik, dann poppige Tanzmusik.
Entlang der Außenwände sind die Stände aufgebaut, an denen verschiedene Workshops angeboten werden.
Verwendet werden überall gebrauchte Materialien: Stoffreste und Einmachgläser ebenso wie alte Schallplatten. Bewaffnet mit Heißklebepistole und Fingerspitzengefühl zeigt ein Hobby-Künstler, wie aus leeren Milchtüten originelle Portemonnaies und Tabakbeutel entstehen. An einem Tisch ist die Gruppe „Já na tom dělám“ (frei übersetzt „Das mach ich selbst“) vertreten, die in der Prager Do-it-yourself-Szene bereits bekannt ist. „Wir machen kleine Taschen aus einem Gegenstand, den so gut wie jeder zuhause hat und so gut wie niemand mehr benutzen kann – Kassetten.“ Jana Ecksteinová zeigt mit flinken Händen, wie man die scheinbar unnütz gewordenen, aber meist heißgeliebten Plastikquader umfunktionieren kann. Mit einer Zange teilt sie die Kassettenhälften, entfernt das gesamte Innenleben, legt die Wände mit einem gebrauchten Stoff aus und klebt einen Reißverschluss zwischen beide Hälften. „Genau so“, sagt sie, „fertig ist ein Geldbeutel“.
Nachhaltigkeit ist Trend
Die junge Prager Nachhaltigkeits-Szene wächst, vernetzt sich und kooperiert gut miteinander. Ob Gemeindegärten, Selbstmach-Aktionen, Flohmärkte oder Klubhäuser: Man kennt sich. Dabei ist es egal, ob einige eher an Nachhaltigkeit und Müllreduzierung interessiert sind, andere eher an Ästhetik und Trend.
Tereza Schmoranz begeistert sich für Letzteres. Sie steht auf dem Parkplatz und hat ein lila Tuch um den Oberkörper geschlungen, in dem sich ihr kleiner Sohn befindet, der zweite hüpft über den Platz. „Ich habe im Internet von ,Zdrojovna‘ gelesen und direkt angefragt, ob die Möglichkeit besteht mitzumachen.“ Schmoranz organisiert Mitte Mai eine Ausstellung und einen Vintage-Mode-Markt. Heute wickeln ihre Helferinnen den Torso von Besucherinnen ein und erstellen auf diese Weise Skulpturen für die anstehende Ausstellung. Auf die Frage, warum sie hier sei, antwortet sie: „Ich finde es toll, aus scheinbarem Müll Neues und aus Gebrauchtem Luxus zu machen.“
Auch Dolgová hat mittlerweile Unterstützung bekommen. Nicht nur ihre Freundin kam zur bautechnischen Unterstützung, gleich zwei weitere hilfsbereite Hobbybastler gesellten sich dazu. Die wackeligen Beine wurden in Teamarbeit mit dem passenden Schrägbalken verstärkt. Dolgová bedankt sich, steckt sich eine Zigarette an und begutachtet liebevoll ihren neuen, alten Wohnzimmertisch. Wahrscheinlich liegen selbstgemachte Dinge auch einfach mehr am Herzen als gekaufte.
Auf unbestimmte Zeit verschoben
Neue Formen des Unterrichts