„Aus Angst muss Freude werden“
Adam Ondra ist erst 21 und gehört bereits zu den besten Kletterern aller Zeiten. Diesen Sommer gewann er als Erster den Weltmeistertitel sowohl im Bouldern als auch im Lead-Klettern
30. 10. 2014 - Text: Eva FamullaText: Eva Famulla; Foto: ČTK/Tomáš Binter
Ein unscheinbarer, ziemlich zierlich wirkender Brünner wird seit rund zwei Jahren als bester Kletterer unserer Zeit gehandelt. Damals gelang dem erst 19-jährigen Adam Ondra der Vorstieg einer Route mit dem Schwierigkeitsgrad 9b+. Dieses Jahr holte er im August den Weltmeistertitel im Bouldern. Drei Wochen später gewann er die Weltmeisterschaft im Lead-Klettern. In der Szene ist er jetzt schon eine Ikone.
„Ich klettere mit Sicherheit nicht, um berühmt zu sein“, sagt Ondra mit Nachdruck. Das schwarze, lockige Haar fällt ihm dabei in den Nacken. Vor ihm hätte noch überhaupt keiner beide Titel gleichzeitig gewonnen, erklärt er. Ein Fünkchen Stolz schwingt dabei mit in seiner Stimme. Es ist Anfang Oktober – Václav-Havel-Flughafen Prag. Ondra ist auf dem Weg nach Asien. Dort wird er drei Weltcup-Wettkämpfe bestreiten. Die sogenannte „World Cup Series“ besteht aus acht Veranstaltungen, der Gesamtsieger wird Ende des Jahres gekürt. Ondra steht zur Zeit auf Rang fünf, jedoch in Sichtweite zum führenden Österreicher Jakob Schubert.
Ondra wirkt entspannt. Er bestellt sich einen Espresso, schwarz ohne alles. Er möchte Menschen gerne dazu inspirieren, ihrer Leidenschaft nachzugehen – oder sich eine zu suchen. „Ein Leben ohne Leidenschaft ist meiner Meinung nach ein ziemlich trauriges.“ Der junge Mann wählt seine Worte mit Bedacht. Und es wird offensichtlich: Für Ondra ist Klettern mehr Berufung als Beruf. Er klettert nicht einfach, er macht sich Gedanken um das Warum und Wofür. „Was kann ich mit meinem Tun erreichen?“, fragt Ondra etwas suggestiv und liefert die Antworten gleich selbst. „Mein Weg, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, ist es, entweder neue Routen zu schaffen oder die Menschen zu inspirieren.“ Klettern sei darüber hinaus ein Lebensstil.
Hoch über dem Boden
Seine Augen beginnen zu leuchten, er beschreibt das Gefühl, das er mit seiner Leidenschaft verbindet. „Ich würde es nicht Freiheit nennen, aber mir fehlt ein besseres Wort. Ich liebe es einfach, irgendwo hoch über dem Boden zu schweben.“ Neben dem Besteigen der Wand gehe es auch um das Erlebnis, das man mit Freunden teilt. Das Reisen, in der Natur sein, unter freiem Himmel schlafen – das alles ist für Ondra ein elementarer Teil des Gesamterlebnisses Klettern. Seine Eltern nahmen ihn mit auf die erste Klettertour, als er gerade einmal drei Jahre alt war. Was am Anfang eher einem „im Seil schaukeln“ glich, wurde noch im Kindesalter ein Hobby. Einen starken Einfluss auf ihn hatte das Buch „Rock Stars“ des österreichischen Fotografen Heinz Zak. Es habe so schöne Bilder darin gegeben. Die Menschen auf diesen Fotos sahen in den Augen des siebenjährigen Adam unglaublich glücklich aus. Er beschloss, dass er eines Tages wie sie sein wollte.
„Ich habe meine Entscheidung nie bereut“, so Ondra. Seine Erfolge geben ihm recht. Mit 14 gewann er die erste Weltmeisterschaft in der Klasse „Jugend B“. Seitdem wird die Liste der internationalen Titel immer länger. Dabei haben ihn Wettkämpfe lange gar nicht groß interessiert. „Felsenklettern war viel wichtiger für mich. Wettkämpfe habe ich nicht richtig ernst genommen.“ Trotzdem gewann er bereits 2009 die „World Cup Series“ in der Erwachsenenklasse – mit erst 16 Jahren. Nach dem Abitur ging er ein Jahr auf Weltreise – zum Felsenklettern natürlich. Ondra beging und wiederholte, über den ganzen Globus verteilt, einige der schwersten Routen. Der wichtigste Teil seiner Reise war der Aufenthalt in Norwegen. In einer Höhle in Flatanger gelang ihm nach drei Monaten die Erstbesteigung seines Projektes „Change“: die besagte erste „9b+“ in der Klettergeschichte. An der Wand sei sein Geist frei, nichts zähle mehr außer der nächsten Bewegung. „Ich denke nicht darüber nach, ob ich es schaffe oder nicht. Ich versuche es einfach.“
Tief in sich versunken
Intuition und Erfahrung würden seinen Körper lenken. „Ich denke, es ist schwer, eine andere Aktivität zu finden, bei der man mental so tief in sich selbst versunken ist.“ Und wie steht es mit der Angst vor der Höhe? Ondra lächelt. Sicher kennt er die. Das sei Teil des Kletterns. Mit der Zeit gewöhne man sich daran. „Man muss die Angst zu Freude werden lassen, genau wie beim Training. Da muss der Schmerz auch Freude sein.“
Adams Kletterheimat ist vor allem der Mährische Karst. Der Stein dort sei nicht sehr schön, „nur ein Stück polierter Kalkstein“. Wirklich besonders seien in Tschechien dagegen die weit verbreiteten Sandsteinfelsen. Das habe er nirgendwo anders so gesehen. „Sogar der Geruch der Felsen ist anders“, sagt Ondra, wieder mit diesem Leuchten in den Augen. Europa sei der beste Kletter-Kontinent. „Es gibt wunderbare Gebiete in anderen Ecken der Welt.
Aber die Konzentration an Felsen in Europa ist einmalig.“ Ondras Lieblingsland diesbezüglich ist eindeutig Norwegen. „Es ist immer noch Europa, aber rauer und abenteuerlicher.“ In der Höhle in Flatanger hat er noch vier oder fünf offene Projekte. Die warten auf ihre Vervollständigung. Das kann aber noch ein bisschen dauern. Zurzeit konzentriert sich Adam auf Indoor-Klettern und Wettkämpfe. Nebenbei studiert er im dritten Semester Wirtschaft an der Masaryk-Universität in Brünn. Das Studium bezeichnet er als willkommene Ablenkung vom harten Training. Außerdem könne ihm eine gute Ausbildung später behilflich sein – wenn er als professioneller Kletterer nicht mehr genug Geld verdienen kann.
Fast unschlagbar
Auf die Weltmeisterschaft vergangenen August hat er sich das erste Mal gezielt vorbereitet. Wenn man so lange auf etwas hinarbeite, dann gehe man am Ende auch anders an einen Wettkampf heran. Das Glücksgefühl nach der Lead-Weltmeisterschaft sei stärker gewesen als nach der Erstbesteigung von „Change“. „Vielleicht das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist“, resümiert Ondra. Es sei die Belohnung für monatelanges, hartes Training gewesen.
Faszinierend ist, dass Ondra in allen Disziplinen gleich gut zu sein scheint. Ob am Felsen, beim Bouldern oder an der künstlichen Wand – an einem guten Tag ist er fast unschlagbar. Eine ernsthafte Verletzung hat er noch nie erlitten. Beim Klettern werden vor allem Hand- und Armmuskeln übermäßig beansprucht. Fingerverletzungen treten am häufigsten auf. „Mein Körper hat sich dem Klettern perfekt angepasst. Da ich so jung angefangen habe, hatte er genügend Zeit Zeit, die entsprechenden Muskeln aufzubauen“, erklärt Ondra seine besondere Physiognomie.
Und wo liegen die Grenzen des Sportkletterns? Wo wähnt er die eigenen? Ondra lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Klettern sei ein junger Sport. Allein in den letzten fünf Jahren hätte er sich sehr stark weiterentwickelt. Trainingstechniken würden sich stetig verbessern. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir noch schwierigere Routen sehen.“ Eine „9c“ sei sehr realistisch und nicht einmal in ferner Zukunft. Adam zuckt leichtfertig mit den Schultern. „Ich denke, in ein paar Jahren könnte ich es durchaus schaffen.“
In der Zwischenzeit arbeitet Ondra fleißig weiter an der eigenen Sportler-Legende. Beim Weltcup im japanischen Inzai gewann er einen der drei Wettkämpfe im Vorsteigen. Es dürfte nicht der letzte Sieg in seiner noch immer jungen Karriere gewesen sein.
Eine steile Karriere
Adam Ondra wurde 1993 in Brünn geboren. Bereits mit 13 Jahren schaffte er es, in die Weltspitze der Kletterer aufzusteigen, als er eine Route der Schwierigkeitsstufe 9a überwand. 2009 gewann er den Gesamtweltcup der Herren im Leadklettern, 2010 im Bouldern. 2012 gelang es Ondra als erstem Kletterer, in einer Höhle im norwegischen Flatangar eine Route mit der Schwierigkeitsstufe 9b+ zu besteigen. Seit 2013 studiert der junge Kletterer an der Masaryk-Universität Brünn Wirtschaft. Nach einer zweijährigen Wettkampfpause gewann er in diesem Jahr wieder Weltmeistertitel sowohl im Bouldern als auch im Leadklettern. (ph)
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