Aus Spaß wird Ernst
Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache holt namhafte Ensembles und Schauspieler wie Lars Eidinger, Devid Striesow und Ursina Lardi in die tschechische Hauptstadt. Das Motto in diesem Jahr: Schluss mit lustig
8. 11. 2018 - Text: Marcus Hundt, Titelbild: Armin Smailovic (Thomas Niehaus und Paul Schröder als Söhne des Odysseus)
Drogen, Depressionen, Selbstmord. Für die meisten klingt das kaum nach „unendlichem Spaß“. Doch genau darum geht es in dem gleichnamigen Theaterstück von Thorsten Lensing, der den Erfolgsroman von David Foster Wallace („Infinite Jest“, 1996) auf die Bühne brachte. Der „Unendliche Spaß“ sei von einem unendlichen Ernst beherrscht, urteilte Literaturkritiker Ulrich Greiner nach dem Erscheinen der deutschen Erstausgabe im Jahr 2009.
Das Motto „Schluss mit lustig“, unter dem das 23. Prager Theaterfestival deutscher Sprache läuft, ist also tatsächlich Programm. Neben „Unendlicher Spaß“ werden vom 18. November bis 1. Dezember noch sechs weitere Inszenierungen gezeigt. Allesamt widmen sie sich ernsten Themen, doch versprechen die Veranstalter gleichwohl unterhaltsame Theaterabende.
Den Unendlichen Spaß werden die Festivalbesucher am letzten November-Wochenende in der Neuen Bühne des Nationaltheaters haben. Die knapp vierstündige Inszenierung von Lensing feierte erst im Februar in den Berliner Sopiensælen ihre Premiere. Das Echo auf das erstklassig besetzte Stück (u.a. Ursina Lardi, Devid Striesow und Sebastian Blomberg) fiel überwiegend positiv aus. In einer Kritik für die „Süddeutsche Zeitung“ befand Mounia Meiborg sogar, „die ersten zwei Stunden sind das Schönste, was man seit langem im Theater gesehen hat“.
Eröffnet wird das Prager Theaterfestival deutscher Sprache mit einem anderen, von den Theaterkritikern gefeierten Stück. Stephan Kimmig hat für das Wiener Volkstheater den zehnteiligen Filmzyklus „Dekalog“ von Krzysztof Kieślowski adaptiert. Der deutsche Regisseur „verbindet die einzelnen packenden Storys zu einer gemeinschaftlichen Suche nach Halt und Orientierung“, heißt es auf der Seite des Volkstheaters. Acht Schauspieler schlüpfen für Die Zehn Gebote (so der Titel der Bühnenfassung) in rund 30 durchaus anspruchsvolle Rollen. Norbert Mayer schrieb nach der Uraufführung im Dezember 2017 für „Die Presse“: „Man wird Zeuge eines Mordes, begleitet den verurteilten Mörder zur Exekution (…), sieht eine Vater-Tochter-Beziehung, die auf Inzest hinsteuert. Man leidet mit einer Frau, die glaubt, dass ihr Mann stirbt (…). Eine Nymphomanin und ihr Stalker, ein impotenter Arzt und seine attraktive Frau (…) erleben Glück nur für Momente, Liebe für Minuten.“ Die Zuschauer erwarte „ein beeindruckender Abend voll bleierner Depression“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ stimmte regelrechte Lobeshymnen auf „Die Zehn Gebote“ an: „Mag es auch als Blasphemie gelten, für diese Inszenierung ein neues Gebot aufzuwerfen, so muss es doch heißen: ,Du sollst dir das anschauen!’“
Geht es nach dem Echo der Theaterkritik gilt das auch für die jüngste Inszenierung von Antú João Romero Nunes, Hausregisseur am Thalia Theater Hamburg. Die Odyssee. Eine Irrfahrt nach Homer, eingeladen zum diesjährigen Berliner Theatertreffen, wird an zwei Abenden im Kunstzentrum DOX aufgeführt. In dem zweistündigen Theaterstück verkörpern Thomas Niehaus und Paul Schröder die Odysseus-Söhne Telemachos und Telegonos, die sich als junge Männer zum ersten Mal begegnen und nun gemeinsam die Rückkehr ihres Vaters von dessen Irrfahrt erwarten. Annette Yang vom NDR vergleicht die Arbeit des 35-jährigen Theatermachers mit einem „intensiven Kammerspiel (…), das in einem Szenario wie aus einem Horrorfilm eskaliert. Wer die griechische Sage von Odysseus kennt, wird viele Figuren wiederfinden. Alle anderen wird das lustvolle, schonungslose Spiel der beiden Darsteller fesseln“.
Im Theater Archa bekommen die Festivalbesucher Five Easy Pieces geboten. Doch anders als der Titel vermuten lässt, – ähnlich wie beim „Unendlichen Spaß“ – ist der Stoff des Schweizer Regisseurs und Filmemachers Milo Rau alles andere als leicht. Die Produktion des Theaters Campo aus dem belgischen Gent befasst sich mit Marc Dutroux, der in den achtziger und neunziger Jahren mehrere Kinder und Jugendliche entführt, sexuell missbraucht und ermordet hat. In „Five Easy Pieces“ entwickelt Rau anhand der Biografie des Serienmörders und Kinderschänders eine kurze und bedrückende Geschichte Belgiens. Auf der Bühne stehen Kinder zwischen acht und 13 Jahren, die aussprechen, was unsagbar scheint. Sie schlüpfen in die Rolle der Opfer und des Täters – und inszenieren einen Fall, in dem sie selbst nie zu Wort kamen. „Five Easy Pieces“ heißen auch von Igor Strawinsky erdachte Klavierübungen für Kinder. Milo Rau macht daraus Übungen für Erwachsene, den Abgründen menschlicher Existenz zu begegnen – unter Mithilfe von Kindern.
Eine Liebeserklärung an den Horrorfilm und die Schauerliteratur erwartet die Zuschauer am 27. November im Theater Komödie. Blackout, ein Stück von Claire Thill und dem Ensemble ILL (Independent Little Lies) aus Luxemburg, dreht sich um Sinnestäuschungen, unberechenbaren Naturgewalten und einer Gesellschaft, die sich der Realität verschließt. Ausgangspunkt ist das in großen Teilen Europas und im Nordosten Amerikas ungewöhnlich kalte Jahr 1816, verursacht vor allem durch einen Vulkanausbruch in Indonesien. Das „Jahr ohne Sommer“ – in Deutschland auch als „Achtzehnhundertunderfroren“ und in den USA als „Eighteen Hundred and Froze To Death“ bezeichnet – hatte verheerende Folgen: Ernteausfälle und Hungersnöte, Krankheiten und soziale Unruhen. „Blackout“ greift die Untergangsstimmung des Jahres 1816 auf und verknüpft sie mit der Dramaturgie eines modernen Horrorfilms.
Auf unbestimmte Zeit verschoben
„Theater sind unersetzlich“