Aus Tradition und Leidenschaft
Ein Freundschaftsspiel zwischen dem DFC Prag und der „Initiative 1903“ lässt die Geschichte der ersten Deutschen Fußballmeisterschaft aufleben
17. 9. 2015 - Text: Melanie NolteText: mno/sw; Foto: Melanie Nolte
Sonntagmorgen, blauer Himmel, Temperaturen um die 20 Grad – im Nordwesten der Hauptstadt herrscht ideales Fußballwetter. Auf der Tribüne des SK Aritma in Prag-Vokovice jagen 22 Akteure der Lederkugel nach. Doch es ist kein gewöhnliches Ligaspiel irgendeiner unterklassigen Regionalmannschaft, das hier stattfindet. Auf den Rängen feuern Zuschauer die Teams auf Tschechisch wie auf Deutsch an. Und 20 Minuten vor Schluss fordern alle gemeinsam den Schiedsrichter dazu auf, die Partie abzupfeifen. Das Resultat lautet 7:2 für die „Initiative 1903“ gegen den DFC Prag, den es seit 76 Jahren gar nicht mehr gibt.
Die Partie ist eine im historischen Stil veranstaltete Wiederholung des Finales der ersten Deutschen Meisterschaft und der Versuch zur „Wahrung der Fußballkultur und -tradition“, erklärt Sebastian Bona, Organisator des einzigartigen Duells und Vorsitzender der „Initiative 1903“. Das Fußball-Herz des 31-Jährigen schlägt für den ehemaligen VfB Leipzig, dessen Teams 2004 bis auf die erste Mannschaft in den neugegründeten 1. FC Lokomotive Leipzig übergingen. Der Ingenieur hat es sich zur Aufgabe gemacht, an alle Teilnehmer der 1903 erstmals ausgetragenen Deutschen Meisterschaft zu erinnern. Hierfür veranstaltete die Initiative als VfB Leipzig unter anderem schon Partien gegen den BSV 1892 Berlin (ehemals Britannia Berlin) oder den Karlsruher FV. Gedenktafeln erinnern in Hamburg, Leipzig, Karlsruhe und Berlin an die Ereignisse vor 112 Jahren.
Prager Favorit
Dass der DFC Prag – ein Verein aus dem Habsburgerreich – überhaupt im Finale der deutschen Fußballmeisterschaft stand, hatte er damals seinem Vorsitzender Ferdinand Hueppe zu verdanken. Hueppe war gleichzeitig erster Präsident des Deutschen Fußball-Bundes und sorgte dafür, dass sein Klub um den Titel im Deutschen Kaiserreich mitspielen durfte. In Bestbesetzung traten die Prager am 31. Mai zum Endspiel an. Und obwohl der DFC als Favorit galt und in der elften Minute sogar mit 1:0 in Führung gegangen war, unterlag das Team gegen den VfB Leipzig am Ende deutlich mit 2:7. Der DFC Prag bekam danach nie mehr die Möglichkeit zur Revanche. Mit dem Beitritt des DFB zur FIFA im Jahr 1904 mussten die Prager Vereine aus dem Verband ausscheiden. 1939 löste sich der DFC im Protektorat Böhmen und Mähren auf.
76 Jahre danach stehen wieder elf Fußballer in den Trikots des DFC Prag auf einem Fußballplatz. Die Zusammensetzung des Teams dürfte ganz nach dem Geschmack Hueppes gewesen sein. „Der DFC war ein jüdischer, kosmopolitischer Verein und bestand aus Mitgliedern verschiedener Nationalitäten“, beschreibt Thomas Oellermann den legendären Klub. Der 38-jährige Historiker und Hobbyfußballer lebt seit zwölf Jahren in Prag und repräsentiert den wiederbelebten DFC Prag als Kapitän. Für die Neuformierung rekrutierte er in Prag wohnende Deutsche, aber auch einen Österreicher und einen Holländer.
Auch für Oellermann steht der historische Aspekt im Vordergrund. Als Mitarbeiter des Collegium Bohemicum in Ústí nad Labem ist er an der Organisation des Spiels beteiligt. Die gemeinnützige Kultur-, Bildungs- und Forschungseinrichtung trat auf tschechischer Seite als Antragsteller für Subventionen vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds auf, in Deutschland bat die „Initiative 1903“ um Mittel. Doch trotz der finanziellen Unterstützung des Fonds wäre dieses einmalige Freundschaftsspiel nicht ohne die Leidenschaft von Fußballfans wie Bona oder Oellermann möglich gewesen.
Historisch korrektes Ergebnis
Bonas „Initiative 1903“ alias VfB Leipzig tritt dementsprechend motiviert auf. Ganz nach dem Motto „100 Prozent Fußballtraditionspflege – 100 Prozent Ehrenamt – 100 Prozent Leidenschaft“, wie die Vereinigung auf ihrer Website betont. Der „Titelverteidiger“ trifft als eingespielte Mannschaft auf eine wild zusammengewürfelte Prager Truppe und dominiert die Partie. Um das besondere Ereignis so authentisch wie möglich zu gestalten, wird mit einem typischen braunen Lederball aus der damaligen Zeit gespielt. Die Wahl des Systems fällt bei beiden Mannschaften ganz im alten Stil auf ein extrem offensives „2-3-5“. Auf der Zuschauertribüne sind sich alle einig, dass das schönste Ergebnis ein historisch korrektes 7:2 wäre. Als genau dieses Ergebnis mit dem siebten Treffer der Leipziger 20 Minuten vor Ende erreicht ist, fordern die Zuschauer lautstark den Abpfiff. Dass es bis zum Schluss dabei bleibt, ist laut Oellermann alles andere als abgesprochene Sache.
Die Freude über die gelungene Partie ist auch den unterlegenen Spielern anzusehen – die sieben Tore auf der Anzeigentafel würden sie dennoch lieber auf ihrer Seite sehen. Nach 90 Minuten heißt es also erneut: Die Deutsche Fußballmeisterschaft geht an den VfB Leipzig. Doch damit ist der historische Akt noch nicht beendet. Nach der Siegerehrung weihen beide Team-Kapitäne eine Gedenktafel ein, um an den DFC Prag als ersten deutschen Fußball-Vizemeister zu erinnern.
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