Autobahn statt Neorenaissance
Vor 30 Jahren wurde der einst bedeutende Fernbahnhof Těšnov in Karlín abgerissen
26. 3. 2015 - Text: Franziska NeudertText: fn/čtk; Foto: České dráhy
Mit einer dicken Staubwolke verschwand vor 30 Jahren einer der schönsten Bahnhöfe aus dem Prager Stadtbild. Nahe der Stelle, an der sich heute das Stadtmuseum befindet, in unmittelbarer Nähe zum Busbahnhof Florenc, wurde am 16. März 1985 die Station Těšnov in die Luft gesprengt. 400 Kilogramm Sprengstoff sorgten dafür, dass das historische Bahnhofsgebäude der neuen Stadtautobahn wich. Derzeit erinnert eine Ausstellung im Park vor dem Museumsgelände an den einst bedeutenden Fernbahnhof. Bis 31. Mai können Besucher auf Schautafeln anhand von historischen Fotografien, Postkarten und Bauplänen dessen Geschichte nachvollziehen.
Im Auftrag der k.u.k. privilegierten Österreichischen Nordwestbahn, die seinerzeit ihr Eisenbahnnetz weiträumig ausbaute, nahm Těšnov im Mai 1875 nach fast dreijähriger Bauzeit seinen Betrieb auf. Als „Prag Nordwestbahnhof“ bildete er die Endstation der Strecke von Wien nach Böhmen. Konzipiert hatte den Neorenaissance-Bau mit seiner monumentalen Eingangshalle der Prager Architekt Karel Schlimp. Während er die Seitenflügel des Kopfbahnhofs schlicht ausführte, gestaltete er die Fassade der Empfangshalle prunkvoll im Stil eines römischen Triumphbogens mit korinthischen Säulen, die von Allegorien bekrönt wurden; auf dem Giebel triumphierte die Figurengruppe der Austria, die den Vielvölkerstaat personifizierte.
Glanzvoll waren auch Abfertigungshalle und Warteräume im Inneren. „Der Wartesaal für die erste und zweite Klasse ist sehr elegant eingerichtet, die Sitze sind mit grünem Samt überzogen, die Tische sind aus Marmor. An der Decke befinden sich prächtige Arabesken. Auch das Restaurant und die Warteräume der dritten und vierten Klasse sind angemessen ausgestattet“, war in der Illustrierten „Světozor“ im Jahr 1876 zu lesen.
Mehr als vier Jahrzehnte diente die Eisenbahnstation als Nordwestbahnhof (Praha severozápadní nádraží ), von 1919 bis 1939 trug sie den Namen Denis-Bahnhof (Praha Denisovo nádraží), zu Ehren des französischen Historikers Ernest Denis, der sich für die Unabhängigkeit der Tschechen eingesetzt hatte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Station in Moldau-Bahnhof (Praha Vltavské nádraží) umbenannt. In der Nachkriegszeit wurde sie für wenige Jahre noch einmal als Denis-Bahnhof bezeichnet, bis sie 1953 ihren bis zuletzt gültigen Namen Těšnov nach der vor dem Bahnhof verlaufenden Straße erhielt.
Ihre Bedeutung für den Personenverkehr verlor die Station allmählich, als die Tschechoslowakische Staatsbahn in den zwanziger Jahren einen Plan ausarbeitete, der einen Fernbahnhof im Prager Stadtzentrum vorsah. Es dauerte, bis dieser umgesetzt und der Reiseverkehr über den 1871 eröffneten Hauptbahnhof (Hlavní nádraží) und den 1845 in Betrieb genommenen Masaryk-Bahnhof (Masarykovo nádraží) abgewickelt wurde, so dass der Bahnhof Těšnov weiterhin genutzt wurde. Am 1. Juli 1972 rollten zum letzten Mal Züge in den Bahnhof ein; danach wurde das Gebäude geschlossen und begann zu verfallen. Im Zuge der Stadtplanung entschied die Kommunistische Partei, die Anlage ungeachtet ihres kunsthistorischen Werts zu beseitigen. Bis 1975 ließ die KSČ die Nebengebäude und den Nordflügel des Empfangsgebäudes abreißen. 1984 wurde der Bahnhof endgültig stillgelegt und im Jahr darauf dessen Südflügel mit der monumentalen Empfangshalle gesprengt. Heute führt über das Gelände des ehemaligen Bahnhofes die vierspurige Stadtautobahn.
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