Babiš-Partei ANO zu Verhandlungen bereit
Tschechien nach der Wahl: Erste Gespräche deuten auf mögliche Koalitionsverhandlungen hin – Protestpartei ANO will Verantwortung übernehmen – Querelen bei den Sozialdemokraten
27. 10. 2013 - Text: Ivan DramlitschText: id/čtk, Foto: APZ
Siegreiche Sozialdemokraten mit schwachem Ergebnis, ein Überraschungserfolg der Protestbewegung ANO, gestärkte Kommunisten, ein geschwächtes bürgerliches Lager sowie insgesamt sieben Parteien in einem fragmentierten Parlament – das Ergebnis der tschechischen Parlamentswahlen sorgte in puncto mögliche Regierungsbildung am Wahlabend für viele ratlose Gesichter.
Alle Beobachter waren sich jedoch darüber einig, dass der ANO-Partei von Milliardär Andrej Babiš (Foto) als zweitstärkste Kraft (18,6 Prozent) eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung zukommt. Nachdem Babiš noch am Wahlabend eine Zusammenarbeit sowohl mit der siegreichen ČSSD als auch mit den bürgerlichen Parteien ODS und TOP 09 ausschloss, relativierten ANO-Vertreter diese Aussagen am Sonntag.
Der ANO-Abgeordnete Martin Stropnický sagte im Tschechischen Fernsehen, es gebe „61 Prozent Übereinstimmung“ zwischen den Programmen von Sozialdemokratie und ANO. „Wir sind bereit zu verhandeln. Das Wahlergebnis verpflichtet uns dazu“, so Stropnický. ANO könne angesichts dieses Ergebnisses nicht „reine Opposition, also beziehungslos zur Regierung“ sein, so der ANO-Abgeordnete. Er könne sich eine Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Christdemokraten vorstellen.
Auch Vertreter der meisten anderen Parteien forderten ANO auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Der stellvertretende ODS-Vorsitzende Jiří Pospíšil nannte die Dreierkoalition ČSSD, ANO, KDU-ČSL die „einzige realistische Lösung“. ČSSD-Vize Michal Hašek sprach sich ebenfalls für eine Koalition der drei genannten Parteien aus. Würde dies nicht gelingen, sollte man über die Unterstützung einer ČSSD-Minderheitsregierung nachdenken.
Gleichzeitig machen sich erste Konflikte innerhalb der ČSSD bemerkbar. Parteivize Hašek machte indirekt den Parteivorsitzenden Bohuslav Sobotka für das schlechte Ergebnis verantwortlich. „Wenn ich Parteichef wäre und auf 20,5 Prozent kommen würde, würde ich als Parteivorsitzender zurücktreten“, so Hašek am Sonntag im Tschechischen Fernsehen. Sobotka reagierte mit einem Gegenangriff auf die Kritik: „Was die Worte von Michal Hašek angeht, so hat er selbst ein schlechtes Gewissen. Er hat vor den Wahlen in hohem Maße dazu beigetragen, dass die ČSSD als gespaltene Partei wahrgenommen wurde“, so Sobotka gegenüber dem Nachrichtenserver „idnes.cz“. Er schlug gleichzeitig einen außerordentlichen Parteitag der Sozialdemokraten im Frühjahr vor, bei dem sich die Führung zur Wahl stellen sollte. Sobotka schloss in diesem Zusammenhang eine Kandidatur nur für den Fall aus, wenn es ihm nicht gelingt, eine Koalition aus ČSSD, ANO und Christdemokraten zusammenzustellen.
Vorläufiges amtliches Endergebnis
ČSSD 20,45 %
ANO 18,65 %
KSČM 14,91 %
TOP 09 11,99 %
ODS 7,72 %
Úsvit 6,88 %
KDU-ČSL 6,78 %
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“