„Befreite Frauen“
Das Museum Kampa zeigt bis Ende Oktober Werke des Star-Fotografen Helmut Newton. Chefkuratorin Helena Musilová zieht eine Zwischenbilanz
2. 10. 2019 - Interview: Klaus Hanisch, Titelbild: Museum Kampa (Elsa Peretti in a 'Bunny' costume by Halston, New York, 1975)
PZ: Ihre Ausstellung mit Fotos von Helmut Newton begann Ende Juni. Wie viele Besucher haben sie in den ersten drei Monaten schon gesehen?
Helena Musilová: Seit der Eröffnung kamen bis zum 23. September genau 30.704 Besucher in diese Ausstellung.
Helmut Newton hat in seinem Leben und Wirken viel Respekt, aber auch viel Kritik erfahren. Warum fasziniert er selbst 15 Jahre nach seinem Tod noch so viele Menschen?
Seine Arbeit besitzt eine Zeitlosigkeit und Zeitzeugenschaft zugleich. Erotik ist zudem ein immer aktuelles Thema, wobei Newtons Models keine fragilen Schönheiten sind, sondern stark wirkende Frauen. In unserer Zeit, in der Frauen aktiver an der Gesellschaft teilnehmen, mögen sie noch attraktiver erscheinen. Der Teil seiner Arbeit, bei dem es nicht oder nicht ausschließlich um Erotik geht – also zum Beispiel bei den Porträts – ist rätselhaft und manchmal beunruhigend. Hinzu kommen seine formale Perfektion, sein Gespür für ausgefeilte Komposition und das kluge und dynamische Arbeiten mit der Tonalität.
Wie war es möglich, dass Newton im Jahr 1988 für ein paar Wochen in Prag arbeiten konnte? Für das kommunistische Regime musste er doch gleichsam ein Symbol für westliche Dekadenz sein. Bezahlten er oder ein Magazin möglicherweise einen Haufen Geld dafür?
Wir wissen nicht, wie viel oder ob er überhaupt bezahlen musste, um hier zu arbeiten. Die Behörden haben ihm wahrscheinlich nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Er wurde als Modefotograf gesehen und war daher nicht wirklich eine ideologische Bedrohung. Außerdem war es schon das Jahr 1988 und bis dahin hatten sich die Grenzen dessen, was getan werden durfte, bereits sehr verschoben. Zudem war Prag nur eine der Städte des kommunistischen Blocks, in denen er arbeitete. Eine weitere Hauptstadt war Budapest.
Haben Newton seine Tage in Prag gefallen, hat er sie genossen?
Ja, anscheinend hat er das getan. Auch wenn wir nur über mündliche Überlieferungen dazu verfügen, durch seine tschechoslowakischen Führer Gabina Fárová und Tono Stano, zwei Studenten der FAMU. Von ihnen wissen wir auch, dass er totalitäre Regime fürchtete. Angeblich erzählte er ihnen auch von seiner Jugend im nationalsozialistischen Deutschland. Und er beschrieb, wie der Westen die Realität in den sowjetischen Satellitenstaaten sah.
Sehen Sie einen Unterschied im Ergebnis seiner Arbeit in der Tschechoslowakei zu Newtons anderen Arbeiten?
Nicht wirklich, er war ja auch nur für eine kurze Zeit hier. Man kann prinzipiell sagen, dass sein Stil nicht an den Ort gebunden war, an dem er fotografierte. Obwohl er sich mit der Zeit leicht verändert hat.
Hatte Newton schon vorher Kontakt zu tschechischen Fotografen oder Künstlern?
Nein, soweit wir wissen, leider nicht. Wenige Tage vor seinem Besuch empfahl ihm jemand, sich an Aneta Fárová zu wenden, eine weltweit anerkannte Prager Fotografie-Historikerin. Sie hat ihm dann ihre Tochter Gabina Fárová und Tono Stano, die zu dieser Zeit an der FAMU studierten, als Führer vorgeschlagen.
„Helmut Newton im Dialog“ – warum haben Sie gerade dieses Konzept für Ihre Ausstellung gewählt?
Das Konzept begann als One-Man-Show von Helmut Newton. Als wir jedoch begannen, die Ausstellung mit der Berliner Galerie Kicken vorzubereiten und über den Charakter der Arbeit von Newton sprachen, stellten wir fest, wie wichtig der Einfluss der Fotografie aus den 20er und 30er Jahren auf ihn war und wie sehr er sich von anderen Künstlern unterschied. Das wollten wir in unsere Ausstellung aufnehmen.
Betont wird dabei speziell auch der Einfluss des tschechischen Fotografen František Drtikol auf die Arbeit von Newton. Wie stark war er?
František Drtikol war in ganz Europa bekannt. Er hatte viele Ausstellungen im Ausland, wurde dort veröffentlicht. Helmut Newton muss seine Arbeit ziemlich gut gekannt haben, aber es ist schwierig, einen direkten Einfluss zu verfolgen. Der Newton-Drtikol-Vergleich ist vielmehr ein Vergleich zweier verschiedener Autoren, zweier unterschiedlicher Ansätze zum Akt. Eine Gemeinsamkeit gibt es jedoch: Sowohl Drtikol als auch Newton fotografierten starke, befreite Frauen. In Drtikols Werk wird offensichtlich, wie sehr sich das Schönheitsideal in den 20er Jahren verändert hat. Junge muskulöse Frauen mit kurzen Haaren waren damals der neue Look.
Für die aktuelle Ausstellung arbeiten Sie mit der Galerie Kicken in Berlin zusammen. Ihre erste Begegnung mit Deutschen?
Es ist tatsächlich die erste Ausstellung, die wir gemeinsam mit der Galerie Kicken organisieren. Das Museum Kampa kooperiert jedoch regelmäßig mit der deutschen Kunstszene, da viele tschechische Künstler nach 1948 aus politischen Gründen ins Ausland gegangen sind. Wir versuchen, ihr Schicksal und ihre künstlerische Laufbahn aufzuzeigen, denn viele von ihnen wurden zu einem festen Bestandteil der Kunstszene in ihren neuen Heimatländern. In der Vergangenheit haben wir bereits mit Institutionen in Düsseldorf und Hamburg zusammengearbeitet. Für diesen Herbst bereiten wir eine Ausstellung vor, die in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Ulm organisiert wird.
Wird die Newton-Ausstellung Ende Oktober wirklich zu Ende gehen oder ist es möglich, die Fotos länger zu präsentieren?
Ja, sie wird wie geplant Ende Oktober schließen. Denn wir eröffnen unsere neue Ausstellung bereits am 8. November und brauchen mindestens acht Tage, um sie ordnungsgemäß zu installieren. Sie wird übrigens eine weitere „deutsche Ausstellung“ sein: eine Einzelausstellung des bekannten deutschen Malers Ben Willikens.
Helmut Newton in Dialogue. Fashions and Fictions. 29. Juni bis 28. Oktober 2019, Museum Kampa (U Sovových mlýnů 2, Prag 1 – Kleinseite), geöffnet: täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 220 Kronen (ermäßigt 120 Kronen), www.museumkampa.cz
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