Besser zu Fuß
Verkehrspolitik ist in Prag vor allem Politik für Autos. Weil die Fußgänger dabei oft zu kurz kommen, helfen sie sich seit zwei Jahren selbst
19. 3. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton
Weniger Lärm und Abgase, weniger Unfälle: Das Leben in der Großstadt könnte so angenehm sein, wenn es mehr Fußgänger und weniger Autofahrer gäbe. Aber wer kämpft sich schon gerne zu Fuß durch das Prager Verkehrschaos. Hier fehlt ein Zebrastreifen, da eine Ampel, dort gibt es überhaupt keinen Gehweg. Spaß macht es an vielen Orten nicht, als Fußgänger unterwegs zu sein, und gefährlich ist es obendrein. Also nimmt man doch das Auto, um die Kinder zur Schule zu bringen, zur Arbeit oder zum nächsten Supermarkt zu fahren. Das Ergebnis: mehr Lärm und Abgase, mehr Unfälle. Ein Teufelskreis. Aber einer, der durchbrochen werden könnte, glauben die Mitglieder der Bürgervereinigung „Pražské matky“ („Prager Mütter“).
Weil seitens der Stadtverwaltung zu wenig unternommen wird, um die Situation zu verbessern, haben sie sich entschlossen, selbst für die Belange der Prager Fußgänger zu kämpfen und ihnen Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Seit zwei Jahren betreiben sie das Online-Portal „Chodci sobě“ (etwa: „Fußgänger für sich selbst“). Beteiligen kann sich daran jeder, der in Prag ein Verkehrsproblem entdeckt – vom Schlagloch im Bürgersteig bis zum fehlenden Zebrastreifen vor der Grundschule. Es genügt, die Problemstelle zu fotografieren und samt Beschreibung und Verbesserungsvorschlag auf der Internetseite „chodcisobe.cz“ hochzuladen. Auf dem Portal werden die Fälle dann veröffentlicht, ebenso später die Antworten der Behörden, an die die „Prager Mütter“ die Anfragen weiterleiten.
„Chodci sobě“ funktioniert nach einem Vorbild in der Slowakei. Dort können die Bürger von Bratislava allerdings alles einsenden, was sie stört. „Wir beschränken uns dagegen auf die Belange der Prager Fußgänger“, so Eva Šuchmanová, die Administratorin des Prager Portals.
Täglich neue Anfragen
Die „Prager Mütter“ waren schon bekannt, bevor sie die Internetseite vor zwei Jahren freischalteten, vor allem durch ihre Aktionen für sichere Schulwege. „Mit den Problemen kamen sowieso schon viele Leute zu uns“, erzählt Šuchmanová. Das Online-Portal bot der Bürgervereinigung einerseits die Möglichkeit, Anfragen zu sammeln. Andererseits sollte es noch mehr Bürgern ermöglichen, sich zu engagieren. Jeden Tag bekommt die Organisation neue Nachrichten von Bürgern. Aber nur selten muss die Administratorin etwas davon aussortieren: „Dadurch, dass wir alles öffentlich machen, sehen die Leute, was andere geschickt haben und trauen sich nicht, mit einem banalen Problem zu uns zu kommen.“
Verbesserungsvorschläge schicken junge Familien und ältere Menschen, Rollstuhlfahrer und Hochschulprofessoren. „Das sind keine Aktivisten, sondern ganz normale Leute“, sagt die Administratorin. Manche melden sich immer wieder, manche interessieren sich nicht nur für Verkehrssicherheit, sondern auch für ästhetische Aspekte: Wer möchte, dass mehr Menschen zu Fuß gehen, müsse auch dafür sorgen, dass die Wege attraktiver würden.
Die Anliegen werden zunächst meist an die jeweils zuständigen Vertreter der 57 Prager Stadtteile weitergeleitet. „Am Anfang haben wir viel telefoniert, mittlerweile wissen die Behörden, dass wir existieren und dass es uns nicht darum geht, etwas zu skandalisieren, sondern auf Probleme aufmerksam zu machen und sie zu lösen.“
Oft sind nicht die Stadtteile selbst zuständig, sondern das Prager Magistrat, dennoch leiten Šuchmanová und ihre Kollegen die Meldungen der Bürger zunächst an die lokalen Verwaltungen weiter. Dort solle man erfahren, was die Bürger bewegt. Zudem hätten die Gesuche größere Chancen, beim Magistrat Gehör zu finden, wenn sie von einem Stadtteil weitergeleitet werden, als wenn sie direkt von einem Bürger oder einer Organisation kommen. Die Ansprechpartner der Stadtteile kooperieren mal mehr, mal weniger bereitwillig mit den „Prager Müttern“, berichtet die Administratorin des Portals. „Manche haben Gefallen daran gefunden. Sie sind stolz, wenn sie ein Problem lösen konnten. Es beginnt ihnen Spaß zu machen und sie merken, dass sie größere Chancen haben, beim Magistrat etwas zu erreichen, wenn sie selbst aktiver sind.“
Kein schlechter Anfang
Viele kleine Erfolge konnte „Chodci sobě“ in den ersten zwei Jahren schon feiern: 176 von 835 Anregungen seitens der Bürger konnten umgesetzt werden. Das sei kein schlechter Anfang, wenn man bedenke, dass eine solche Form der Bürgerbeteiligung für alle Betroffenen neu sei. Ganz zufrieden sind die Vertreter der Organisation damit aber nicht: Sie fordern, dass die Verkehrspolitik der Stadt sich ändert, die noch immer viel mehr in Autos investiere als in Fußgänger und Radfahrer. „Die Politiker haben noch nicht verstanden, dass mehr Fußgänger und Radfahrer wichtig sind. Wo es viele Fußgänger gibt, ist die Atmosphäre angenehmer, und es ist besser für die Umwelt, wenn die Menschen zu Fuß gehen.
Andererseits könnte aber auch die Zivilgesellschaft noch aktiver sein, meint Jarmila Johnová. Sie ist Vorsitzende und Mitgründerin der „Prager Mütter“. Die Vereinigung ist Ende der achtziger Jahre entstanden: „Das war noch vor der Samtenen Revolution“, erzählt Johnová, „wir hatten damals Angst um unsere Kinder, wegen der schrecklichen Umweltbedingungen in der Stadt“. Die Mütter verlangten Informationen von den Behörden, zum Beispiel über die Qualität der Luft. Sie schrieben Briefe an Bürgermeister und demonstrierten mit Transparenten und Kinderwägen. Seitdem hat sich einiges geändert, Verkehrssicherheit für Fußgänger und Umweltverschmutzung sind aber noch immer Themen, die in Prag zu kurz kommen, meint Johnová: „Verkehrspolitik ist hier Politik für Autos. Aber die Stadt sollte nicht den Autos gehören.“
Zwar gebe es heute mehrere Bürgervereinigungen, die sich für die Lebensqualität in Prag einsetzen. „Aber trotzdem beobachte ich bei den Bürgern noch immer eine große Passivität, die Leute sind bequem.“ Vor der Revolution, als die „Prager Mütter“ ihre ersten Protestaktionen planten, hätten die Menschen zwar Angst gehabt, so die Vorsitzende. Aber ein Teil der Bevölkerung hätte dennoch entschlossener gekämpft. „Heute sind viele ganz verblödet vom Konsum. Alles andere interessiert sie nicht so sehr.“
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