Bis zum Schluss auf Konfrontationskurs
Korruptionsaffäre: Achteinhalb Jahre Haft für Ex-Minister Rath – Prozess mit Signalwirkung
29. 7. 2015 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: ČTK/Roman Vondrouš
Als David Rath am 14. Mai 2012 verhaftet wurde, schlug die Nachricht ein wie eine Bombe. Der mächtige und umstrittene Kreishauptmann von Mittelböhmen, ehemalige Gesundheitsminister, Nummer zwei der tschechischen Sozialdemokratie – in Handschellen abgeführt von Einheiten der Antikorruptionspolizei, die bei der Festnahme acht Millionen Kronen (etwa 300.000 Euro) in bar bei ihm sicherstellten. Über drei Jahre später, am 23. Juli 2015, das Urteil: Achteinhalb Jahre Haft und Einzug des Privatvermögens. Dazwischen ein Korruptionsprozess, der in die tschechische Geschichte eingehen wird.
David Rath gehörte zweifellos zu den talentiertesten und schillerndsten tschechischen Politikern. Der heute 49-jährige Mediziner machte schon in den neunziger Jahren als umtriebiger Präsident der tschechischen Ärztekammer von sich reden. Sein außerordentliches rhetorisches Talent stellte er dann als sozialdemokratischer Abgeordneter, ab 2005 als Gesundheitsminister unter Beweis. Sein Image wurde jedoch vor allem von seinem äußerst provokanten und konfrontativen Stil geprägt, den er in einer unvergleichlich selbstverliebten und arroganten Art zelebrierte und der nicht selten auf die persönlich Ebene des Kontrahenten zielte. Kein anderer Politiker polarisierte so stark, und keiner hatte daher so viele „Intimfeinde“ wie er.
Wer gehofft hatte, Rath würde angesichts der drückenden Beweislast im Prozess Reue zeigen oder vielleicht auspacken und Einblicke in das System der politischen Korruption in Tschechien gewähren, sah sich getäuscht. Seine Prozessstrategie glich seinem Politik-Stil: totale Konfrontation. Den gegen ihn erhobenen zentralen Vorwurf, sich als Kreishauptmann durch die Manipulation von öffentlichen Aufträgen der Bestechlichkeit, Korruption und Veruntreuung schuldig gemacht zu haben, bestritt er von Anfang an vehement. Eindeutige Beweismittel wie Abhörprotokolle, Aussagen von Kronzeugen oder Schwarzgeld auf Privatkonten bezeichnete er als manipuliert. Das Verfahren nannte er einen „politischen Schauprozess“, die „neue Justiz“ müsse Erfolge vorweisen und statuiere an ihm ein Exempel.
Im Gerichtssaal agierte Rath wie auf der politischen Bühne, verbale Scharmützel mit Richter und Staatsanwalt, persönliche Angriffe, Beleidigungen, gar eine Strafanzeige gegen den Senatsvorsitzenden, lange theatralische Wortbeiträge – allein sein Abschlussrede trug er drei Tage lang vor. Gleichzeitig lotete er die Grenzen des Strafprozesses aus, behinderte und verzögerte das Verfahren, stellte Antrag um Antrag, konstruierte Verschwörungstheorien, entließ Anwälte und engagierte neue, spielte auf Zeit. Aber auch auf Seiten der Justiz lief nicht alles sauber. Die Entlassung aus der unverhältnismäßig langen Untersuchungshaft musste der Angeklagte über ein Urteil des Höchsten Gerichts erwirken, auch die wechselnden Zuständigkeiten unterschiedlicher Staatsanwaltschaften werfen Fragen auf.
Da das Urteil nicht rechtskräftig ist, bleibt Rath, der bereits Berufung angekündigt hat, vorerst auf freiem Fuß. Gleichzeitig beginnt demnächst ein weiterer Korruptionsprozess gegen den Ex-Politiker, darüber hinaus steht das Berufungsverfahren an. Prozessbeobachter halten seine Chancen allerdings für verschwindend gering – im für Rath ungünstigen Fall könnte die Strafe sogar noch höher ausfallen.
Dass David Rath tatsächlich an seine Unschuld glaubt, ist angesichts der während des Prozesses offengelegten Fakten nur schwer nachzuvollziehen. Vielmehr scheint es, dass er alle möglichen Mittel nutzt, um so lange wie möglich der Haft zu entgehen. Staatsanwalt Petr Jirát ist überzeugt: „Solange es keine rechtskräftige Verurteilung gibt, wird er die Situation auch medial auskosten. Glauben Sie, dass es zu seiner Persönlichkeit passt, freiwillig ins Gefängnis zu gehen?“ Eine Flucht des Verurteilten ins Ausland hält der Staatsanwalt für wahrscheinlich.
Der Prozess und die Verurteilung von David Rath stellen davon abgesehen einen Meilenstein in der tschechischen Nachwende-Justiz dar. Die allgemeine Klage, in Tschechien sei es nicht möglich, einen hochrangigen Politiker wegen massiver Korruption vor Gericht zu bringen und zu verurteilen, ist widerlegt worden. Zum ersten Mal zeigte sich, dass es auch anders geht, dass sich Polizei und Staatsanwaltschaft vom Einfluss der Politik freimachen können, dass nicht unter den Teppich gekehrt wird, sondern dass es auch „hohe Tiere“ treffen kann – das ist das positive Signal dieses Falles.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“