Blick in die Presse
Tschechische Pressekommentare zur europäischen Politik angesichts der Ukraine-Krise, zur Europawahl und zum EU-Beitritt Tschechiens
29. 4. 2014 - Text: PZText: PZ
Nicht mitgehalten | Das Wochenmagazin „Respekt“ glaubt eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik zu erkennen: „Die Amerikaner haben sich schon zu Sanktionen entschlossen, jetzt ist Europa an der Reihe. In den letzten Wochen änderte sich die Haltung Deutschlands, des Schlüsselstaats der EU. Das ist gut zu sehen an der Veränderung der Ansichten des Außenministers Frank-Walter Steinmeier, der lange Zeit ein Befürworter einer Politik des Entgegenkommens gegenüber Moskau war. Jetzt spricht er wie ein enttäuschter und verärgerter Mann und in einem Gespräch mit der Wochenzeitung ‚DIE ZEIT’ kritisierte er Putins Politik so klar wie nie zuvor.“ Nach einer neuen Studie sei die „deutsche Wandlung in der Beziehung zu Moskau ‚eine riesige Gelegenheit für die Formulierung einer neuen Politik’. (…) Das Denken des Westens entwickelt sich also rasch, nur scheint es, dass es die tschechische (und slowakische) Regierung nicht geschafft hat mitzuhalten.“
Brückenbau | Die Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ hält nichts von Zemans Angebot, Tschechien solle eine Mittlerrolle zwischen Russland und der Ukraine einnehmen. Das sei „eine völlig neue Variante der alten tschechischen Fiktion vom Brückenbau zwischen verfeindeten Seiten, zwischen Ost und West. (…) Putin hat schon festgestellt, dass auch das Internet ein Spionagewerkzeug der USA ist. Diese Xenophobie ist russische Tradition. Stalin sah in der Kybernetik ein Instrument des Imperialismus. Auf dieser Seite des Walls sollten wir uns nicht wiederfinden. Wer glaubt, das drohe nicht, irrt sich. Putin geht, ebenso wie Stalin, so weit wie möglich. Eine Begründung für diesen Friedensmarsch liefert er schon heute. Doch muss er dabei nicht über eine Brücke gehen, an der wir mitbauen.“
Unerfüllbare Versprechen | Die „Hospodářské noviny“ kritisiert abwegige Versprechen im Europawahlkampf. Als Beispiel dient ihr Jan Keller, der Spitzenkandidat der ČSSD. Er sollte „Gelegenheit bekommen, den Wählern zu erklären, wie er in Straßburg und Brüssel gegen ‚Steuerbetrug’ kämpfen will, wie er auf seinen Plakaten verspricht. Der erfahrene Soziologe ahnt wohl, dass die Themen der europäischen Politik die Wähler nicht ansprechen. Deshalb verspricht er ihnen lieber, was ihnen gefallen könnte, aber wovon er weiß, dass er es nicht erfüllen kann.“
Mediale Verkürzung | Die katholische Wochenzeitung „Katolický týdeník“ findet es verständlich, dass die Anfangsbegeisterung über den Beitritt zur EU geschwunden ist, denn „die europäischen Institutionen entsprechen ein wenig den staatlichen, doch gleichzeitig unterscheiden sie sich in vieler Hinsicht. Zwischen ihnen existiert ein verschlungenes System von Rollen und Regeln. Die EU-Fonds brachten Tschechien zum Beispiel nicht nur riesige Finanzmittel, sondern auch kontrollierbare Zuteilungsverfahren, ein Gesetz über öffentliche Auftragsvergabe und weitere Regeln. Die mediale Verkürzung spricht jedoch meist davon, Brüssel zwinge uns dazu, für diesen oder jenen Unsinn Geld auszugeben, obwohl die konkrete Gestalt der Förderprogramme Sache der lokalen Regierungen ist. (…) Den meisten Tschechen ist die heutige EU genug. Es reicht uns, Freiheit zu haben, Reisen, Studienplätze, Arbeit … Aber reicht uns das wirklich? Sollten wir uns nicht die Frage stellen, inwiefern wir Europa zu(ge)hören? Wollen wir an einer gemeinsamen Kultur mitwirken, an einer gemeinsamen Geschichte, die sich gründet auf der Herrschaft des Rechts und auf dem Respekt vor der menschlichen Würde?“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“