Blick in die Presse
Tschechische Pressekommentare zu den Streitigkeiten zwischen ANO und ČSSD, zur hiesigen Medienlandschaft, zur Frauenquote und zum Mord an Boris Nemzow
11. 3. 2015 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach
Ritt auf dem Tiger | Die Wochenzeitung „Echo“ kommentiert die Spannungen zwischen den beiden Koalitionspartnern ČSSD und ANO: „Die ČSSD reitet auf einem Tiger und wird sehr geschickt sein müssen, um sich den Manövern von Babiš entgegenzustellen. Das ist nicht leicht, denn die Ausgangspositionen sind ungleich. Andrej Babiš kann seine Medien zum Angriff auf die politischen Konkurrenten nutzen – ähnlich, wie er das bei der Abservierung seiner Ministerin Helena Válková getan hat. Der Ansatz der Sozialisten, mit dem Ruf nach Steuererhöhungen auf die Unfähigkeit von Babiš zu verweisen, die Steuern einzutreiben, ist nicht schlecht. Gleichzeitig ist sehr wichtig, was die Rechtsparteien den gesellschaftlichen Gruppen, die Babiš bei den letzten Wahlen auf seine Seite gelockt hat, anbieten können. Kann es für sie eine bessere Gelegenheit geben als unzufriedene Unternehmer?“
Gebogenes Rückgrat | Die Zweimonatsschrift „Listy“ sieht die tschechischen Medien in einer moralischen Krise, dort sei „die Atmosphäre (…) wahrlich nicht die beste. Bei vielen sinken Qualität und Vertrauenswürdigkeit, und das ist eine schlechte Nachricht nicht nur für Journalisten mit gebogenem Rückgrat, sondern auch für die, die sich nicht beugen wollen und sich folglich in der Branche nur sehr schwer halten können. Vor allem aber für die ganze Gesellschaft, die gesunde und selbstbewusste Medien mit Journalisten braucht, die die Nachrichten nach bestem Wissen und Gewissen zusammenstellen. Keinesfalls danach, was ihnen die Anzeigenabteilung vorschreibt oder die innere Selbstzensur aus Angst, dass der Beitrag einer Leitung nicht gefallen wird, die wirtschaftlich und politisch eine klare Ausrichtung und Prägung hat.“
Oben wird es eng | Die „Lidové noviny“ überträgt die in Berlin beschlossene Frauenquote auf Tschechien und fragt, „wie wird man das Problem unter tschechischen Bedingungen behandeln, im tschechischen Parlament und vor allem in der tschechischen Regierungskoalition? Wenn diese eine Lösung annähme, wie sie jetzt von der Großen Koalition in Berlin gutgeheißen wurde, würde das eine Frauenquote von 30 Prozent unter anderem auch für die Führungsorgane von Agrofert bedeuten. Würde Babiš diese Frage als Politiker betrachten, der das Regierungsprogramm umsetzt, oder als Unternehmer, der den Profit seiner Firma hütet? In der Politik verzichtet ANO auf Ideologie und fördert die Frauen aktiv. (…) Aber 30 Prozent Frauen in den oberen Etagen von Agrofert – da dürfte es schon eng werden.“ – Warum fragt die „Volkszeitung“ eigentlich ihren Eigentümer nicht direkt?
Mangelnde Vorstellungskraft | Das Wochenmagazin „Respekt“ glaubt schon zu wissen, wer hinter dem Mord an Boris Nemzow steht und fragt sich, „warum den Bewohnern Russlands die Erinnerung an den Staatsterror wiederbelebt wurde, der ihren Genen eingeschrieben ist? Wir sollten uns eingestehen, dass wir die Antwort nur ahnen können: dass es das Ziel ist, sie zu absolutem Gehorsam anzuhalten, weil Putin etwas plant, dem sie sich möglicherweise – wären sie denn nicht verängstigt – widersetzen würden. Und gestehen wir uns weiter ein, dass dieser Plan ein Krieg ganz anderer Dimension sein kann, als der eingefrorene im Osten der Ukraine. Ein Krieg, in dem Russen (und selbstverständlich nicht nur sie) in viel größerer Zahl sterben werden. Es fällt nicht leicht, diese Vorstellung zuzulassen, denn unsere gesamte Erfahrung eines Lebens in Frieden sträubt sich dagegen. Doch gerade im Mangel an Vorstellungskraft liegt unsere größte Schwäche.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“