Blick in die Presse
Tschechische Pressekommentare zu Andrej Babiš und seiner Partei ANO und zur Ermordung von Boris Boris Nemzow
4. 3. 2015 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach
Vertrauensverlust | Die „Hospodářské noviny“ kommentiert das hierzulande wichtigste politische Ereignis vom Wochenende, den Kongress der Bewegung ANO von Andrej Babiš: „Alles läuft, wie es soll. (…) Kein Geschwätz, kein Aufschieben, keine faulen Kompromisse, wie wir sie aus dem Parlament kennen. Kühler Perfektionismus, der funktioniert, und daraus steigt ein wenig Angst. (…) Doch trotz aller Hysterie, die wir in bestimmten Kreisen beobachten, gilt weiterhin, dass Babiš nur so stark ist und werden kann, wie es ihm die Wähler freiwillig gestatten. Das Schlimmste an ANO aber ist, dass man eingestehen muss, wie vielen Leuten sie offenbar nicht aufstößt, sondern imponiert. Deren gibt es nicht ständig weniger, im Gegenteil. (…) Babiš und ANO sind nicht das Problem, sondern der Vertrauensverlust in die liberale Demokratie.“
Dröhnende Statements | Auch die den Sozialdemokraten nahestehende Tageszeitung „Právo“ hat den ANO-Kongress beobachtet: „ANO klagt zwar jetzt, die Koalitionspartner würden es verhindern, dass es uns allen besser gehe, wichtige Gesetzesvorhaben wurden jedoch bislang nicht von den Ressorts für Justiz und Finanzen vorgelegt, die den Babiš-Leuten unterstehen. So wartet man auf das Gesetz über die Staatsanwaltschaft, auf die elektronische Registrierung der Erlöse und auf ein Gesetz, das die Besetzung der staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen regeln soll.“ Es gebe anscheinend zwei verschiedene Babiše, „dem einen liegt die Stabilität der Regierung am Herzen und er arbeitet an ihr, der andere ergeht sich in dröhnenden Statements und dem Abschuss vergifteter Pfeile. Erst wenn sich beide zusammensetzen, miteinander reden und ihre Strategie abstimmen, wird ANO berechenbar.“
Kein Anlass zur Freude | Die Wochenzeitung „Respekt“ rät mit Blick auf Babiš zur Gelassenheit: „Babiš mag uns sehr zuwider sein, es gibt aber keinen Grund, sich vor ihm zu fürchten. Jedenfalls nicht mehr als vor dem Brandzeichen der Demokratieverräter, welches alle diejenigen von der Anti-Babiš-Gesellschaft erhalten, die die Furcht vor der ‚Bedrohung der Freiheit’ nicht teilen oder sie nicht dramatisch in die Welt posaunen. Das Phänomen Babiš gibt einstweilen kaum Anlass zur Freude, aber auch nicht zur Depression. Noch immer gibt es hier genug Freiraum, ihm entgegenzutreten. In den Medien durch Kontrolle, auf der politischen Bühne durch die Qualität des Angebots. Es geht bloß darum, ob wir diese beiden Disziplinen beherrschen.“
Wunschvorstellung | Das Wochenmagazin „Reflex“ nimmt den Mord an Boris Nemzow zum Anlass, den Verhältnissen in Russland auf den Grund zu gehen: „In Tschechien gibt es überraschend viele, die Russland ernsthaft im steilen Aufstieg sehen. Hat es doch dafür alles Nötige – Öl im Boden, Raketen in der Luft und das Bolschoi-Theater dazwischen. (…) Jedwede, auch oberflächliche Kenntnis der russischen Ressourcen muss notwendig zu dem Schluss kommen, dass dieses schöne Bild nur Wunschvorstellung ist. Russland befindet sich im Niedergang, der nicht morgen schon endet. (…) Vor allem ist es ratsam, sich zu vergegenwärtigen, dass Russland ein armes Land ist. Die Neureichen mögen die Karlsbader Krämer mit der Höhe ihrer Ausgaben, dem Luxus ihrer Limousinen und ihren diamantenbesetzten Handys angenehm überraschen. Aber die Antwort eines durchschnittlichen Russen auf die Frage nach seiner künftigen Rente weckt Mitleid selbst in den ärmsten europäischen Ländern. (…) Der Glitzer der Moskauer Auslagen zeugt nicht so sehr vom Reichtum des Landes als vielmehr von der bestürzenden Ungleichheit, die als Norm angesehen wird.“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“