Blick in die Presse
Tschechische Pressekommentare zum Wahlergebnis
31. 10. 2013 - Text: Josef FüllenbachAuswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach; Foto: APZ
Heruntergelassene Schranke | Das Wochenmagazin „Respekt“ meint zum Wahlausgang: „Nur selten gehen Wahlen so aus, dass nicht ganz klar ist, wer Sieger ist und wer Verlierer. In Tschechien ist das jetzt gelungen. (…) Wir befinden uns auf einem Parkplatz mit heruntergelassener Schranke an der Ausfahrt. Gelingt es uns loszufahren? (…) Die Wähler haben die Politiker in keine einfache Situation versetzt. Die extremistischen oder fremdenfeindlichen Parteien, KSČM und Úsvit, besetzen fast ein Viertel der Parlamentssitze, und dabei sollten sie von den anderen Parteien überhaupt nicht in den Diskussionen berücksichtigt werden.“ Die ČSSD dürfe daher nicht nur darauf abzielen, mit Babišs ANO und der Volkspartei zu verhandeln; auch mit den Rechtsparteien ODS und TOP 09 müsse gesprochen werden. Denn sonst werde die ČSSD „zum Spielball in den Händen von Babiš.“
Spiel mit den Wählern | Die Tageszeitung „Lidové noviny“ kommentiert unter dem Titel „Von den Wahlen ins Irrenhaus“ die Situation nach dem „Putschversuch“ gegen den ČSSD-Vorsitzenden Sobotka: „Die möglichen Koalitionspartner sind verlegen; sie wissen nicht, mit wem sie verhandeln sollen. Ein dümmeres und arroganteres Spiel konnte die ČSSD mit ihren Wählern schwerlich spielen. Sobotkas Warnung aus der Zeit vor den Wahlen bewahrheitet sich: Falls die Sozialdemokratie nicht wenigstens nach außen einheitlich auftritt, kann sie keine Regierung bilden und keine Koalition führen. Es ist gut möglich, dass am Ende der Handlanger der Burg, Hašek, die Koalition zusammenbringt, aber in diesem Augenblick hört die ČSSD auf, eine eigenständige parlamentarische Partei zu sein, und es beginnt der offene Kampf zwischen dem Präsidenten und dem Rest des Parlaments um den Charakter unserer parlamentarischen Demokratie.“
Leben am Tropf | Auch die Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ weist auf die Rolle des Präsidenten hin: „Das Chaos nach der Wahl wird ihm in die Hände spielen. Es steigert seine Macht und seinen Einfluss; der Rusnok-Regierung aus ‚Experten des Präsidenten‘ verlängert es ein Leben am Tropf. Allerdings gibt es hier einen gewissen Faktor, mit dem der Präsident offenbar nicht rechnet: Die Tschechen sind vielleicht Lämmer, aber Zänkereien und Schläge unter die Gürtellinie mögen sie nicht, sie bestrafen diejenigen, die sie für Unruhe und Unsicherheit haftbar machen können. (…) Wir fühlen, dass die Bescheidenen uns in manchem ähnlich sind. Umgekehrt lehnen wir die allzu Machtgierigen ab.“
Positive Seiten | Die Tageszeitung „Hospodáršké noviny“ gewinnt dem Wahlausgang auch gute Seiten ab. Zunächst „existiert eine minimale Blockade-Mehrheit (…) von 103 Stimmen, die in diesem Lande die schlimmsten legislativen, aber auch andere Exzesse verhindern kann, zum Beispiel einen radikalen Schwenk nach links, Verstaatlichungsideen und ähnliches. Sie wird gebildet von der KDU-ČSL, ANO, ODS und TOP 09. Über die Partei ANO mögen wir alles Mögliche denken, aber weil Herr Babiš ein Unternehmer ist, wird er radikalen Veränderungen der Steuerlast sicher nicht zustimmen, ebenso wenig Versuchen, das ‚parasitäre‘ Kleingewerbe zu liquidieren. Eine positive Nachricht ist für das Blatt auch „der definitive Abgang von Václav Klaus – neben Zeman eine weitere destruktive und negative Kraft der tschechischen Politik.“ Freilich könne das auch ein frommer Wunsch sein, denn „diesen Mann hat man schon mehrmals politisch totgesagt und aufs Altenteil geschickt. Man sagt, Zeman habe Klaus rasche Neuwahlen versprochen, bis dahin könne Klaus es schaffen, die Rechte zu konsolidieren. Aber wen möchte er denn jetzt konsolidieren? Aus welcher Asche möchte er wohl wieder aufstehen? Es wird einfach kein Interesse an ihm geben …“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“