Blitzlichter aus der Vergangenheit

Blitzlichter aus der Vergangenheit

In der Stadtbibliothek fordert Petr Nikl Sehgewohnheiten heraus

9. 1. 2014 - Text: Stefan WelzelText und Foto: Stefan Welzel

 

Wie gehen wir mit unserer Erinnerung im Speziellen und mit dem Phänomen Zeit im Allgemeinen um? Was verleitet uns zur Nostalgie oder einfach nur zum Nachdenken über das Altern? Es sind solche und viele ähnliche Fragen, die Petr Nikls Ausstellung „Hra o čas“ („Spiel mit der Zeit“) in der Galerie der Hauptstadt Prag provoziert. Dabei schafft es der 53-jährige Multi­mediakünstler gekonnt, sein Publikum zum ernsthaften wie spielerischen Umgang mit der Thematik zu verleiten.

Nikl gibt den von ihm gestalteten Räumlichkeiten im zweiten Stockwerk der Stadtbibliothek Namen. Sie reflektieren Gezeigtes, vermitteln Sinn und geben zugleich einen Anhaltspunkt vor, in welche Richtung man interpretieren kann, darf und soll. Zweifelsohne möchte Nikl traditionelle Seh- und Rezeptionsgewohnheiten herausfordern. Der Rezipient soll aktiv teilhaben an seinen Gedanken.

Zu Beginn empfängt uns ein Mädchenporträt, das über die Spannbreite von rund 20 Metern eine Wand des ersten Saals (Titel: „Proudící tvář“– „Fließendes Gesicht“) vollständig in Beschlag nimmt. Je nach Perspektive und Distanz können wir das Motiv überhaupt erst erkennen. Frontal, direkt vor dem Gesicht des Kindes, verlieren sich die Konturen. Eine Reminiszenz an die Nutzlosigkeit, die eigene Wahrnehmung zu bündeln? Durch die Schau hindurch folgen diverse Variationen des Motivs, das bald durch weitere Porträts ergänzt wird. Es sind Darstellungen von Nikl selbst und von seinen Familienmitgliedern. Plastisch wie malerisch entführt uns der Künstler in seine Welt der Erinnerungen. Jahreszahlen neben den Exponaten bezeugen den Zeitpunkt der Aufnahme von Porträts (als Vorlage dienten wohl Fotografien) sowie die Erschaffung des Werkes, welches das Publikum unmittelbar vor sich hat.

Ein großer abgedunkelter Raum fungiert als klassische Installation. Kleine metallene Insektenroboter reinigen immerfort ein gläsernes Bord, das sich rund um den Saal zieht. Darüber hängen Zeichnungen, traumwandlerische Szenen voller Bewegung und Verwünschungen. Die Bilder brechen Dimensionen auf und sprechen Unterbewusstes an. Nikl spielt hier nicht nur mit der Zeit, sondern auch mit dem Publikum – und dieses mit den Exponaten, zumindest die Kinder. Genau jene befeuern wiederum die Konzeptlinie der Ausstellung. Es tauchen immer wieder Blitzlichter der eigenen Kindheit aus dem Gedächtnis auf.

In scharfem Kontrast zu jenem geschilderten ersten Teil stehen die beiden Räume „Černá zahrada pro teď“ und „Bílá zahrada pro teď“ („Roter“ beziehungsweise „Weißer Garten für Jetzt“ ) – farbenfrohe Spielwiesen der Installationskunst. Den Endpunkt stellen entrückte, beinahe bedrohlich wirkende Schwarz-Weiß-Bilder dar. Die Porträts überzeugen durch ihre intime Dringlichkeit, verstören aber auch und lassen den Rezipienten etwas ratlos und verwirrt zurück. So wie das Phänomen Zeit uns und unserem Fassungsvermögen immer wieder enteilt. Nikl schafft es hervorragend, uns genau jenes Gefühl der Verlorenheit zu vermitteln.

Petr Nikl – „Hra o čas“. Galerie der Hauptstadt Prag, Městská knihovna – 2. Stock, Mariánské náměstí 1, Prag 1 (Altstadt),geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 60 CZK), www.ghmp.cz, bis 23. März