Brüchige Idylle
Monika Kompaníková Debütroman „Das fünfte Schiff“ ist in deutscher Übersetzung erschienen
18. 6. 2014 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel; Foto:
Der Roman beginnt denkbar harmlos. Mit wunderschönen Impressionen wird der Leser in die Traumwelt eines realen Gartens eingeführt. Einfühlsam und mit betörenden Bildern lebt dieser als ein in sich ruhender, geheimnisvoller Kosmos auf. Später im Roman wird der Leser diesen Garten wiedererkennen, auch wenn er dann Kulisse eines ganz anderen Geschehens sein wird.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Ich-Erzählerin Jarka. Sie ist das vernachlässigte Einzelkind einer vollkommen überforderten Mutter. Lucia hatte ihre Tochter viel zu früh im Alter von 16 Jahren bekommen und kaum eine emotionale Beziehung zu ihr entwickelt. So möchte Lucia von ihrer Tochter auch nicht als Mutter angesprochen werden, sondern mit ihrem Vornamen.
Jarka berichtet über ihre „brunnentiefe Einsamkeit“ ohne zu klagen. Sie gibt Einblick in den glanzlosen Alltag einer typischen Plattenbausiedlung irgendwo in der Slowakei. Die Kommunikation zwischen Lucia und ihrer Tochter verläuft oft nur über Zettelchen mit äußerst knappen Informationen und Anweisungen. „Mach keine Probleme, ich bin müde“ – ein Seufzer der Mutter, mit dem Jarka aufgewachsen ist.
Lebendige Wirklichkeit
Es geht ein eigenartiger Sog von dieser ungekünstelten Prosa aus, die den Leser in ihren Bann zieht. Sprachlich gelungene Bilder und genaue Beobachtungen vereinen sich mit einer geschickten Dramaturgie. Mit wenigen Strichen gelingt es der Autorin Monika Kompaníková, typische Situationen zu skizzieren. Ob es die Trostlosigkeit von öden Plätzen ist, auf denen sich Jarkas Mitschüler treffen oder die besonderen Formen ihrer Begrüßung: „Kinder mit Kapuzen auf dem Kopf und gekrümmten Rücken schlagen ihre Handknöchel gegeneinander, und ziehen sich gegenseitig an den Fingern, jede Clique auf ihre eigene Weise, kompliziert und effektvoll“.
In meisterhafter Weise versteht es Kompaníková, den Blick auf anscheinend nebensächliche Dinge zu richten. Angereichert durch eine Vielzahl von Eindrücken und Details entsteht eine lebendige Wirklichkeit. Authentisch und ohne Schnörkel entfaltet sich das Leben der zwölfjährigen Jarka. Während sie unter der Gleichgültigkeit der Mutter leidet, müssen sich ihre Altergenossen zuhause unterordnen: „Sie waren neidisch auf meine Freiheiten, dass ich auch noch nach zehn Uhr abends draußen sein konnte, während sie um acht vor der Tür ihre Schuhe putzten und zerkaute Tannennadeln in den Blumenkübel spuckten, damit sie nicht nach Zigarretten und Fernet stanken“.
Keine einfachen Antworten
An einem heißen Sommertag kommt es zum Wendepunkt im Leben von Jarka. Auf einem belebten Bahnhof bemerkt sie eine junge Mutter, die in ihrem Kinderwagen Zwillinge schiebt. Sie hat es ganz offenkundig eilig, den gerade einfahrenden Zug zu erreichen. Die Architektur des Bahnhofes verhindert, dass die junge Frau mit dem Kinderwagen den Bahnsteig erreichen kann. Ein Dilemma. Jarka bietet sich an, auf den Kinderwagen aufzupassen und die fremde Frau willigt nach kurzem Zögern ein. Jarka kann deutlich hören, wie der Zug wieder abfährt. Als die Mutter nicht zurückkommt, beginnt sie sich zu wundern. Eine unruhige Spannung schleicht sich in das Geschehen ein, Schritt für Schritt entwickelt sich eine eigenartige Dynamik. Jarka beschließt, mit den beiden Babys die Sicherheit im wohlvertrauten Garten ihres verstorbenen Großvaters aufzusuchen.
Das Geheimnis bestimmt in den folgenden Tagen Jarkas Leben. Sie pendelt zwischen Gartenhaus und der meist verlassenen Wohnung im Plattenbau. Zum Glück hat Jarka Ferien und damit die nötige Zeit, um Geld für Babynahrung zu beschaffen und sich um die Zwillinge kümmern zu können. Der deutlich jüngere Kristian aus der Nachbarschaft ergänzt diese ungewöhnliche Familie und stellt zugleich eine neue Herausforderung für Jarka dar.
Das Gartenhaus bildet nur auf den ersten Blick einen behüteten Raum in der Idylle ab. Bald schon tritt zunehmend die Unangemessenheit der gesamten Szenerie zutage. Die Umstände spitzen sich zu und die Situation entgleist.
Das Ende dieses atemlosen Romans stellt ein Plädoyer für die Liebe dar und bleibt zugleich in verstörender Weise unpräzise. Das Leben hält nun einmal keine einfachen Antworten parat.
Dass dieses Buch auf sehr sensible Weise Botschaften enthält, macht die sympathische slowakische Stimme von Monika Kompaníková umso anziehender. Es setzt sich letztlich eine ungebrochene Lebensfreude durch, die alle Widrigkeiten hinter sich lässt. Und die wertvolle Erkenntnis, dass wechselseitige Aufmerksamkeit weder eine Selbstverständlichkeit noch Zufall ist.
Die 1979 im slowakischen Považská Bystrica geborene Monika Kompaníková studierte Malerei und Grafik in Bratislava. Sie hat bereits mit etlichen Erzählungen und Kurzgeschichten, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, auf sich aufmerksam gemacht. Für ihren Debütroman „Das Fünfte Schiff“ erhielt sie 2011 den wichtigsten Literaturpreis der Slowakei.
Monika Kompaníková: „Das Fünfte Schiff“. Aus dem Slowakischen von Nadine Lenz. Verlag Karl Stutz, Passau 2014, 236 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-88849-089-7
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?