„Da fehlen einem die Worte“
Vizepremier Babiš bedauert wirtschaftliche Missstände und fehlende Visionen
25. 5. 2016 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: Lukáš Haupt
Vor etwa 160 Gästen aus der deutsch-tschechischen Wirtschaft hat der stellvertretende Regierungschef und Finanzminister Andrej Babiš (ANO) am vergangenen Donnerstag deutliche Kritik am tschechischen Bildungs-, Verkehrs- und Gesundheitssystem geäußert. Im Prager Hotel Diplomat, in dem zuvor die Jahreshauptversammlung der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) stattfand, bemängelte Babiš gegenüber Vertretern der Mitgliedsunternehmen unter anderem die schlechte Infrastruktur des Landes. „An der Autobahn D8 nach Dresden wird seit 1985 gebaut. 31 Jahre für 90 Kilometer. Da fehlen einem doch die Worte“, sagte der Minister und fügte ironisch hinzu: „Aber zu Österreich besteht ja gar keine Autobahnverbindung.“
Überhaupt hielt der 61-Jährige der tschechischen Politik – sowohl in der Diskussion als auch in seinem auf Deutsch gehaltenen Vortrag über die deutsch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen – eine einzige Standpauke. Nach der Samtenen Revolution sei es seiner Meinung nach nicht gelungen, einen funktionierenden Staat aufzubauen. „Wenn alle Politiker an einer gemeinsamen Vision arbeiten würden, dann wären wir schon weiter“, erklärte Babiš, der den Staat seit Beginn seiner politischen Laufbahn im Jahr 2011 noch immer wie eine Firma führen will.
Er bedauerte zudem, dass er keinen Einfluss auf das „zu teure Gesundheitswesen“ habe. Die viel zu vielen Kliniken im Land würden „nicht richtig geleitet“ werden, zudem fehle es ihnen laut Babiš an Kontrolle und Transparenz. Sorgen bereiten ihm – wohl auch in Anbetracht seiner Ambitionen, die Parlamentswahlen im kommenden Jahr zu gewinnen – die Ministerien, die von den Sozialdemokraten (ČSSD) geführt werden. Zwar nannte der ANO-Vorsitzende den großen Koalitionspartner nicht beim Namen. Doch seine kritischen Fragen – etwa die nach den Kliniken oder ob die Arbeitsämter wirklich effektiv arbeiten oder welchen Wert ein Universitätsabschluss in Tschechien eigentlich hat – fielen allesamt in den Zuständigkeitsbereich der ČSSD.
Nein zur Eurozone
Eine Lösung für den von DTIHK-Mitgliedern beklagten Fachkräftemangel in Tschechien sieht er in einem „dualen Ausbildungssystem, wie Deutschland es hat“. Hochschulen, Mittelschulen und Unternehmen müssten hierzulande viel enger zusammenarbeiten. Und Eltern sollten ihren Kindern auch einmal klarmachen, „dass nicht jeder ein Hochschuldiplom“ braucht. Schließlich würden Babiš zufolge auch Ausbildungs- und Handwerksberufe interessante Perspektiven bieten.
Bei den meisten Zuhörern kam das gut an – die DTIHK setzt sich seit vielen Jahren für eine Reform des Ausbildungssystems ein. Allerdings, so sagte er selbst, seien ihm als Finanzminister zu oft die Hände gebunden.
Eines versicherte Babiš den Gästen dennoch: Er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um die „sehr guten Beziehungen“ zwischen Tschechien und Deutschland weiter zu intensivieren. Einen Beitritt zur „angeschlagenen Eurozone“ lehnt Babiš allerdings ab. Was als Wirtschaftsprojekt begann, habe sich zu einem politischen Projekt gewandelt. „Und das ist schlecht“, so Babiš.
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