Das Ende vom Gulasch?
Das traditionelle Gericht verschwindet immer öfter von Prager Speisekarten. Ist Greta Thunberg schuld?
13. 2. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Titelfoto: Klaus Hanisch
Es ist noch nicht lange her, da rühmte sich mein Vermieter, ein Gulasch-Experte zu sein. Wenn nicht sogar DER Fachmann für Gulasch in Prag. „Denn“, erklärte er mir mit ernster Miene, „ein Gulasch ist ja nie einfach nur ein Gulasch!“ Gut zwei Dutzend Lokale habe er aufgesucht, um die Qualität seiner Lieblingsspeise zu testen. „Und immer schmeckte es irgendwie anders“, bekräftigte er mit erhobenem Zeigefinger. „Und wo gibt’s das Beste?“, wollte ich wissen. „Das werde ich dir gerade sagen“, antwortete mein Vermieter kühl. Schließlich habe er viel Zeit und Geld investiert, um genau dies herauszufinden. „Deshalb habe ich für Gulasch ab sofort keinen Geheimtipp mehr, sondern nur noch mein großes Geheimnis.“
Seine Heimlichtuerei fand ich damals schon blöd – und jetzt nervt sie mich noch mehr. Denn ich könnte seinen Tipp dringend gebrauchen. Allerdings nicht mehr dafür, wo man das beste Gulasch serviert – sondern wo es überhaupt noch welches gibt.
Nehmen wir als Beispiel Flora, Prag 3: Dort hat ein Traditionslokal vor einiger Zeit endlich wieder seinen ursprünglich tschechischen Namen angenommen und den neumodisch englischen im Kochtopf versenkt. Dafür wurde nun das Gulasch von der Karte gestrichen. Ein richtig gutes Gulasch war das und ich vermute stark, dass dieses Restaurant weit oben auf der Liste meines Vermieters stand. Warum ist es dann verschwunden? „Weil unsere Gäste mal was Neues essen wollen“, entgegnet der Kellner trotzig und fast ein wenig beleidigt, als ich ihn danach frage. Ich kenne ihn seit mehr als einem Jahrzehnt und hege den Verdacht, dass ihm sogar der künstliche alte Name seines Arbeitgebers gefallen hat.
Das Gulasch – oder auch der Gulasch, wie man in manch deutscher Gegend zu sagen pflegt – ist in Böhmen deutlich mehr als eine Speise mit Sättigungsbeilage. Es ist geradezu identitätsstiftend für das Volk. Etwa so wie die Eishockey-Nationalmannschaft. Wobei vermutlich deutlich eher Gulasch in böhmischen Küchen zubereitet als Eishockey auf zugefrorenen Seen gespielt wurde.
Ein Gulasch ist zudem entscheidend für das zweite nationale Kulturgut: das Bier. Je schärfer das Gulasch, desto größer der Ausstoß am Zapfhahn. Bis zuletzt auch bei Flora. Zumal in dem Lokal dort das vielleicht beste Pilsner (tankový) der Stadt ausgeschenkt wird. Bei mir floss es hinterher nicht nur in Strömen – wie bei vielen anderen – sondern stets bis zum Beginn der Sperrstunde. Insofern muss die Abschaffung des Gerichts dort äußerst schädlich fürs eigene Geschäft sein. Darüber hinaus ist es eine Schande für das ganze Land!
Schließlich hat schon der Tscheche Jaroslav Hašek in seinem „Schwejk“ aufgezeigt, wie elementar ein Gulasch für einen Tschechen ist. Weil die k.u.k-Soldaten nicht rechtzeitig verpflegt wurden, bleibe nichts anderes übrig, als ihren Zug auf der Fahrt zur Front einen Tag länger im Bahnhof stehen zu lassen. Dies befahl ein General. Um wörtlich fortzufahren: „Um sechs Uhr bekommen die Soldaten ihr Gulasch mit Erdäpfel, um halb neun scheißt sich das Militär an den Latrinen aus und um neun wird schlafen gegangen – vor solch einem Heer flieht jeder Feind entsetzt.“
Und als Josef Schwejk seinen Kumpel Woditschka bei einem Zwischenstopp darauf hinwies, dass er „nach dem Krieg jeden Abend um sechs Uhr im Kelch“ auf ihn warten werde, da meinte er sicher nicht nur „zum Bier“. Denn er rief ihm ja auch hinterher, „dass wir zwei dort auftischen“ werden – nämlich ein Gulasch! Möglich, dass heute noch im „U Kalicha“ in Prag 2 ein Gulasch auf den Tisch kommt. Wer dies überprüfen will, muss jedoch zuvor überhaupt erst einen Tisch bekommen. Noch immer lockt der Schwejk viele Gäste an. Wenn nun auch vor allem Touristen.
Doch nicht nur in Prag 3 ist das Gulasch ausgegangen, sondern auch in Prag 4. Auf meine Frage, warum in einem Restaurant plötzlich keines mehr auf ihrer Karte steht, antwortet eine Kellnerin lapidar: „Weil der Chef ein Idiot ist!“ Eine sehr präzise Angabe, wenn auch nicht ganz unvoreingenommen. Denn ich sah sie in den letzten Jahren oft selbst vor einem Gulasch sitzen.
Schon wieder der vierte Prager Stadtbezirk, der sich erst kürzlich durch seine neue Parkverordnung nachhaltig ins Gespräch gebracht hat … Auch dort war das Gulasch lange Zeit gut und günstig und machte die „wilden Jahre“ vergessen, als die „Prager Zeitung“ noch den richtigen Verzehr erläutern musste. Im Frühjahr 2004 gaben wir unseren Lesern im „Stadtmagazin“ vier goldene Regeln für einen Restaurant-Besuch an die Hand. Eine davon lautete: Speisen überprüfen!
„Nur Experten erkennen, ob die wenigen Fleischstückchen auf dem Teller tatsächlich 150 Gramm Gulasch sind, wie auf der Speisekarte versprochen“, führte die PZ damals aus. Allerdings könnten auch Nichtfachleute erkennen, ob es sich überhaupt um ein Gulasch handelt. „Denn es gibt Lokale, in denen Kellner stattdessen ein süß-saures Essen kredenzen und dies als ,Gulasch-Spezialität des Koches‘ ausgeben.“
Konkreter Fall: Ein Gast hatte ein Wildgulasch (155 Kronen) bestellt, der Ober gab eine ganz andere Bestellung an die Küche weiter, nämlich „süß-sauer“ (80 Kronen). „Am Ende kassierte er vom Gast 155 Kronen und steckte die Differenz von 75 Kronen einfach in die eigene Tasche“, lautete unser Fazit. Was für Zeiten! Und sie sind noch nicht vorbei. Zumindest nicht überall. Als Gulasch-Junkie begebe ich mich in der Not in ein großes Lokal, von dem ich sicher weiß, dass es dort mein Leibgericht gibt, um meiner Sucht zu frönen. Es liegt in der Prager Altstadt, was verdeutlichen mag, wie groß bereits meine Verzweiflung ist. Und prompt fühle ich mich in die grauen neunziger Jahre zurückversetzt.
Das Gulasch bestenfalls 100 Gramm, eher weniger. Das Fleisch von minderer Qualität. Die Sättigungsbeilage extra zu bezahlen. Und dazu: 20 Kronen fürs Gedeck. Macht in Summe 328 Kronen – über 13 Euro! Solch einen Preis rechtfertigt nicht einmal die besondere Lage in Prag 1.
Und es steht nicht zu vermuten, dass man das Gulasch dort „einen Tag stehen“ ließ, weil „dann die Zwiebeln fast aufgelöst“ sind und „mit Sahne aufgefüllt“ am Ende „eine herrlich sämige Soße“ ergeben – wie chefkoch.de nachdrücklich empfiehlt. Was konform geht mit historisch-kochen.de. Auch dort rät man, Gulasch „über Nacht kühl stehen lassen. Am nächsten Tag aufkochen“. kochbar.de schert indes aus, obwohl sein Gulasch „heut einmal“ so ist, wie „meine böhmische Oma ihn machte“. Dort rät man zu Rindfleisch mit Öl, Speck, Zwiebeln und Knoblauch. Bei vielen anderen fügt man dagegen Paprikapulver und fein gehackte Chili an, dazu Rotwein und „Kümmel, wer’s mag“. Angeblich habe Oma das „deftige Gericht mit Kartoffeln und einem Leipziger Allerlei genossen“. Bei den anderen passen „am besten“ böhmische Knödel oder Semmelknödel. „Nudeln aber auch.“
In jedem Fall unterscheidet sich ein Gulasch in Böhmen deutlich von anderen Gerichten gleichen Namens. Zum Beispiel von einem ungarischen Gulasch. Auch Kesselgulasch genannt. Weshalb es seinerseits häufig mit dem berühmten Pörkölt aus Ungarn verwechselt wird, weil beides in Kesseln gekocht wird. Das erläutert eine andere Oma – nämlich oma-kocht.de – sehr fachmännisch. Dann gibt es natürlich noch das Szegediner Gulasch. Ein Glück für die Ungarn, dass sie Péter Gulácsi haben, den Torhüter ihrer Nationalelf und – nomen est omen – Sachverständigen in allen Gulasch-Fragen.
Einen wie ihn haben die Böhmen dringend nötig. Gerade jetzt, da der nationale Gulasch-Notstand ausgebrochen ist. Und der lässt viel Raum für Verschwörungstheoretiker, die garantiert ihr eigenes Süppchen kochen und Zusammenhänge mit den Fleischskandalen der letzten Jahre herstellen werden. Mit Erinnerungen etwa an 2001, als 750 Kilo mit Salmonellen in Rindfleisch aus Polen in den Handel kamen. Oder an 2013, als in Tschechien der Verdacht auf Pferdefleisch in Tiefkühl-Lasagne aufkam. Und ganz besonders an letztes Jahr, als die Runde machte, dass polnisches Gammelfleisch in Prager Luxusrestaurants verkauft worden sei, als feine Rindersteaks aus Argentinien.
Doch Gerüchte um Gerichte helfen nicht weiter. In Wahrheit liegt das Ende vom Gulasch ziemlich genau im Trend. Und der besagt: Gulasch schadet der Umwelt. Also Rindfleisch. Für Gulasch.
Schon Anfang 2019 zitierte Zeit Online eine Studie aus Oxford, wonach die Rindfleischproduktion für 25 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen im Nahrungsbereich verantwortlich sei. Wer Rindfleisch mit einem Nährwert von 200 Kilokalorien produziere, der setze Treibhausgase mit einer Erwärmungswirkung von 23,9 Kilogramm Kohlendioxid frei. Bei der Produktion des gleichen Nährwerts durch Schwein seien es nur vier Kilo. Was zumindest die Hoffnung auf ein Schweinegulasch erhalten würde – wenn man es denn mag.
Und co2online.de erschreckte mit einer Kettenreaktion. Weniger Fleischverbrauch bedeutet weniger Rinderhaltung bedeutet weniger Soja als Futtermittel bedeutet weniger Methanausstoß bei der Verdauung der Tiere bedeutet weniger Belastung für die Umwelt. Oder so ähnlich. Und das bedeutet, auf den Punkt gebracht: weniger Rindergulasch in Prag! Für besseren Klimaschutz. Weiß jemand, ob Greta Thunberg in nächster Zeit einen Vortrag in Prag halten wird? Möglicherweise zur Lobpreisung der heimischen Restaurant-Besitzer?
Auch „co2 online“ rechnete nach und kam zu dem Ergebnis, dass eine vierköpfige Familie rund 700 Kilogramm CO2 vermeiden kann, wenn sie einmal in der Woche auf ein Kilogramm Rindfleisch verzichtet. Ein guter Vorschlag. Jeden Tag ein Gulasch schaffe ich in meinem Alter nicht mehr.
Und überhaupt kein Gulasch ist – zumindest für mich – auch keine Lösung. Dafür bleibt mir ein Lokal in Prag 5 übrig. Dort ist noch alles, wie ich es mir wünsche: Das Gulasch scharf, das Pilsner süffig, das Leben schön. An dieser Stelle spiele ich jedoch meinen Vermieter und verrate nicht den Namen dieses Restaurants. Sonst ist eines Tages auch dort Gulasch aus, wenn ich eintreffe – weil es von all jenen, die anderswo ebenso verzweifelt wie umsonst gesucht haben, bereits zu oft bestellt wurde.
Meine Kommentar zu diesem Artikel: kein Gulasch weil keine richtigen Köche mehr ?
Warum sag ich das ?
Ich war gut 20 Jahre in ganz Deutschland im Außendienst (1994-2017) – in der Regel 3-5 Tage je Woche auf Dienstreise … also auf freie Restaurants angewiesen weil die Hotelrestaurants zu teuer waren. Anfangs fand ich noch Lokale mit „gutbürgerlicher Küche“ oder „Hausmannskost“, also „deutsche regionale Küche“ mit dem was dazugehört und was ich so toll fand. Und meißtens gab es da gute Portionen zum sattwerden zu annehmbaren Preisen. Jede Region hat so tolle Speisen und die sind so lecker, aber … zumindest seit ca. 2000 wurde ich kaum noch fündig: Die alten Lokale verschwanden und es kamen immer mehr „Futterketten“ … Im Restaurant Braten und Gulasch etc. mit Fritten, Schnitzel und Currywurst aus der Fritteuse, Gyros mit Fritten, Pizza, Asia-Ketten etc. … die tollen Eintopfgerichte gab’s überhaupt nicht mehr. Ein Trost für ein ordentliches Stück Fleisch waren Steakhäuser – aber: auch die hatten wie viele andere auch die Preise gehalten und die Währung gewechselt :-(( Für einen Menschen im Außendienst eine Pein.
Geblieben ist mir ein kleines Lokal in meiner Heimatstadt Köln – da gibt es bis heute „Rheinischen Sauerbraten“, Rheinischen Gulasch“ vom Chef persönlich nach Oma’s Rezept … vom Pferd, Eisbeim mit Sauerkraut und anderes – kölsche Spezialitäten die ich seit meiner Jugend liebe – und immer wenn ich mal in Köln bin muß ich da hin.
Seit Ende 2017 wohne ich endgültig in Polen, kenne das Land seit über 20 Jahren und bin dort seit 2010 heimisch geworden. Auch hier mußte ich feststellen: die tolle einheimische Küche fehlt mir in den Restaurants. Wie in D ist alles „Einheitsfraß“ geworden mit den Auswirkungen wie oben beschrieben.
Wenn das „Globalisierung“ ist: nein Danke. Darum wundert mich die geschilderte Erfahrung in Prag überhaupt nicht.
Zunächst habe ich Einwände gegen das Svejk-Zitat. Es darf auf keinen Fall „…jeden Abend nach dem Krieg…“ lauten, sondern „um halb sechs nach dem Krieg“. Das ‚jeden Abend‘ beraubt es der Pointe.
Dem eigentlichen Anliegen des Artikels kann ich mich wiederum anschließen. Gute klasische böhmische Küche findet man in Prag kaum. Semmelknödel sehen gewöhnlich so aus wie in auf Ihrer Abbildung: ohne Semmeln. Übrigens finde ich, dass die Sämigkeit von Gulasch niemals durch Sahne erreicht wird, sondern durch die über mehrere Stunden zerkochten Zwiebeln.
Die Zeit ändert sich. Ich esse die Kühe und Schweine nicht, weil sie mit Pferden und Hunden identisch sind. Punkt. Schuetzen Sie sich! <3
Mein Tip: Restaurace U Rohtejch in Prag 3 5 minuten von Ohrada entfernt an der Ecke Rohačova x Hajkova
Leider beobachten wir in Tschechien immer mehr das verschwinden einheimischer Dinge. Im der Gastronomie auch den so geliebten Svíčková. Es wird immer schwieriger den im Umland von Cheb zu bekommen. Wir haben seit 15 Jahren ein Ferienhaus dort und beobachten mit Sorge, dass da Traditionen dem „Weltniveau“ geopfert werden. Schade, hoffentlich besinnen sich unsere tschechischen Freunde bald wieder auf ihre Traditionen, so wie es ja viele Ostdeutsche auch mittlerweile machen.
Mein Tip: Dann genießt einen Svickova mal in der Gaststätte „Unter der Burg“ in Hroznatov, den Besten weit und breit, nehmt Platz im wunderschönen Biergarten dort. Dürfte aber erst mal für Wochen oder Monate unerreichbar sein Mahlzeit!
Mein Tip: Pivovar u Bulovky . Hausgemacht, zu fairen Preisen und selbst gebrautes Bier. Mit der Tram in Richtung Kobylisy und an der Haltestelle Bulovka aussteigen.