Interview

„Das Feuer der Neugier stillen“

„Das Feuer der Neugier stillen“

Die „Velvets“ in Wiesbaden: Wie das Schwarze Theater von Prag nach Deutschland kam

1. 12. 2016 - Text: Sabina Poláček, Fotos: Velvets

Bedřich Hányš und Dana Bufková spielten in den sechziger Jahren für das Prager Avantgarde-Theater „Laterna magika“. Dann beschlossen sie 1968, ihre Heimat für ein Leben in Freiheit zu verlassen. PZ-Mitarbeiterin Sabine Poláček sprach mit dem Ehepaar, das in Wiesbaden seit 20 Jahren das einzige Schwarze Theater Deutschlands betreibt.

Vor 20 Jahren gründeten Sie in Wiesbaden Ihr eigenes Theater, vor fast 50 Jahren traten Sie in Prag erstmals mit der Gruppe „Velvets“ auf. Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute zurück?
Hányš: Als 77-Jähriger sehe ich heute vieles anders als damals. Eine Flucht aus der Heimat, die so endgültig ist, lässt einen handeln, wie es die Lebenssituation erfordert. Das meiste würde ich wieder so machen. Nur ganz am Anfang – und das war die Dummheit unserer ganzen damaligen Gruppe – haben wir das Angebot des „Olympia“ abgesagt …

… das berühmte Pariser Konzerthaus, in dem einst Edith Piaf sang – warum wollten Sie dort nicht spielen?
Hányš: Weil wir nicht wussten, wie wir bis zum ersten Auftritt ganze sieben Wochen überleben sollten. Das war ein großer Fehler.

Nach über 50 Jahren gemeinsam auf der Bühne: Wie ergänzen Sie beide sich, was unterscheidet sie?
Hányš: Meinungsverschiedenheiten gibt es unter Künstlern immer, und unter Ehepaaren umso mehr, weil wir die Probleme mit nach Hause nehmen. Aber bei Erfolgen ist es eine doppelte Freude. In den Existenz­nöten, in denen wir oft steckten, muss man sein eigenes Ego zähmen. Generell teilen wir uns die Arbeit bis heute so: Dana ist die Autorin, Dramaturgin, Puppenspielerin, Regisseurin und Kostüm­chefin und zuständig für die Herstellung der Requisiten und Puppen. Ich bin Pantomime, Schauspieler, Lehrer und technischer Leiter.

Was waren Ihre größten Erfolge?
Hányš: Dazu zählt das Stück „Der kleine Prinz“. Dana spielte 36 Jahre die Figur des Prinzen, ich 24 Jahre den Piloten. Und in der „Zauberflöte“, die wir als Pantomime mit Masken und Playback aufführten, verkörperte Dana jahrelang Pamina und ich den Papageno. Heute stehen wir nicht mehr auf der Bühne – nur wenn einer unserer Schauspieler verhindert ist oder bei festlichen Anlässen.

Bedřich Hányš und Dana Bufková waren 1967 Mitgründer der Gruppe „Velvets“.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Anfänge in Prag und Jiří Srnec?
Hányš: Die sechziger Jahre waren sehr ereignisreich. 1960 verließ Jiří Srnec, einer der drei künstlerischen Leiter des ersten Schwarzen Theaters in Prag, die Gruppe. Die nachfolgende Leiterin Hana Lamková und ihr Mann Josef versuchten, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Ich befand mich gerade im siebten Semester der Theaterakademie und durfte die Rollen von Jiří Srnec übernehmen. Mit dieser Gruppe waren wir in der ganzen Republik unterwegs wie auch auf dem UNIMA Festival in Warschau und lange Zeit in der „Folies Bergère Show“ im Tropicana Hotel in Las Vegas. Dort haben wir so viel Freiheit geschnuppert und so viel Unternehmungsgeist, dass wir schließlich die „Velvets“ gründeten.

Die „Velvets“ waren die erste freie Theatergruppe in der ČSSR. Warum haben Sie sich im Jahr 1968 für die Ausreise entschieden?
Hányš: Im Herbst 1966 spielten wir gerade für die Prager Laterna magika. Schon ein Jahr später hat es gebrodelt. Alle Künstler engagierten sich und unterschrieben Resolutionen. Das alles hat sich im Frühjahr 1968 potenziert. Jeder konnte an öffentlichen Plätzen das „Manifest der 2.000 Worte“ unterzeichnen. Das taten wir auch.
Bufková: Als die Truppen des Warschauer Pakts 1968 die Tschechoslowakei besetzten, war uns klar, dass es keinen Weg zurück in die Unabhängigkeit gibt. Auch nicht für uns. Nach den 18 Monaten in den USA wollten wir frei wie Vögel sein und uns nicht in einen Käfig sperren lassen.

Als Sie sich 1970 in Wies­baden niederließen, hatten Sie es als Künstler nicht einfach. Sie mussten viel improvisieren. Woher nahmen Sie Ihren Mut und Optimismus?
Bufková: Als Künstler hat man immer wieder eine Vision, etwas Neues zu schaffen und Gedanken und Ideen umzusetzen. Das Feuer der Neugier zu stillen, das ist der Weg, das ist der Optimismus.
Nach der Öffnung der Grenzen waren Sie 1990 wieder in Prag. Wie war der Besuch in Ihrer Heimat nach so langer Zeit?
Hányš: Wir hatten mit unserer „Zauberflöte“ drei ausverkaufte Vorstellungen auf der Neuen Bühne des Nationaltheaters. Die meisten Kritiken unseres Stücks waren jedoch zu unserer Bestürzung schlecht. Dabei feierten wir auf den Maifestspielen in Wiesbaden gerade mit diesem Stück einen Riesenerfolg. Genauso auf Theaterfestivals in Nor­wegen und Polen, wo wir den ersten Preis erhielten. Viermal lief unsere Inszenierung der „Zauberflöte“ im ZDF. Es waren also wunderschöne Tage in Prag – mit einer bitteren Pille.

Heute zeigt die Laterna magika Aufführungen mit filmischen Elementen und 3D-Visualisierung. Welche Bedeutung hat das Schwarze Theater noch?
Hányš: Als wir anfingen, galt Schwarzes Theater als etwas Poe­tisches. Heute wird es in Prag leider nur noch als Touristen­attrak­tion vermarktet. Seit Jahren experimentieren wir im Schwarzen Theater mit Projektionen. Wir glauben aber, dass man als Künstler den Zuschauer gerade mit den einfachsten Mitteln emotional erreicht.
Bufková: Den Zauber des Schwarzen Theaters sehen wir im optisch unendlichen Raum, den wir Schwarzes Loch nennen. Alles entsteht und verschwindet hier und jetzt. Die Technik spielt eine wichtige, aber nicht die größte Rolle.

Welche neuen Pläne und Ideen haben Sie für 2017?
Hányš: Im Mai feiern wir in Wiesbaden die Premiere eines neuen Stücks. Natürlich wird es zum 50. Geburtstag der „Velvets“ auch eine Ausstellung, Sonderveranstaltungen und Videos geben.


Hintergrund: Die Velvets
Dana Bufková und Bedřich Hányš studierten Figurentheater an der Akademie der Musischen Künste in Prag und gehörten von 1960 bis 1966 dem Schwarzen Theater Prag unter der Leitung von Hana Lamková an. Gastspiele und Tourneen führten sie nach London, Paris und Las Vegas. Nach einer Spielzeit auf der berühmten Prager Avantgarde-Bühne „Laterna magika“ gründeten sie 1967 das siebenköpfige Ensemble „Velvets“. Während des Prager Frühlings verließen Bufková und Hányš ihre Heimat und traten in Italien, Frankreich, England, in der Schweiz und auf den Bahamas auf. 1970 fanden sie in Wiesbaden ihr neues Zuhause. Sie arbeiteten für ARD und ZDF an zahlreichen Trickfilmproduktionen für Kindersendungen wie „Sesamstraße“ und „Die Sendung mit der Maus“. Für die „Rappelkiste“ erfand Dana Bufková die grünen und lilafarbenen Knetfiguren „Ompis“. Von 1971 bis 1975 traten die „Velvets“ auch in Österreich, den Niederlanden und in Schweden auf. 1980 erhielten sie den ersten Preis beim Festival Atti Unici und 1991 den ersten Preis beim Internationalen Theaterfestival im polnischen Toruń. Im Jahr 1996 wurde mit ihrer eigenen festen Spielstätte in Wiesbaden ein großer Traum wahr: die erste und einzige Bühne für Schwarzes Theater in Deutschland. 2010 erhielt das Theater den Kulturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden. Zugleich übernahm die Tochter und Musicaldarstellerin Barbara Naughton die Leitung. Gespielt werden unter anderem „Rusalka“, „Die Zauberflöte“, „Der Sturm“, „Die Verwandlung“ und die Revue „Grenzen-Los“.


Schwarzes Theater
Das Prinzip des Schwarzen Theaters (auch Schwarzlichttheater) basiert auf einem Spiel mit Licht und Schatten. Auf einer mit schwarzem Samt ausgelegten Bühne führen schwarz vermummte Spieler Puppen und andere Gegenstände durch eine schmale Lichtgasse. Die vom Scheinwerferkegel getroffenen Objekte ­werden für das Publikum sichtbar, während die Spieler verborgen bleiben. Die Puppen erscheinen dadurch wie zum Leben erweckt, als würden sie sich selbstständig im Raum bewegen. Eine zusätzliche Wirkung kann man mit dem Einsatz von Schwarzlicht erzielen, das weiße oder fluoreszierende Objekte leuchten lässt. Häufig kommt zudem Pantomime zum Einsatz, sodass die ­Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit verschwimmen.

Weitere Artikel

... von Sabina Poláček
... aus dem Bereich DeuTsch
... aus dem Bereich Kultur

Abonniere unseren Newsletter