Das Tor zur Arbeitswelt
Als sie ihr Gehör verlor, wollte niemand Zdeňka Palátová einstellen. Sie gründete ein soziales Unternehmen, das heute 50 Mitarbeiter beschäftigt
22. 6. 2016 - Text: Corinna Anton, Fotos: privat
Wer nach Třebíč reist, besucht dort meist das jüdische Viertel, das seit 2003 auf der Liste des Unesco-Welterbes steht. Trinkt man im Zentrum der knapp 37.000 Einwohner zählenden Stadt der Region Vysočina auch einen Kaffee, kauft Zeitung oder lässt sich die Nägel feilen, kann es sein, dass man von Menschen bedient wird, die wahrscheinlich keinen Arbeitsplatz hätten, wenn Zdeňka Palátová nicht gehörlos geworden wäre.
Die 54-Jährige erzählt von vorn: Sie verbrachte ihre Schul- und Studentenzeit in Telč und fand ihre erste Arbeitsstelle im Kinder- und Jugendzentrum. „Dort lernte ich Angeln, Fußball spielen, ich fuhr in Ferienlager, tanzte in der Volkstanzgruppe und bestickte Trachtenkostüme.“ Palátová gehörte auch zu den Gründern des Folklore-Festivals „Prázdniny v Telči“ – und lernte dabei unter anderem zu organisieren.
Nach der Samtenen Revolution wurde sie, mittlerweile verheiratet und nach Třebíč gezogen, Unternehmerin und eröffnete ein Geschäft mit tschechischem Kunsthandwerk. „Originál“ hieß es – die Einheimischen kauften dort Geschenke, die Künstler aus dem ganzen Land aus Keramik oder Glas hergestellt hatten, „nutzlose, aber wichtige Dinge, die das Leben schöner machen“, sagt die Unternehmerin rückblickend. Doch dann, im Jahr 2005, verlor sie ihr Gehör und musste sich „beruflich umorientieren“, wie man so schön sagt.
Die Suche nach einer neuen Stelle gestaltete sich schwierig. „Wenn Arbeitgeber Sie wegen Ihrer Behinderung ablehnen, weil diese Behinderung in ihren Augen alle Vorteile überwiegt, trägt das nicht gerade zur Lebensfreude bei – und es motiviert auch nicht besonders zu weiteren Aktivitäten“, erklärt Palátová heute. Statt zu resignieren, wurde sie damals wütend. Und sie wollte zugleich anderen beweisen, dass Menschen mit Behinderung vieles schaffen können. Damit begann 2008 die Geschichte ihres sozialen Unternehmens.
Palátová gründete mit Gleichgesinnten zunächst die Bürgerinitiative Vrátka. „Die Idee war, dass Menschen mit Behinderung aktiv werden und die Möglichkeit haben zu arbeiten.“ Zuerst eröffnete der Verein einen kleinen Laden für Zeitschriften und Tabakwaren, in dem er zwei Angestellte beschäftigte. Mit der Zeit kamen weitere Verkaufsstellen hinzu. Mit Unterstützung der Stadt Třebíč, die der Organisation Räume zu günstigen Mieten überließ, konnte schließlich das Café Vrátka eröffnen.
Heute beschäftigt das soziale Unternehmen in Třebíč 38 Menschen mit und zwölf ohne Behinderung. Es betreibt unter anderem drei Zeitungsläden, das Café, ein gemeinnütziges Geschäft, die Garderobe in einer Poliklinik und eine Handarbeitswerkstatt. Zudem wurde dieses Jahr eine Bügelstube mit einer Beschäftigten eröffnet; dank europäischer Fördergelder entstand ein Studio für Maniküre und Pediküre. Eingerichtet wurde es in einem Gebäude, das die Stadt dem Unternehmen spendete; im Hof wurde ein Garten angelegt, in dem Kräuter wie Mate, Basilikum und Lavendel für das Café und die Werkstatt angebaut werden.
Gutes Gefühl
Das Unternehmen erwirtschafte eine „schwarze Null“, sagt die Gründerin. Was es einnimmt, reicht, um die Kosten zu decken, und wenn etwas übrigbleibt, wird es sofort wieder in den Betrieb gesteckt. Mit dem Ergebnis ist Palátová zufrieden. „Unser Ziel ist es, ein Arbeitgeber für den Übergang zu sein und unsere angelernten und motivierten Angestellten weiterzuvermitteln, ihnen ein Tor auf den regulären Arbeitsmarkt zu öffnen.“ Daher auch der Name des Unternehmens, denn „vrátka“ heißt „Tor“.
Palátová selbst steht ab und zu in der Küche und probiert neue Rezepte für die Bäckerei aus, manche erfindet sie auch selbst. Hauptsächlich sucht sie aber nach Finanzierungsmöglichkeiten und schreibt Projektanträge. Bei der Finanzierung setzt sie auf mehrere Quellen – und ist daher auf verschiedene Geldgeber und Stiftungen angewiesen. Um den Gewinn zu steigern, versucht das Unternehmen, seine Dienste auszuweiten und seine Produkte nun auch über einen Onlineshop zu verkaufen, ebenso auf Märkten und anderen Veranstaltungen.
Als sozialer Betrieb habe Vrátka mit einigen typischen Problemen zu kämpfen, so die Gründerin. Die Gesetze änderten sich häufig, vor allem aber würden sie „von Theoretikern gemacht, die mit der Zielgruppe keine praktischen Erfahrungen haben“. Auf Beobachtungen „von unten“ höre niemand, klagt sie, und bei der Zusammenarbeit mit den Behörden komme es oft sehr auf die Menschen an. „Sie können manchmal helfen, aber sie müssen es nicht tun.“ Zudem gelten für einen kleinen Betrieb wie das Café Vrátka dieselben Hygienevorschriften wie für ein großes Hotel. „Wir müssen Auflagen erfüllen und Dinge nachweisen, die wir praktisch nie benutzen.“
Nicht zuletzt sei es „wirklich anstrengend“, so Palátová, ein Unternehmen zu führen und gleichzeitig sozial zu handeln. „Dem Staat gegenüber haben wir die gleichen Pflichten wie andere Unternehmer. Zugleich sind unsere Angestellten für uns aber wie die Klienten sozialer Dienste. Und wir sind ein Unternehmen, das den Gewinn wieder in Dienste für die Angestellten steckt. Hinter allen Zahlen muss man immer die Menschen sehen.“
Ob es schwierig sei, in Tschechien als Unternehmerin Erfolg zu haben? Zdeňka Palátová antwortet mit einer Gegenfrage: „Geht es darum, sich eine Jacht leisten zu können, oder darum, die Familie zu ernähren und ein gutes Gefühl zu haben?“ Die Antwort gibt sie selbst: „Bei einem sozialen Unternehmen geht es eher ums gute Gefühl. Es ist toll, wenn es für ein Brot mit Butter, Käse oder Wurst reicht. Aber manchem reicht auch schon das Brot mit Butter. Besonders, wenn er weiß, dass er auch anderen Leuten beigebracht hat, dieses Brot zu backen.“
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