Das Wohl des Kindes
Eine Gruppe von Abgeordneten will die Stiefkindadoption für gleichgeschlechtliche Paare einführen. Es geht um etwa 2.000 Kinder und den Abbau von Vorurteilen
29. 5. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Eleonora Calvelli
Petra Hanzelínová und Helena Polášková reden und reden. Über ihre Liebe auf den dritten Blick. Darüber, dass Helena, wenn sie nicht in Petra verliebt wäre, vermutlich mit einem Mann leben würde. Darüber, wie Helena in den Wehen Petra angeschrien hat. Sie solle doch selber versuchen, ihr gemeinsames Kind auf die Welt zu bringen. Und über ihre größte Angst: Sie fürchten, dass ihnen jemand ihre zwei kleinen Töchter wegnehmen könnte.
Helena Polášková dreht an ihrem Verlobungsring an der rechten Hand. Die einjährige Anička brabbelt zufrieden auf ihrem Schoß. Polášková sagt: „Die Leute denken: Eine andere sexuelle Orientierung, das ist nicht normal, da laufen irgendwelche Orgien ab. Deshalb können Homosexuelle keine normalen Eltern sein.“ Ihre Partnerin Petra Hanzelínová trägt ihre brünetten Haare zum Zopf gebunden. „Sollen sie uns doch besuchen und sehen, wie wir leben“, gibt sich die 33-Jährige entschlossen. Kačka, drei Jahre alt, traut sich langsam aus dem bunten Zelt, neben dem sich im Wohnzimmer die Bauklötze häufen. Für Kačka ist Petra ihre „Máma“. Helena nennt sie „Maminka“.
Hanzelínová und Polášková leben seit 13 Jahren unverpartnert zusammen. Schwanger wurde Polášková durch künstliche Befruchtung. Für homosexuelle Paare, die ihre Partnerschaft haben eintragen lassen, ist das in Tschechien genauso verboten, wie Adoption. Letzteres möchte Martina Štepánková ändern, Schritt für Schritt. Die Abgeordneten Viktor Paggio (LIDEM), Kateřina Klasnová (Věci veřejné) und Jana Černochová (ODS) möchten in den nächsten Tagen einen Gesetzesentwurf vorlegen, den die Juristin Štěpánková und ihre Kollegen von der Plattform für Gleichberechtigung, Anerkennung und Diversität, kurz PROUD, ausformuliert haben.
Das neue Gesetz soll homosexuellen Paaren die Stiefkindadoption erlauben. Somit könnten auch Lesben und Schwule im Rahmen einer eingetragenen Partnerschaft das leibliche Kind ihres Partners adoptieren. In Deutschland ist das möglich. Volles Adoptionsrecht gibt es aber auch in der Bundesrepublik nicht. Ex-Premier Jiří Paroubek sagte gegenüber der „Prager Zeitung“: „Ich glaube nicht, dass die tschechische Gesellschaft für das volle Adoptionsrecht bereit ist.“ Paroubeks Linkspartei LEV21 hat ähnlich wie die Abgeordneten um Paggio kürzlich einen eigenen Gesetzesentwurf eingereicht, der zumindest Stiefkindadoption ermöglichen soll, allerdings mit einem anderem juristischen Ansatz.
Vorreiter in Osteuropa
In Paris protestieren seit Wochen Hunderttausende gegen die kürzlich eingeführte Homo-Ehe. Ähnlich hitzige Reaktionen kann sich Štěpánková in Prag nicht vorstellen. „Auch bei der Einführung der eingetragenen Partnerschaft gab es keine größeren Proteste“, erinnert sich die Rechtsanwältin. Nach einer mehr als achtjährigen Diskussion wurde Tschechien mit Slowenien 2006 das erste postsozialistische Land, in denen sich Lesben und Schwule dieses Recht erkämpft hatten. Verabschiedet wurde es jedoch unter der Bedingung, dass Adoption in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft untersagt bleibt. Damit wird eine sexuelle Minderheit diskriminiert und gegen die Grundrechte verstoßen, sagt etwa der Abgeordnete Paggio. Es geht um das Wohl der Kinder, sagen die Leute von PROUD. „Sie sollen Sicherheit darüber haben, dass sie nicht aus ihrer Familie gerissen werden, sobald dem leiblichen Elternteil etwas passiert“, erklärt Štěpánková ihr Anliegen.
Aber da, wo über Adoption entschieden wird, gibt es Vorurteile. Ein Familienpsychologe, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte und Gutachter für mögliche Adoptiveltern war, sagt: Den Homosexuellen gehe es um höchst egoistische Ziele – darum, sich gleichberechtigt zu fühlen. In Tschechien sei das ein unerreichbares Ziel. „Als heterosexueller Psychologe traue ich mir nicht zu, einem Homosexuellen eine Diagnose auszustellen.“ Zu verschlossen sei die Community, zu unstetig der Lebenswandel von Schwulen, behauptet der Psychologe.
Im Reich der Säugetiere
Es sind genau diese Argumente, die Petra Hanzelínová auf die Palme bringen. „Ich bin Staatsbürgerin dieses Landes, ich zahle Steuern, ich liebe meine Kinder.“ Sie verstehe nicht, warum sie weniger Recht auf Kinder habe, als ein Mann, der seine Frau schlägt oder trinkt. Hanzelínová nennt die Dinge gern beim Wort: „Wenn ich einen Pimmel hätte, dann fragt keiner nach!“ Die kleine Anička schreit, sie hat sich mit ihrem Kopf am Tisch gestoßen. Die Mütter springen auf. Einige Küsschen und die Welt ist wieder in Ordnung. Bisher hätten sie Glück gehabt. Bis auf verwunderte Blicke von Passanten hätten sie positive Erfahrungen gemacht – mit den Nachbarn, mit den Ärzten. Es ist die Unsicherheit, die sie stört. Wenn Kačka im Krankenhaus ist, dann kann der Arzt Hanzelínová die Auskunft verweigern, weil sie nicht als Elternteil anerkannt ist. Jederzeit könne jemand das Sozialamt in ihre Wohnung schicken.
Ob der Gesetzesentwurf zur Stiefkindadoption vom Parlament verabschiedet wird, ist unsicher. Die Mitarbeiter von PROUD versuchen in diesen Tagen, weitere Abgeordnete für ihre Sache zu gewinnen. Positive Rückmeldungen habe man aus allen Parlamentsfraktionen, ebenso wie negative. Die Gegner argumentieren am liebsten mit der Natur: „Die einzigen, die ein Recht haben, Kinder zu erziehen, sind Mann und Frau“, sagte der ODS-Abgeordnete Boris Šťastný der Zeitung „Právo“, „denn im Reich der Säugetiere können nur Männlein und Weiblein Kinder erzeugen.“ Verhalten reagierten bislang die Vertreter der Regierungspartei TOP 09. Sollte das Gesetz abgelehnt werden, werde man es dem nächsten Parlament nach den Wahlen 2014 vorlegen, sagt Štěpánková. Dort könnten die Sozialdemokraten das entscheidende Wort haben. Auch in der ČSSD ist man sich bislang uneins, wie man sich zum Thema Stiefkindadoption stellen werde. Der Fraktionsvorsitzende Jeroným Tejc jedenfalls möchte den Abgeordneten bei einer Abstimmung freie Hand lassen. „Ich selbst bin eher skeptisch“, sagt Tejc.
Mit Hilfe des Doktors
Das entspricht der Mehrheitsmeinung in Tschechien. Laut einer Studie der Meinungsforscher von CVVM sind sechzig Prozent gegen die Einführung eines Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare. Trotz aller Skepsis wachsen jedoch mehr und mehr Kinder bei zwei Vätern oder Müttern auf. PROUD geht im Moment von bis zu 2.000 Kindern aus.
Helena Polášková und Petra Hanzelínová hoffen, dass ihr Familienmodell bald legal wird. Dann wollen sie ihre Partnerschaft eintragen lassen, dann will Hanzelínová ihre zwei Kinder adoptieren. Für Kačka haben die beiden einen Kindergarten in der Nähe mit einem männlichen Erzieher ausgesucht, weil sie auch den Kontakt mit männlichen Bezugspersonen ermöglichen wollen. Wenn Anička einmal fragen wird, wie sie entstanden ist, wird Petra Hanzelínová antworten: „Aus Liebe. Und mit Hilfe des Doktors.“
„Online-Medien sind Pioniere“
Kinderwunsch nicht nur zu Weihnachten