Dem Urtier auf der Spur

Dem Urtier auf der Spur

Vor 230 Jahren starb Joachim Barrande. Ein Prager Stadtteil erinnert an den französischen Forscher

2. 10. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: APZ

Barrandov. Das Stadtviertel im Süden Prags verbinden die meisten wohl mit den berühmten gleichnamigen Filmstudios, in deren Kulissen Klassiker wie „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ oder „Pan Tau“ entstanden. Die wenigsten hingegen wissen von Joachim Barrande, dessen Name dem Stadtteil Pate stand. Der Paläontologe und Geologe entdeckte hier in der Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutende Fossilien. Die Funde verewigte er in seinem 21-bändigen Monumentalwerk „Système silurien du Centre de la Bohème“ („Silurisches System von Mittelböhmen“), das später zugleich die sogenannte Prager Mulde als „Barrandium“ in der geologischen Forschung des 19. Jahrhunderts bekannt machte. Die geologische Gebietseinheit zwischen Brandýs nad Labem und Klatovy umfasst typische Gesteine des Erdaltertums. Unter Forschern gilt sie als wertvolle Fundgrube, in der sich Sedimentschichten aus dem Kambrium, Ordovizium, Silur und Devon hervorragend studieren lassen. Regelrecht berühmt dürfte das Barrandium für die Versteinerungen jener Gliederfüßer sein, die hier vor etwa 520 bis 320 Millionen Jahren den Meeresgrund bevölkerten: die Trilobiten.

Barrande entdeckte sie eher zufällig, der Zufall aber sollte sein Leben verändern. Vor 230 Jahren starb der Forscher, der in Prag so tiefe Spuren freilegte.Joachim Barrande kam 1799 im französischen Saugues (Auvergne) zur Welt. Nach seinem Studium der Ingenieurswissenschaften war er als Privatlehrer am Hofe König Karls X. tätig, wo er dessen Enkel Henri d’Artois unterrichtete.

Mit dem Ausbruch der Julirevolution 1830 floh Barrande mit der Königsfamilie zunächst nach England, kam dann auf Einladung von Kaiser Franz I. nach Prag. Hier sollte er als Ingenieur die Pläne für den Ausbau der Pferdebahn zwischen Pilsen und Kladno überarbeiten. Bei seiner Begutachtung der Strecke entdeckte Barrande im Tal der Berounka die Überreste sehr gut erhaltener Trilobiten. Die Funde begeisterten den Hobby-Paläontologen derart, dass er seinem Beruf den Rücken zukehrte und sich fortan der Naturwissenschaft widmete. So verbrachte er die folgenden 50 Jahre seines Lebens in Prag, um die Region systematisch zu erforschen.

In Prag entwickelte sich Barrande zu einer angesehenen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, vor allem der Kleinseite. Mit dem Schriftsteller Jan Neruda verband ihn eine enge Freundschaft. Nerudas Mutter Barbora, die sich um Barrandes Haushalt kümmerte, unterrichtete den Forscher in tschechischer Sprache. Entgegen der internationalen Norm verwendete Barrande bei der Bestimmung seiner über 3.500 neuentdeckten Arten nicht lateinische, sondern tschechische Bezeichnungen.

Barrande starb am 5. Oktober 1883 im Alter von 84 Jahren während einer Reise ins niederösterreichische Frohsdorf, nachdem er sich eine Lugenentzündung zugezogen hatte. Seine Funde und Handschriften vermachte er per Testament dem Königlich-Böhmischen Landesmuseum – dem späteren Nationalmuseum, wo sie heute in der Paläontologischen Sammlung besichtigt werden können.

1884 wurde ihm zu Ehren eine Gedenktafel an den am Moldauufer emporragenden Felsen angebracht, 1928 benannte man das Prager Stadtviertel nach ihm.