Der doppelte Heydrich
Zwei aktuelle Kinoproduktionen widmen sich dem Heydrich-Attentat aus unterschiedlicher Sichtweise. Es sind nicht die ersten Spielfilme zur „Operation Anthropoid“
23. 8. 2016 - Text: Helge HommersText: Helge Hommers; Fotos: The Weinstein Company und Arnold Pressburger Films
Wer im vergangenen Sommer an der Prager Burg oder der Karlsbrücke vorbeischlenderte, hat sich womöglich über Absperrungen und schreiende Wehrmachtssoldaten gewundert. Als sich das Getöse im Herbst endlich gelegt hatte, überkam so manchen an denselben Orten wenig später ein Déjà-vu. Erneut waren die Sehenswürdigkeiten abgesperrt und von um sich schießenden SS-Truppen gesäumt. Die Erklärung ist ebenso simpel wie verwunderlich: 2017 jährt sich das unter dem Decknamen „Operation Anthropoid“ ausgeübte Attentat tschechoslowakischer Widerstandskämpfer auf den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich zum 75. Mal. Der damalige „Stellvertretende Reichsprotektor in Böhmen und Mähren“ erlag eine Woche später seinen Verletzungen. Das Attentat wurde zum einzig erfolgreichen Anschlag auf ein ranghohes Mitglied der NS-Elite. Für die europäische Filmindustrie offenbar Grund genug, gleich zwei Großproduktionen mit ähnlicher Handlung auf die Leinwand zu bringen und an Originalschauplätzen zu drehen.
Zwiegespaltenes Publikum
Der erste der beiden hochkarätig besetzten Kinofilme feierte seine Weltpremiere beim Internationalen Filmfestival in Karlsbad. Das Publikum zeigte sich von der britisch-französisch-tschechischen Produktion „Anthropoid“ zwiegespalten und schwankte zwischen Entsetzen und Begeisterung. Vor allem der osteuropäische Akzent in der englischsprachigen Originalfassung wirkte für manchen Zuschauer eher befremdlich als authentisch.
Auf der Besetzungsliste finden sich vorwiegend Briten und Iren wieder. Ausnahmen bilden die auch außerhalb Tschechiens bekannte Anna Geislerová und der in Deutschland eher in kleineren Rollen besetzte Detlef Bothe als Heydrich, der diesem verblüffend ähnlich sieht. In den Hauptrollen agieren Cilian Murphy und Jamie Dornan, die die Attentäter Jozef Gabčík und Jan Kubiš verkörpern. Besonders die Besetzung des aus dem vielgeschmähten Erotik-Thriller „Fifty Shades of Grey“ bekannten Dornan sorgte für Aufsehen, während der mehrfach ausgezeichnete Murphy für komplexes und von der Kritik gefeiertes Kino steht.
Der 120-minütige Thriller von Regisseur Sean Ellis, in dem die Planung, Ausführung und Folgen des Anschlags sowie die Attentäter im Vordergrund stehen, erhielt gemischte Kritiken. Die Rezensenten betonten, zwar keinen schlechten Film gesehen zu haben, aber auch keinen, der in Erinnerung bliebe oder spannend sei. Wann sich das tschechische Publikum selbst eine Meinung bilden darf, ist noch offen. In den USA läuft der Film bereits und ab September auch in Großbritannien.
In der französischen Produk-tion„HHhH“ stehen eher das Anschlagsziel und Heydrichs Ehefrau im Vordergrund. Neben dem sowohl aus Blockbustern wie „Planet der Affen: Revolution“ als auch oscarprämierten „Zero Dark Thirty“ bekannten Heydrich-Darsteller Jason Clarke, ist Rosamund Pike als Lina Heydrich zu sehen. Pike, die für „Gone Girl“ vielfach ausgezeichnet wurde, spielt eine Aristokratin, die ihren unpolitischen Gatten in den Nationalsozialismus einführt und ihm Heinrich Himmler vorstellt.
Erst in der zweiten Hälfte des ebenfalls englischsprachigen Films wendet sich die Handlung den Attentätern zu, die von zwei britischen Nachwuchsschauspielern verkörpert werden. Tschechische Darsteller sucht man in der Besetzung vergebens, während der Schauspieler Volker Bruch als einziger Deutscher einen größeren Part erhielt. Als Regisseur zeichnet der noch relativ unbekannte Franzose Cédric Jimenez verantwortlich, der Laurent Binets gleichnamigen Erfolgsroman aus dem Jahr 2010 verfilmte. Der Filmtitel steht für „Himmlers Hirn heißt Heydrich“ – ein Ausspruch, der Hermann Göring zugeschrieben wird. Wann das Thriller-Drama seine Weltpremiere feiert und in die Kinos kommt, ist noch nicht bekannt.
„Anthropoid“ und „HHhH“ sind allerdings nicht die ersten Filme, die sich mit den Geschehnissen vom 27. Mai 1942 auseinandersetzen. Bereits kurz nach dem Attentat präsentierte Fritz Lang seine Version der Vorkommnisse in „Auch Henker sterben“. Das Drehbuch verfasste Bertolt Brecht, der ebenso wie Lang aus Nazideutschland geflohen war. Der Film erzählt die Geschichte des Chirurgen František Svoboda, der Heydrich auf eigene Faust tötet. Um den Attentäter ausfindig zu machen, droht die Gestapo mit der Exekution von 400 Geiseln. Als die tschechoslowakische Widerstandsbewegung einen Spitzel in ihren Reihen entdeckt, liefert sie statt Svoboda den Verräter aus und rettet so zumindest einigen Geiseln das Leben.
Brecht und Propaganda
Der nur in wenigen Punkten an die realen Vorgänge anknüpfende Streifen – möglicherweise aus Unwissenheit der Beteiligten über die wahren Hintergründe – erhielt zwar zwei Oscarnominierungen, wird heute jedoch aufgrund seines lockeren Umgangs mit den historischen Fakten als US-Propagandafilm bewertet. Brecht distanzierte sich noch vor der Premiere von dem Werk, das seine einzige Arbeit in Hollywood bleiben sollte.
Die tschechoslowakische Produktion „Atentát“ aus dem Jahr 1964 hält sich hingegen eng an die wahren Geschehnisse. Regisseur Jiří Sequens sparte auch die Folgen des Anschlags wie das Massaker von Lidice nicht aus. Erwähnenswert ist sowohl die sorgfältig recherchierte Darstellung der nach London geflohenen Exilregierung als auch ein Gespräch zwischen Heydrich und seinem „Gegenspieler“ Wilhelm Canaris, dem Leiter des militärischen Geheimdienstes. Alles in allem aber ein wenig zu viel Handlung für einen 104-minütigen Spielfilm.
Für „Das Sonderkommando – Tötet Heydrich“ von 1975 zeichnet der auf Kriegsfilme spezialisierte Regisseur Lewis Gilbert verantwortlich, der den Film größtenteils an Originalschauplätzen in Prag drehte. Das amerikanische Werk beschränkt sich auf die beiden Attentäter und klammert die politischen Geschehnisse jener Zeit aus. Unter Filmliebhabern gilt es als der beste Streifen über das Heydrich-Attentat – manchmal ist weniger dann doch mehr.
„Markus von Liberec“
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