„Der EU-Haushalt gießt alte Strukturen in Zement“
Europapolitik-Experte Sebastian Czuratis über einen 960 Milliarden Euro schweren Kompromiss
13. 2. 2013 - Interview: Martin Nejezchleba
27 Regierungschefs schlagen sich bei den Haushaltsgesprächen in Brüssel regelmäßig die Nächte um die Ohren. Das muss nicht sein, meint Sebastian Czuratis. Mit PZ-Redakteur Martin Nejezchleba sprach der Experte vom Freiburger Centrum für Europäische Politik über eine veraltete Agrarpolitik, über die Kunst, Kompromisse als Erfolg zu verkaufen und darüber, was passiert, wenn Herr Schulz Nein sagt.
Zwei Tage lang haben die EU-Regierungschefs in der vergangenen Woche über den EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre gestritten. Der erste Versuch, sich darüber zu einigen, war im November gescheitert. Sind diese Verhandlungen nicht ein recht schwerfälliges Prozedere?
Czuratis: Der EU-Haushalt wirkt in der Tat wie eine riesige, ineffiziente Umverteilungsmaschine. Das liegt im Wesentlichen an den nationalen Interessen. Denn jeder Staat will möglichst viel von seinen eigenen Beiträgen zurückbekommen. Frankreich will Geld für seine Bauern und Deutschland für seine östlichen Bundesländer. Würden aus dem EU-Haushalt nur Projekte mit einem grenzüberschreitenden Bezug oder nachhaltige Strukturförderungen finanziert, sähe die Umverteilungsmaschine längst nicht so ineffizient aus. Dafür bedarf es aber zunächst einer klaren Definition der Aufgaben der EU und der Nationalstaaten, die sich an dem Subsidiaritätsprinzip orientiert.
Gäbe es denn einen anderen Weg zum Haushalt? Welche EU-Institution könnte eine objektive Umverteilung ohne nächtelange Streitgespräche leisten?
Czuratis: Das derzeitige Verfahren bietet zwar viel Konfliktpotenzial, ist aber die beste Lösung. Durch die Beteiligung der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments werden alle Interessen berücksichtigt. Die Folge sind zwar lange und zähe Verhandlungen, aber gleichzeitig auch die Chance auf einen Haushalt, der alle Beteiligten zufriedenstellt. Besser wäre es jedoch gewesen, das Europäische Parlament direkt in die Kompromissfindung der Mitgliedstaaten mit einzubeziehen.
Nun haben sich die Staaten auf den Vorschlag von Ratspräsident Herman Van Rompuy geeinigt: 960 Milliarden Euro bis 2020. Damit konnten die „Geberstaaten“ eine weitere Kürzung von 12 Milliarden im Vergleich zum November durchsetzen. Parlamentspräsident Martin Schulz droht nun mit einem Veto. Ist diese Position gerechtfertigt?
Czuratis: Es ist das gute Recht von Parlamentspräsident Schulz, mit einem Veto zu drohen. Aber einfach Nein zu sagen, wird nicht ausreichen. Das Parlament sollte sich seiner machtvollen Position bewusst sein und sich für einen zukunftsfähigen EU-Finanzrahmen stark machen. Es muss weniger Agrarpolitik und weniger Strukturpolitik ohne nachweisbare Wachstumseffekte durchsetzen und mehr Investitionen in grenzüberschreitende Energie-, Verkehrs- und Telekommunikationsnetze fordern. Hier bietet sich dem Europäischen Parlament die Gelegenheit, zukunftsweisende Strukturen zu schaffen.
Und was passiert, wenn Herr Schulz trotzdem einfach nur Nein sagt?
Czuratis: Das Europäische Parlament muss dem Kompromiss zustimmen. Sollte es nicht zustimmen, liegt der Ball wieder bei den Staats- und Regierungschefs. Im schlimmsten Fall einigen sich die beiden Parteien gar nicht und es werden nur noch jährliche Haushalte beschlossen. Damit ist niemandem geholfen.
Bei seiner Abreise nach Brüssel sagte Premier Petr Nečas, der aktuelle Haushaltsvorschlag sei ungerecht gegenüber Tschechien. Er war bereit, ein Veto einzulegen. Ist das für ein kleines Land wie Tschechien eine radikale Haltung oder eine gängige Verhandlungsstrategie?
Czuratis: Jedes Land geht mit breiter Brust in die Verhandlungen, das ist völlig normal. Aber wenn sich 27 Länder auf eine Lösung verständigen sollen, muss jedem Land auch klar sein, dass es Kompromisse eingehen muss. Die Kunst der Politiker ist es dann, die Kompromisse im Heimatland als Erfolg zu verkaufen.
Tschechien gehört zu den Staaten, die noch von der Umverteilung profitieren und steht gleichzeitig, was das Haushaltsdefizit anbelangt, besser da als so manch „Geberstaat“. In Brüssel forderte Premier Nečas mehr Geld, während er auf nationaler Ebene einen harten Sparkurs fährt. Ist Tschechien unsolidarisch?
Czuratis: Bei anstehenden Verhandlungen mehr Geld zu fordern, ist normal und verständlich. Tschechien wird, wie die übrigen „Nehmerstaaten“ auch, weiterhin von der Umverteilung profitieren können, denn die Agrar- und Strukturpolitik machen nach wie vor den Großteil des EU-Haushalts aus. Für die EU ist dieser Haushalt jedoch kein Schritt nach vorne, denn alte Umverteilungsströme werden für die nächsten sieben Jahre zementiert.
Vor allem Nettozahler wie Deutschland oder Großbritannien hatten Kürzungen im Haushalt gefordert. Wo ließe sich denn einsparen, ohne dass es den „Nehmerstaaten“ allzu weh tut?
Czuratis: Sparen könnte beispielsweise das Europäische Parlament. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das Parlament sowohl in Brüssel als auch in Straßburg tagen muss. Das größte Einsparpotenzial bietet jedoch die Agrarpolitik. Denn die hohen Ausgaben für die Landwirtschaft – rund 385 Milliarden Euro in den Jahren 2007 bis 2013 – sind ökonomisch und politisch nicht zu rechtfertigen. Hier gilt es, die gewachsenen Strukturen zu beseitigen.
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