Der „ewige Thommy“
Thomas Gottschalk wird 70. Seine Familie stammt aus dem schlesischen Grenzgebiet. Erinnerungen an ein Interview zu Beginn seiner großen Karriere
17. 5. 2020 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Clemens Porikys / Hubert Burda Media, CC BY-NC-SA 2.0 - Gottschalk mit Sophia Loren bei der Bambi-Verleihung 2018
Einem Gipsbein aus Böhmen verdankt Thomas Gottschalk „gewissermaßen seine Existenz“. So urteilte sein Biograf Gerd Heidenreich – mit einem Augenzwinkern.
Denn Gottschalks Vater Hans war zu Kriegsende im Hotel Richmond in Karlsbad stationiert. Dort traf er seine Frau auf der Flucht wieder. Beide heirateten kirchlich. Zeit für Flitterwochen blieb ihnen nicht, wie Heidenreich notierte. Die junge Familie wollte rasch aus der Stadt fliehen. Dafür wendete Mutter Rutila laut Heidenreich „eine schwejksche List“ an: sie packte das gesunde Bein ihres Mannes in Gips, weshalb ihn der letzte Verwundetentransport mitnahm, der Karlsbad verließ.
Zuvor fuhr Hans Gottschalk gerne Ski in der Hohen Tatra, die zur Slowakei wie Polen gehört. Und ebenso im Riesengebirge an der Grenze zwischen Tschechien und Niederschlesien. Während des Krieges hatte er als Offizier in der Sanitätsverwaltung Lazarette von Berlin bis Olmütz zu prüfen.
Denn Thomas Gottschalks familiäre Wurzeln liegen im östlichen Europa: Seine Eltern kamen aus dem polnisch-mährischen Grenzgebiet. Vater Hans wurde im niederschlesischen Dorf Kaulwitz geboren, seine Mutter Rutila in Groschowitz bei Oppeln. Ihre Großeltern betrieben ein beliebtes Ausflugslokal am Stadtrand von Ratibor, neben dem mährischen Ostrava heute Hauptort der Euroregion Silesia. Er habe sich nur deshalb „einen riesigen Atlas“ gekauft, um die Dörfer seiner Eltern zu finden, verriet Thomas Gottschalk in seiner Autobiografie „Herbstblond“. Denn: „Ich verstand mich nicht nur als Schlesier, sondern ich verstand auch Schlesisch.“ Wenn seine Mutter für den heimischen Mittagstisch „Polifka“ ankündigte, wusste er also, dass es Buttermilchsuppe gab. Und „Mohnkliese“ identifizierte er somit unverzüglich als Mohnklöße.
In seiner fränkischen Heimatstadt Kulmbach fühlte sich Thomas Gottschalk nach eigenem Bekunden in seiner „schlesischen Sippschaft“ sehr wohl. Auf allen Fotos seiner Kindheit sehe man nur Menschen, die lachen. Er selbst lachte sowieso immer, „grundsätzlich und überall“, schon damals. Gottschalk trat als Knirps bei Schlesier-Weihnachtsfeiern auf, schmetterte Schlager wie „Rosalinde“ – und begeisterte sich früh für den nahe Ratibor geborenen Dichter Joseph von Eichendorff. Mit ihm verbinde ihn nicht nur dessen Werk „Aus dem Leben eines Taugenichts“, sondern auch „schlesische Noblesse“, bekannte Gottschalk in seinen Memoiren. Laut Heidenreich soll er als Schüler auch in einer Fernseh-Verfilmung von dessen Komödie „Die Freier“ mitgewirkt haben.
Zwar lehrte ihn sein Vater früh, auf Menschen zuzugehen, gab Gottschalk an. Warum er aber dem in Reichenberg (Liberec) geborenen Kinderbuchautor Otfried Preußler mit sieben Jahren einen Brief schrieb, um ihm altklug für sein Kinderbuch „Der kleine Wassermann“ zu danken, sei ihm heute schleierhaft. „Aber ich verfasste den Brief im Krankenbett nach einer Mandeloperation und hatte wohl von der Strickliesel die Schnauze voll, die mir irgendeine Tante gebracht hatte.“ Dass er dort strickend im Bett lag, „ist mir heute noch peinlich“.
Als ein neues Eichendorff-Denkmal eingeweiht wurde – laut Heidenreich erst ermöglicht durch eine großzügige Spende von Thomas Gottschalk – hielt er eine launige Rede in der schlesischen Heimat des Dichters. Er gab an, im „Zonenrandgebiet“ aufgewachsen zu sein, also in der Nähe zur einstigen deutsch-deutschen Grenze. Auch in die damalige Tschechoslowakei wäre es nicht weit gewesen. Ob er jemals dort war, in seiner Jugend oder später, hat Thomas Gottschalk nicht näher erläutert. Allerdings trug er einen Machtkampf mit einem Kollegen in einem Rundfunksender gleichsam auf dem Rücken eines Tschechen aus. „Wenn ich mit Deep Purple ankam, parierte er mit Karel Gott“, schrieb er in „Herbstblond“. Was darauf schließen lässt, dass Gotts Lieder nicht wirklich den Musikgeschmack von Gottschalk trafen.
Ich habe ihn auch nicht danach gefragt, als ich ihn im März 1980 zu einem Interview traf. Damals begann Gottschalk gerade damit, seinen ersten Ruhm zu versilbern. Und ich begegnete ihm dort, wo man einen Diskjockey am ehesten vermutet, auch wenn er vor allem aus dem Rundfunk bekannt war: in einer Diskothek. In seiner Freizeit gab Thomas Gottschalk Autogrammstunden, ließ sich von Musikhallen einladen (und bezahlen), um das zu tun, was er im Radio tat und am besten konnte: Er legte Platten auf und gab dazu ein paar markige Sprüche ab. Gottschalk machte einfach gute Laune. Das war sein Beruf. Und ist nach dem gigantischen Erfolg bis heute wohl auch seine Berufung.
Zu Beginn seiner Karriere hatte er in den frühen 70er Jahren als sogenannter Stationssprecher beim Radiosender „Bayern 3“ den Kalenderspruch des Tages zu verlesen. Mit ihm fiel das Aufstehen morgens um halb sieben bedeutend leichter. Denn bei Gottschalk war Verlass darauf, dass er die Volksweisheit mit eigenen Erkenntnissen würzen würde. Sie waren fast immer geistreicher als der Spruch selbst. Ab 1977 begann dann für mich und viele andere jeweils um 20 Uhr die Radio-Stunde schlechthin. Da leitete der „Pelican Dance“ die Sendung „Pop nach acht“ ein, einen höchst unterhaltsamen Mix aus Mainstream-Musik und Blödelei. „Pop nach acht“ durfte auf keinen Fall verpassen, wer tagsüber nichts zu lachen hatte. Wenn plötzlich eine Schallplatte hüpfte, mutmaßte Gottschalk, dass ein Popel auf dem Plattenspieler dafür verantwortlich sein müsse. Dann war der Tag doch noch gewonnen.
Als ich am späten Abend in der Diskothek mit ihm spreche, kommt seine Karriere gerade ins Rollen. Die vielen Millionen für seine Gummibärchen-Werbung liegen noch in weiter Ferne, ebenso die fetten Honorare von Burger-Bratern und Logistikern. „Was habe ich denn schon zu bieten?“, merkt Thomas Gottschalk gleich zu Beginn unseres Gespräches an, „ich bin weder Bauchtänzer noch Feuerschlucker, sondern stell‘ mich einfach hin und rede mit den Leuten.“ Understatement, mit dem er in den nächsten Jahren immer wieder kokettieren wird.
Tatsächlich tobt seinetwegen schon jetzt nebenan der Bär. Die Diskothek ist massiv überfüllt. Auch deshalb, weil Gottschalk wenige Tage zuvor erstmals im Hauptabendprogramm der ARD auftrat, als Showmaster der „Telespiele“, eine Art elektronisches Pingpong. Seine berufliche Zukunft erscheint golden wie nie. Das ZDF soll schon eine große Unterhaltungsshow für ihn in der Schublade liegen haben, greife ich ein Gerücht auf. „Ich mache jetzt meine Telespiele“, wiegelt Gottschalk ab, „sollte mir das ZDF in einigen Jahren eine solche Show anbieten, wäre dies eher zu überlegen.“ Tatsächlich kommt alsbald „Na sowas“ im Zweiten. Eine Live-Sendung, in der Gottschalk nach Herzenslust eine Dreiviertelstunde lang improvisieren durfte – und gleichsam seine Warmlaufrunde für die große Aufgabe „Wetten, dass..?“.
Als ich den Treff vorbereitete, versprach mir der Diskotheken-Betreiber ein „ruhiges Plätzchen für ein ungestörtes Gespräch“. Er wies mir ein Hinterzimmer zu, das eng war und einer Abstellkammer glich, mit allen möglichen Utensilien an Wänden und Boden. Unser Interview findet kurz vor Mitternacht statt. Wir sitzen auf unbequemen Stühlen. Die karge Kulisse widerspricht komplett dem Vorurteil, dass Interviews mit Prominenten immer in einem fürstlichen Ambiente, bei köstlichem Essen und ausgesuchten Weinen geführt werden. Fortlaufend stürzt jemand zur Tür herein, weil er von Gottschalk irgendetwas wissen will, ein Autogramm wünscht oder sonst ein Anliegen hat.
Über meine Fragen an Thomas Gottschalk brauchte ich nicht lange nachzudenken. Denn er prägte meine pubertären Jahre wie die Musik von Foreigner oder Carlos Santana. Seine langen Haare waren Vorbild, sie blieben nicht nur für ihn ein Markenzeichen. Denn sie waren nie Mode, sondern immer auch Ideologie, zumindest für mich. Seine direkte Sprache traf in Herz und Seele. Zum Beispiel, wenn er sich über die oberen Zehntausend mokierte, die mit Pomp und Gloria zu den Bayreuther Festspielen einmarschierten. „Hoffentlich verläuft sich keiner auf dem roten Teppich“, lästerte er.
Das war der respektlose Schnodderton, den nicht nur ich so an ihm schätzte. Deshalb irritierte mich sehr, dass er selbst Jahre später gemeinsam mit jenen oberen Zehntausend gestriegelt und gebügelt den grünen Hügel eroberte. Da hofften seine Fans aus den Anfangsjahren, dass er bald wieder den richtigen Weg abseits des roten Teppichs finden würde …
Gottschalk wurde durch „Pop nach acht“ enorm populär. Sie brachte ihm den Durchbruch als Entertainer – das wird er später ebenso sehen. Daneben belebte er noch zahlreiche andere Musiksendungen in Funk und Fernsehen. „Gut informiert“, lobt Gottschalk, als ich seine Sendungen allesamt aufzähle. Wobei dies so klingt, als ob er weder sich noch mich oder sonst etwas wichtig nehmen würde. Nur auf eines legt er fortlaufend Wert. „Ich bin kein Star“, behauptet er immer wieder, „ich bin im Fernsehen so, wie ich auch sonst bin, und ich bin im Radio so, wie ich auch sonst bin.“
Einer, der eigentlich Englisch-Lehrer ist, im Hörfunk, wie passt das zusammen? „Ich habe das Studium neben meiner Arbeit im Sender betrieben, um auf zwei Beinen stehen zu können, wenn im Radio etwas schiefgelaufen wäre“, erläutert Gottschalk. Selbst bei dieser Frage lässt er unterschwellig einfließen, dass es nie seine erklärte Absicht sei, der große Zampano zu werden. „Das war ja nie richtige Arbeit für mich“, wird er später auch seinem Biographen Gerd Heidenreich in den Block diktieren, „ich hatte meine Platten, keinen Plan dafür, aber Hauptsache, ich war Herr über das Mikrophon“.
Also ein Mann völlig ohne Ehrgeiz? Zuschauer kannten ihn damals auch als blassen Sprecher im Bayerischen Fernsehen, wo er nüchterne Nachrichten verlas, was immer recht seltsam wirkte. Denn Gottschalk und seriöse Meldungen aus Politik und Wirtschaft – das war nur schwer in Einklang zu bringen. Als ich diese Nachrichtensendungen sah, wartete ich immer darauf, dass er jeden Moment seine persönlichen Anmerkungen zu den Weltereignissen anbringen würde. Etwa so: „Der US-Präsident traf gestern den Generalsekretär der Sowjetunion – hätte er mal lieber John Lennon getroffen, dann hätte er mehr über den Frieden auf der Welt erfahren.“
Glaubwürdiger erschien er in seinen Musikprogrammen, „Szene 76“ in der ARD oder „PopStop“ im Bayerischen Fernsehen, zum Beispiel. Erst Radio, nun auch noch verstärkt Fernsehen – ob er nicht langsam Angst habe, verheizt zu werden und seine Spontaneität zu verlieren, also sein Kapital. Ich ahne bei dieser Frage nicht im geringsten, wie stark Gottschalk seine Medienpräsenz in den nächsten Jahren noch ausbauen wird. „Ich hab‘ keine Bedenken, dass mir eines Tages nichts mehr einfällt“, wischt er den Einwand dementsprechend sofort vom Tisch. Es könne nur passieren, dass die Leute eines Tages sagen: Den Gottschalk kann ich nicht mehr sehen. Er wiegt den Kopf. „Ich hoffe allerdings, dass dieser Punkt möglichst fern liegt.“
Boulevardzeitungen feiern ihn schon in jenen Tagen als neuen Meister der Unterhaltungsbranche, als legitimen Nachfolger von Legenden wie Hans-Joachim Kulenkampff und Rudi Carrell. Gottschalk bleibt in unserem Gespräch jedoch bei seiner Linie. „Mein Gott, ich bin ein Typ, der nur Radio machen wollte, ich habe doch nie damit gerechnet, dass ich so populär werde“, schiebt er erneut nach, „ich habe immer das Gefühl, dass Leute mich verschaukeln wollen, wenn sie sich von mir ein Autogramm geben lassen“. Thommy also, der nette Mensch von nebenan, höchstens mit etwas mehr Talent für markige Sprüche – das ist seine Botschaft des Abends. Und der einstige Ministrant wiederholt sie wie eine Litanei.
Nehme ich jetzt als Überschrift für das Interview: „Ich will kein Star sein“? Gottschalk denkt kurz nach. „Es ist sowieso ein interessantes Phänomen, dass jemand, der normal ist, damit auch noch Erfolg hat“, sagt er. Schließlich findet er eine Lösung: „Schreib einfach: Ich hab‘ Erfolg, weil ich normal geblieben bin.“
Manchmal eilt er kurz aus dem Raum, um draußen neue Platten für die jungen Gäste der Diskothek aufzulegen. Oder für ein paar lässige Anmerkungen ans tanzende Volk. Dann setzt sich ein Mann mit langen Haaren zu mir und gibt sich als Gottschalks Manager zu erkennen. „Wenn Biolek jetzt Thomas einlädt, dann erwartet der natürlich auch, dass Thomas ihn bei nächster Gelegenheit einlädt“, plaudert er freimütig aus dem Innern der Showbranche. Irgendwann macht er ein Erinnerungsfoto von Gottschalk und mir.
Thomas Gottschalk war bei unserem Treffen noch nicht mal 30 Jahre alt. Knapp ein Jahrzehnt später wird er mit „Wetten dass..?“ zu Europas erfolgreichstem Entertainer aufsteigen und nicht selten bis zu 20 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme locken. Gottschalk wird ein Star, ob er will oder nicht. Mehr noch: Er wird zu „einer Ware, ein Stück Glotze“, wie er zwölf Jahre später gegenüber der „Abendzeitung“ klagen wird. Diesem Fluch kann er sich nur durch Flucht entziehen, 1984 für ein Jahr nach London, 1997 dann nach Kalifornien.
Der Manager findet mich sympathisch. Er lädt mich am frühen Morgen zu einer Party in Gottschalks Hotel ein. Ich gehe nicht hin, weil ich vermute, dass die Fete ausfällt. Denn laufend wird Gottschalk von fremden Mädchen darum gebeten, sie nach Hause zu bringen. Manche flehen ihn geradezu an. Wahrscheinlich jene, die zuvor seinen Fortsetzungsroman „Der Sprung ins lila Himmelbett“ in der Jugendzeitschrift „Bravo“ gelesen hatten.
Als Thomas Gottschalk wieder einmal von Fans abgelenkt wird, verrät mir sein Manager plötzlich weit nach Mitternacht ein Geheimnis: „Thomas bleibt nicht mehr lange beim Bayerischen Rundfunk, er wechselt bald zu RTL.“ Ein journalistischer Knüller. Tatsächlich wird Gottschalk ein paar Monate später sein Erfolgsformat „Pop nach acht“ aufgeben und stattdessen die sonntägliche Hitparade beim Luxemburger Sender präsentieren. Die nächste Stufe auf seiner Karriereleiter, obwohl er doch angeblich ohne Plan und Ambitionen ist …
Am 18. Mai feiert Thomas Gottschalk seinen 70. Geburtstag. Er hat sich rar gemacht, in Fernsehen und Radio. Ist seine Zeit endgültig vorüber? In diesen Corona-Tagen kann man daran zweifeln. Gerade jetzt könnten viele seine launige Art sehr gut brauchen. Understatement hat er jedenfalls schon längst nicht mehr nötig.
Sommerfrische in der Steiermark
Mediale Grenzgänger